Produktionsnetzwerk hat Störungen gut verkraftet
Die Corona-Krise könnte den Strukturwandel der Wirtschaft noch verstärken, zeigen aktuelle Studien. Der Automobil- und Industriezulieferer Schaeffler reagiert auf die Entwicklung mit Umstrukturierung der Produktion, aber auch mit innovativen, klimafreundlichen Produkten rund um Elektromobilität und grünen Wasserstoff.
23.10.2020
Deutschland könnte wirtschaftlich mit einem „blauen Auge“ aus der Corona-Krise herauskommen. Einige Indikatoren deuten laut Deutscher Welle darauf hin, dass die Konjunktur sich wieder erholt. Verschiedene aktuelle Konjunkturprognosen gehen gleichwohl für dieses Jahr von einer Delle zwischen -4,8 und -6,25 Prozent aus, meldet tagesschau.de. Für das kommende Jahr rechnen die Institute wieder mit einem deutlichen Wachstum von bis zu 5,8 Prozent.
Läuft die Wirtschaft also bald wieder, als wenn es nie eine Krise gegeben hätte? Eher nicht. Zumindest gibt es große branchenspezifische Unterschiede. Im August waren beispielsweise noch 80 Prozent der Metall- und 65 Prozent der Autoindustrieunternehmen in Kurzarbeit, während es auf dem Bau nur noch sieben Prozent waren, schreibt das ZDF. Darüber hinaus deutet sich an, dass die Corona-Krise den bereits angelaufenen Strukturwandel verstärkt. Die Stichworte lauten: Digitalisierung und Diversifikation der Wertschöpfungsketten.
Dies legen zwei aktuelle Studien der Bertelsmann-Stiftung nahe. Digitalisierte Unternehmen, die nicht von Zulieferern aus nur einer Weltregion abhängig sind, seien widerstandsfähiger gegen Störungen, wie sie während einer Pandemie auftreten, erklärt der „Megatrend-Report #02: Die Corona-Transformation“. Eine weitere Corona-Sonderstudie der Gütersloher Stiftung beleuchtet die Vorteile der Digitalisierung für die pandemiegepeinigte Arbeitswelt. Dank digitaler Tools konnten vielfach betriebliche Prozesse dezentral – und umweltschonend – aufrechterhalten werden. Allerdings glauben nur 17 Prozent der für die Untersuchung Befragten, dass dieser nachhaltigere Lebens- und Arbeitsstil auch nach Beilegung der Krise andauern werde.
Corona hinterlässt auch bei Schaeffler Spuren
Mit der Digitalisierung und der Gestaltung der Wertschöpfungsketten musste sich in den vergangenen Monaten auch der Automobil- und Industriezulieferer Schaeffler auseinandersetzen. Natürlich wurden auch die Herzogenauracher mit Wucht von der Corona-Krise getroffen. Gerade der Automotive-Bereich verzeichnete starke Auftragseinbrüche, berichtete der Konzern Anfang September. Etwas weniger stark war die Sparte für industrielle Lösungen betroffen.
Das Unternehmen geht von einer nur langsamen Erholung der wirtschaftlichen Lage aus. Mindestens bis 2024 werde es dauern, bis das Vorkrisenniveau wieder erreicht sei. Darauf reagiert Schaeffler laut Mitteilung mit dem Abbau von netto rund 4.400 Stellen, zum größten Teil in Deutschland, und der Schließung einiger Standorte sowie der Verlagerung und Umstrukturierung von Produktionskapazitäten.
Trotz der angespannten Lage hat Schaeffler nach eigener Darstellung auch positive Erkenntnisse aus der Krise gewonnen, besonders was die Aufrechterhaltung der Produktion angeht. Das diversifizierte globale Produktionsnetzwerk habe angesichts der schwankenden Nachfrage gut funktioniert, resümiert Andreas Schick, Vorstand für Produktion, Supply-Chain-Management und Einkauf, im Unternehmensmagazin „tomorrow“, das im Spätsommer erschienen ist. Man habe bereits zu Beginn der Krise „antizyklisch gesteuert“ und „Waren und Lieferanten zu uns ins Haus geholt, um eine möglicherweise destabilisierte Lieferkette abzusichern“. Die Taktik ging auf: Bis dato habe man „keinen einzigen Lieferausfall zu beklagen“.
In der Corona-Krise habe es sich bewährt, dass Schaeffler die beiden Sparten Automotive und Industrieprodukte gut aufeinander abgestimmt habe, ergänzt Forschungs- und Entwicklungsvorstand Uwe Wagner in derselben Veröffentlichung. Am slowakischen Standort Skalica habe man beispielsweise kurzfristig die Auftragseinbrüche im Automotive-Sektor ausgeglichen, indem Automotive-Mitarbeiter ihre Kollegen bei der Erledigung von Industrieaufträgen unterstützten.
Das 30/40/30-Szenario gilt weiter
Die Möglichkeiten der Digitalisierung hätten zudem dabei geholfen, das globale Entwicklungsnetzwerk aufrechtzuerhalten. So arbeiteten etwa die Entwicklungsingenieure und die Instandhaltungsabteilung aus dem Home-Office heraus weiter. Darüber hinaus sei es schnell gelungen, den Prototypenbau und die Test-Abteilung mit einem speziellen Hygienekonzept wieder vor Ort in Betrieb zu nehmen.
Trotz der Corona-Pandemie bleibt der Klimaschutz eine zentrale Herausforderung für die Wirtschaft. Schaeffler verfolge nach wie vor das strategische „30/40/30-Szenario“, bekräftigt Uwe Wagner. Im Automotive-Sektor rechne man bis 2030 unter den Neuzulassungen mit 30 Prozent reinen Elektrofahrzeugen, 40 Prozent Hybridantrieben und 30 Prozent Verbrennungsmotoren. Für all diese Technologien entwickele man Lösungen oder habe sie bereits im Angebot. Die Erfolgschancen stiegen sogar, denn die Welt ist nach Wagners Einschätzung in der Pandemie technologieoffener geworden.
Besonders erfolgreich ist Schaeffler bei der Elektromobilität. Um ganze 37 Prozent stiegen laut Nachhaltigkeitsbericht 2019 binnen eines Jahres die Umsatzerlöse in diesem Produktbereich. Für weitere Investitionen von 300 Millionen Euro in die Entwicklung von Elektromotoren E-Achsen und weiteren nachhaltigen Produkten nahmen die Herzogenauracher nach eigenen Angaben außerdem ein Schuldscheindarlehen von 350 Millionen Euro auf.
Eine dieser bereits realisierten Entwicklungen ist das elektronische Lenkungssystem „Space Drive“ der Konzerntochter Schaeffler Paravan Technologie. In dem System aus einer neu entwickelten Prozessoreinheit inklusive Softwarepaket sehen die Entwickler eine Schlüsseltechnologie für die Mobilität der Zukunft. Basierend auf einem nach Unternehmensangaben neuartigen Sicherheitskonzept werden Fahrzeugdaten wie etwa Bremssignale oder Geschwindigkeitsinformationen in Echtzeit verarbeitet und an Servomotoren zur Steuerung von Gas- und Bremspedal sowie der Lenkung weitergegeben.
Grüner Wasserstoff hat viel Zukunftspotenzial
Enormes Zukunftspotenzial attestiert Uwe Wagner vor allem der Wasserstofftechnologie: „Wir setzen für eine CO2-neutrale, nachhaltige Zukunft auf das enorme Potenzial von grünem Wasserstoff. Als Automobil- und Industriezulieferer haben wir die ganze Bandbreite von Anwendungen im Blick – von der Wasserstofferzeugung durch Elektrolyse über mobile sowie stationäre Anwendungen in Brennstoffzellen bis hin zum Einsatz von Stählen, die auf Wasserstoffbasis direktreduziert werden.“
Damit sich ein von Uwe Wagner sogenanntes „Wasserstoff-Ökosystem“ etablieren kann, müssen sich nach seiner Ansicht Unternehmen, die in diesem Bereich aktiv sind, weltweit vernetzen. Schaeffler selbst gehört der Lenkungsgruppe des „Hydrogen Council“ an. Die Wasserstoff-Interessengemeinschaft mit Sitz in Belgien vertritt 81 führende Energie-, Verkehrs- und Industrieunternehmen.
Auf nationaler Ebene engagiert sich der Konzern außerdem im 2019 von der bayerischen Landesregierung initiierten Wasserstoffbündnis Bayern. Die darin versammelten Unternehmen wollen Bayern zum führenden Standort bei der industriellen Fertigung von Wasserstoff-Schlüsselkomponenten entwickeln und unter anderem auch die Tankstellen-Infrastruktur für Wasserstoff ausbauen.