Weltweit verschieben Unternehmen Investitionen
Verschieben, ändern und umplanen: Jeder zweite deutsche CEO (50 Prozent) sagt, dass das eigene Unternehmen aufgrund der geopolitischen Lage Investitionen nicht durchführen kann – sieben Prozentpunkte mehr als im weltweiten Vergleich. Aus bestimmten Märkten komplett zurückziehen mussten sich 39 Prozent der befragten deutschen Konzerne, aber nur 30 Prozent aller weltweit befragten Unternehmen. Das geht aus einer akutellen EY-Umfrage hervor.
30.12.2022
Auch bei den aktuellen Kostensteigerungen zeigen sich deutsche CEOs zum Teil noch stärker betroffen als Unternehmensführer in anderen Ländern: So klagen 83 Prozent der deutschen CEOs über einen Anstieg der Arbeitskosten um mehr als zehn Prozent – weltweit liegt der Anteil mit 77 Prozent etwas niedriger.
Das größte Risiko für das eigene Unternehmen sind aus Sicht der CEOs von deutschen Großunternehmen neue Unterbrechungen der weltweiten Handelsketten und Wirtschaftsprozesse durch die Pandemie. Mehr als jeder zweite Befragte (52 Prozent) gibt dies an – das sind neun Prozent mehr als im internationalen Vergleich.
Das sind Ergebnisse des aktuellen „CEO Survey“ von EY. Basis der Studie ist eine Umfrage unter 760 Vorstandsvorsitzenden in Großunternehmen weltweit, davon 100 in Deutschland.
Constantin M. Gall, Partner und Leiter des Bereichs Strategy and Transactions bei EY in der Region Westeuropa: „Deutsche Unternehmen haben in der Vergangenheit vom freien, internationalen Handel enorm profitiert. Freie Handelswege, internationale Regelungen, sichere Lieferketten: Darauf ist unsere Wirtschaft angewiesen. Aktuell steht dieses Geschäftsmodell Deutschlands angesichts der vielen Krisenherde aber vor der vermutlich größten Herausforderung seit dem Bestehen der Bundesrepublik. Dies zeigen auch die harten Zahlen: Die Wareneinfuhren nach Deutschland haben inzwischen fast ein genauso großes Volumen wie die Ausfuhren. Ein Trend, der sich bereits seit knapp eineinhalb Jahren abzeichnet. Findet die deutsche Wirtschaft hier keine Lösungen, droht mehr als der Verlust des Titels des Exportweltmeisters. Es geht um Arbeitsplätze und nicht zuletzt den Wohlstand unseres Landes.“
Tatsächlich bereitet eine zunehmende Regionalisierung und Fragmentierung der Weltwirtschaft deutschen Unternehmenslenkern größere Sorgen als den CEOs in anderen Ländern: So bezeichnen 37 Prozent der CEOs in Deutschland eine wirtschaftliche Blockbildung und Unterbrechung des Warenhandels als eines der größten Risiken für das Wachstum des eigenen Unternehmens – weltweit liegt der Anteil bei 30 Prozent.
„Wir erleben seit vielen Monaten, wie Lieferschwierigkeiten ganze Branchen in einen ständigen Ausnahmezustand versetzen und zu erheblichen Kostenbelastungen führen“, sagt Gall. „Nun kommen eine drohende Rezession und eine Energiekrise in Europa hinzu – und diese trifft Deutschland, das sich von russischem Gas abhängig gemacht hat, besonders hart. Den hiesigen Unternehmenslenkern stehen extrem herausfordernde Monate bevor.“
Während bei deutschen Unternehmen vor allem im Bereich der Lieferkettenstabilität und Regionalisierung der Weltwirtschaft die Alarmglocken schrillen, stufen sie die Risiken durch Cyberkriminalität ähnlich groß wie im weltweiten Schnitt ein: Sowohl in Deutschland als auch weltweit betrachtet knapp ein Drittel der Befragten diesen Faktor als großes Risiko für das Wachstum ihres Unternehmens.
Pandemie als Hauptgrund für Änderung von Investitionsplänen – Brexit spielt fast keine Rolle
Deutsche Unternehmen hatten zuletzt offenbar überdurchschnittlich stark mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen: 40 Prozent der deutschen CEOs, aber nur 33 Prozent der weltweit befragten Unternehmenschefs, sagen, dass sie ihre Investitionspläne aufgrund pandemiebedingter Probleme – etwa gestörter Lieferketten – geändert haben.
Bei den Auswirkungen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine liegt Deutschland dagegen nur einen Prozentpunkt über dem weltweiten Schnitt von 22 Prozent. Insgesamt werden die Auswirkungen in europäischen Unternehmen (28 Prozent) im weltweiten Vergleich am stärksten wahrgenommen, in Amerika (16 Prozent) und Asien (19 Prozent) dagegen weniger stark. Anhaltende Brexit-Reibungen spielen dagegen weder weltweit (neun Prozent) noch hierzulande (fünf Prozent) eine große Rolle. Vor allem in Asien werden allerdings die Spannungen zwischen den USA und China mit Sorge betrachtet.
So sind deutsche CEOs auch etwas weniger pessimistisch, wenn es um die Auswirkungen der Inflation auf die Leistungsfähigkeit des eigenen Unternehmens geht. Weltweit sagen zwei von drei Befragten (69 Prozent), dass sie von negativen Auswirkungen ausgehen. In Deutschland ist der Anteil mit 60 Prozent etwas niedriger. Größte Herausforderung sehen die Unternehmen in steigenden Preisen, die die Nachfrage der Kunden verringern könnten.
Zukunftsinvestitionen sollen weiter durchgeführt werden
Bei allen Unwägbarkeiten: Deutsche Unternehmen stellen weiterhin die Weichen für die Zukunft: Steigen sollen vor allem die Investitionen in Digitaltechnik und Technologie (68 Prozent), in Mitarbeiter und ihre Fähigkeiten (59 Prozent) und in Forschung und Entwicklung (58 Prozent). Gall: „Ohne Investitionen sind selbst aktuell profitable Unternehmen langfristig nicht wettbewerbsfähig. Unternehmen müssen ihre Geschäftsmodelle immer wieder hinterfragen, anpassen und wenn nötig transformieren, um langfristig erfolgreich zu sein. Das geht nur, wenn sie investieren. Angesichts der drohenden Rezession und exorbitanter Preissteigerungen gilt kurzfristig aber auch, Ausgaben kritisch zu prüfen. Erneut zeigt sich, wie wichtig es ist, fortwährend an der Resilienz und Flexibilität seines Unternehmens zu arbeiten, um von Krisen nicht aus der Bahn geworfen zu werden.“