Kleider-Recycling: „Konsumenten sollten kritische Fragen stellen“
Die Schweiz und die EU forcieren die Wiederverwendung von Rohstoffen. Doch die Kreislaufwirtschaft in der Textilbranche treibt trotz bester Bemühungen zuweilen abstruse Blüten. Denn auch Recycling kann der Umwelt schaden. Empa-Forscherin Claudia Som räumt im Interview mit Nachhaltigkeits-Mythen auf und sagt, wie Konsumentinnen und Konsumenten schwarze Schafe erkennen.
19.11.2021
Frau Som, mit Ihren KollegInnen an der Empa haben Sie die Umweltbilanz einer Outdoorjacke aus Recycling-Material untersucht. Heraus kam dabei unter anderem, dass die Verwendung von Polyester aus PET-Flaschen keinen großen Vorteil bringt – für Laien vielleicht überraschend. Hätten Sie das erwartet?
Claudia Som: Schon vor unserer Studie hatten wir von Experten aus der Verpackungsindustrie vernommen, dass das „Flaschen-PET“ aus Qualitätsgründen besser im Flaschen-Kreislauf bleiben sollte. Es gab sogar Gerüchte, dass findige Unternehmer im Ausland PET-Flaschen gar nicht für Getränke herstellen, sondern um von der hohen Nachfrage nach „Recycling-PET“ zu profitieren. Daher muss man genau hinschauen, woher das PET kommt und welche Qualitätsanforderung es für die Recycling-“Loops“ erfüllen muss – vor allem, wenn viele Durchgänge erzielt werden sollen.
Recycling und Kreislaufwirtschaft im Textilbereich ist längst auch in der Politik ein Thema. Sie haben kürzlich eine Umfrage unter Schweizer Textilfirmen gemacht, um das Potenzial zu erkunden. Was waren Ihre Erkenntnisse?
Som: Die Idee, die Produktionsabfälle in der Textilindustrie genauer anzuschauen, kam uns bei einem Firmenbesuch. Obwohl die Firma versucht hat, Abfälle zu reduzieren und eine sinnvolle Weiternutzung zu finden, landete ein großer Teil von hochwertigen Materialien in der Kehrrichtverbrennung. Oft bleiben Unternehmen auch im Ungewissen, was Abnehmer mit dem Material tun. Interessant für uns war, dass auch Designer beitragen können, Produktionsabfälle zu vermeiden – zum Beispiel, indem sie Farbabweichungen tolerieren.
Der größte Teil der Kleidung landet heute am Ende der Lebensdauer in der Verbrennung oder auf einer Deponie – ungenutzt. Wie hoch schätzen Sie das Potenzial für Recycling ein?
Som: Aus unseren Kontakten zur Schweizer und europäischen Industrie haben wir gelernt, dass erfolgreiches Recycling davon abhängt, wie gut man Zusammensetzung und Qualität des Materials kennt. Außerdem braucht es genügend große Mengen, damit die Prozesse wirtschaftlich werden. Unsere Kleidung aus zum Teil wilden Materialmischungen und die „Fast fashion“ mit tiefer Materialqualität machen erfolgreiches Recycling schwieriger. Deshalb hoffen wir, dass unsere Forschung zu Schweizer Produktionsabfällen einen Beitrag leistet, schneller eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft aufzubauen. Denn in der Schweizer wie auch in der europäischen Produktion ist die Qualität des Materials relativ hoch, die Zusammensetzung weitgehend bekannt, und es fallen relativ große Mengen desselben Materials an.
Ist Recycling überhaupt in jedem Fall sinnvoll?
Som: Recycling ist nicht automatisch nachhaltig. Zum einen kann der notwendige Aufwand fürs Recycling hoch sein – nur schon wegen der Logistik. Zum anderen können durch Material- und Qualitätsverluste oder durch Verunreinigungen bei jedem Recycling-Durchgang Probleme entstehen. Die EU und die Schweiz wollen das Recycling stark forcieren. Das könnte aber sogar zu noch grösseren Umweltproblemen führen – zum Beispiel, wenn die Recyclingtechnologie viele Ressourcen benötigt.
Mittlerweile gibt es von Herstellern viele Initiativen, etwa Labels für nachhaltige Produkte oder Recycling – für Kunden kann das verwirrend sein. Haben Sie einen Tipp für Konsumenten, sich zu orientieren?
Som: Selbst Experten haben Mühe, das Thema zu überblicken. Ich empfehle die Label-Ratgeber von Nicht-Regierungsorganisationen. Konsumenten sollten auch kritische Fragen stellen, etwa, woher das PET kommt, wo produziert wird. So bekommt man zumindest einen Eindruck, wie viel die Anbieter wissen und wie engagiert sie sind.
Bei der Forschungsinitiative „Subitex“ arbeiten Empa-Forschende fachübergreifend mit der Textilbranche zusammen. Was sind die häufigsten Fragen, mit denen Unternehmen zu Ihnen kommen?
Som: Ein großes Thema sind Substitute aus bio-basierten Materialien: Sind sie wirklich besser als die auf fossiler Basis? Sind synthetische Textilien ein Problem für die Umwelt wegen Mikroplastik? Macht es Sinn, auf kompostierbare Materialien zu setzen, oder ist vielleicht die Langlebigkeit des Produkts wichtiger? Solche Fragen motivieren uns, Grundlagen für informierte Entscheidungen in der Industrie zu erforschen.
Die Schweizer Textilbranche setzt vermehrt auf innovative Lösungen, auch bei neuartigen Materialien, dem Forschungsterrain der Empa. Sie haben etwa konventionelles Polyester mit bio-basiertem verglichen. Welche Materialien sind für Sie die Hoffnungsträger für die Zukunft?
Som: Spannend sind holzbasierte Materialien. Interessant wäre auch ein Material, das wie innovativer Beton CO2 direkt aus der Luft bindet – also Textilien als Speicher für Treibhausgase. Aber das ist vielleicht schon etwas futuristisch (lacht).
Recycling-Falle 1: Böses Erdöl
Bei Textilien, so meinte man bisher, lassen sich umweltfreundliche und -schädliche relativ einfach auseinanderhalten. Polyester galt aufgrund grober Schätzwerte als die Manifestation des Bösen, während man Baumwolle als „gute“ Naturfaser sah. Empa-Forscherin Mélanie Schmutz ist nun der Umweltverträglichkeit der Faserproduktion nachgegangen. Ihre Berechnungen zeigen, dass in puncto CO2-Ausstoss beide Fasertypen gleichauf liegen. Anders beim Wasserverbrauch: Die Faserproduktion für ein Baumwoll-T-Shirt hinterlässt einen Wasser-Fussabdruck von 50 Kubikmetern, was einem 20-Quadratmeter-Zimmer entspricht, das man bis unter die Decke mit Wasser füllt. Bei Polyester ist es dagegen weniger als ein Kubikmeter. Beim Verbrauch fossiler Brennstoffe steht die Faserproduktion für ein T-Shirt aus Polyester allerdings schlechter da; sie benötigt mit knapp 25 MJ-Äquivalenten so viel wie 2000 AA-Batterien (Baumwolle: 750 AA-Batterien). Fazit: „Wirklich gut oder böse ist keiner der Stoffe. Es hängt von den Anforderungen an die Faser und vom spezifischen Herstellungsprozess ab“, so Mélanie Schmutz.
Recycling-Falle 2: Gute Naturfasern
Bisher wurden Kunststoff-Textilien aus Erdöl hergestellt. Der Einsatz nachwachsender Rohstoffen wie Cellulose könnte die Umweltverträglichkeit unserer Kleidung verbessern. Die Empa-Forscherinnen Tijana Ivanović und Claudia Som haben nun die Umweltauswirkungen von konventionellem Polyester mit denjenigen biologisch-basierter Varianten verglichen. Dabei kamen sie zum Schluss, dass lediglich drei der neun Ersatzprodukte eine ähnlich grosse Umweltbelastung wie Polyester erreichen. Die restlichen „Bio-Polymere“ schnitten schlechter ab. Der Grund: Die Rohstoffe werden derzeit intensivlandwirtschaftlich produziert, und die Umwandlungsrate vom Rohstoff zur Textilfaser ist nicht effizient – so werden etwa vier Kilogramm Mais für ein Kilogramm Fasern benötigt. Als Nächstes werden die Forscherinnen deshalb alternative Prozesse unter die Lupe nehmen, die beispielsweise Laubblätter nutzen.
Recycling-Falle 3: Kurze Modetrends
Vieles muss ein T-Shirt leisten – Geruch absorbieren, haptisch beeindrucken und eine optische Augenweide sein. Damit aber nicht genug: Empa-Forschende haben nun die Umwelt-Performance eines Baumwoll-T-Shirts untersucht. Die grösste Auswirkung auf die Umweltbilanz hatte dabei die Nutzungsdauer. Demnach haben jene Shirts die Nase vorn, die erst nach 44-maligem Waschen entsorgt werden. Wer bereits nach einer Saison (rund 11-mal waschen) das Hemd an den Nagel hängt, verschlechtert damit dessen CO2-Fussabdruck etwa um das 2.5-fache. Immerhin um rund 30 Prozent steigt der Energieverbrauch des Kleidungsstücks, wenn man es nach jedem Waschen im Tumbler trocknet.
Subitex – gemeinsam für textile Nachhaltigkeit
Die Forschungsinitiative „Subitex“ der Empa und des Branchenverbands „Swiss Textiles“ hat zum Ziel, ein nachhaltiges Wirtschaften in der Textilindustrie zu ermöglichen. Durch innovative Ansätze und einen effizienten Wissens- und Technologietransfer sollen Neuerungen schneller auf den Markt kommen. Die Forschenden erstellen unter anderem Analysen zur ökologischen Nachhaltigkeit, entwickeln Fasern aus biobasierten Kunststoffen und Technologien für alternative Materialien. Die Initiative wurde bereits 2014 gestartet und hat sich mit einer kürzlich erfolgten Neuausrichtung auf textile Nachhaltigkeit zu einem weitverzweigten Innovationsnetzwerk entwickelt, an dem sich derzeit 15 Firmen beteiligen. Weitere Informationen finden Sie hier.