Reifenrecycling – aus alt mach neu
Für Unternehmen stellt Nachhaltigkeit heutzutage ein zentrales Thema dar – vor allem im Fuhrpark. Deshalb lohnt sich ein Blick auf neue Ansätze bei der Wiederverwertung von Altreifen. Denn hierin steckt in Sachen Klimaschutz großes Potenzial.
16.11.2022
Von Georg Thoma, Director Fleet und B2B Partnerships bei ATU Flottenlösungen
Der Trend zu bewussterem Konsumieren zieht für Unternehmen aller Branchen verschiedene rechtliche und ethische Benchmarks im Hinblick auf nachhaltigeres Handeln, Produzieren und Investieren nach sich. Konkrete Punkte, um auf diese Entwicklung zu reagieren, sind deshalb immer häufiger in sogenannten Environmental-, Social- und Governance-Konzepten, kurz ESG, festgehalten. Unternehmen verpflichten sich darin zur Nachverfolgung von selbst festgelegten Maßnahmen und Ergebnissen in den Bereichen Umwelt (Environment), Gesellschaft (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance). Natürlich stellt dies auch den firmeneigenen Fuhrpark vor neue Herausforderungen – allen voran ist hier die Emissionsminderung zu nennen. Dieses Ziel zu erreichen, ist nicht nur im Sinne des Umweltschutzes ein wichtiger Meilenstein, sondern trägt auch zur Imagesteigerung und dem betriebswirtschaftlichen Werterhalt bei.
Um die steigenden Anforderungen in puncto Nachhaltigkeit – wie Ressourcenschonung und das Minimieren des Schadstoffausstoßes – im Mobilitätssektor ganzheitlich anzugehen, sollten Unternehmen auch indirekte Einflussfaktoren nicht außer Acht lassen. So stellt sich die Frage: Welche versteckten CO2-Ausstöße sind eigentlich mit einem Fahrzeug verbunden – geschweige denn mit einer ganzen Flotte? Zum Tragen kommt hier der Punkt zwölf der UN-Ziele „Sustainable Consumption and Production“. Stichwort: sekundärer CO2-Ausstoß in der Produktionskette. Dem folgt unweigerlich der Bereich „Chemicals and Waste“, der in diesem Beitrag genauer unter die Lupe genommen werden soll. Denn ausgediente Autoteile und Wertstoffe nicht nur fachgerecht zu entsorgen, sondern dies ökologisch verantwortungsvoll zu tun, bedeutet, die Materialien im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu recyclen und sie dem Markt wieder zuzuführen. Nur wie kann dies gelingen?
Von ELT zu SRM
Während 2017 auf der International Conference on Circular Economy in Automotive Industries noch von ELV (End-of-Life-Vehicle) die Rede war, sind nun Projekte mit konkreteren Spezialisierungen nachgerückt. So stellt sich beispielsweise die Frage: Was passiert mit ELTs (End-of-Life-Tyres)? Das Exportieren und Verbrennen von Altreifen kann hier nicht die Lösung sein. Doch um Reifen im Sinne einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft zu recyceln und wieder ihrem ursprünglichen Verwendungszweck zuzuführen, bedarf es komplexer physikalischer und chemischer Prozesse – keine leichte Aufgabe.
Bisher ist das Zerlegen von Altreifen in die drei Hauptkomponenten Gummigranulat, Draht und Textilfaser sowie die Verwertung dieser Sekundärrohstoffmaterialien (SRM) in anderen Bereichen gang und gäbe. So kommen sie etwa in der Produktion von Sportbahnen, Straßenbelägen oder Fallschutzmatten zum Einsatz. Alleine bei der ATU Tochtergesellschaft ESTATO, dem Betreiber einer der führenden Reifenrecyclinganlagen Europas, werden so jährlich 7.000.000 Altreifen zu 36.000 Tonnen Gummigranulat, 9.000 Tonnen Stahldraht und 15.000 Tonnen Textilfasern verarbeitet und wiederverwertet.
Zurück auf die Straße
Auch die Aufbereitung von Altreifen ist in der Industrie ein üblicher Prozess. Bei runderneuerten Produkten wie zum Beispiel der ATU Eigenmarke Black Star wird mittels Lasertechnik zuerst die Karkasse des Altreifens geprüft. Sofern diese den Sicherheitsstandards entspricht, werden die Reifen abgeschliffen und mit einem neuen Profil versehen. Auf diese Weise können circa 80 Prozent der Materialien von ELTs recycelt werden. Der Energieverbrauch bei der Herstellung runderneuerter Reifen ist dabei um 60 Prozent geringer als in der Neureifenproduktion.
Die Prozesse der Rohstoffverwertung und der Reifenaufbereitung sind voneinander entkoppelte, eigenständige Zyklen. Beide tragen auf ihre Weise bereits deutlich zur Ressourcenschonung bei. Darüber hinaus existieren jedoch auch völlig neue Ansätze, die eine weitere Optimierung im Bereich Nachhaltigkeit versprechen.
Eine neue Ära der nachhaltigen Reifen: Sustainable Tyres (S-Tyres)
Die Forschungen der vergangenen Jahre streben einen in sich geschlossenen Recyclingkreislauf an, bei dem aus Altreifen wieder komplett neue Reifen entstehen. Ein Beispiel hierfür ist das Großprojekt BlackCycle, bei dem sich 13 europäische Organisationen mit dem Reifenhersteller Michelin zusammengeschlossen haben. Sie arbeiten auf internationaler Ebene unter anderem an der Optimierung der Pyrolyse, der Ölraffination und -verwertung sowie der Verbesserung des Kochprozesses und im Endeffekt auch an der Bewertung der nachhaltigen Reifenleistung. Die Kernidee von BlackCycle: Altreifen sollen nicht nur in ihre Einzelteile zerlegt und anderen Verwertungsketten zugeführt, sondern als Sekundärrohstoffmaterialien vollständig in die Produktion neuer Reifen zurückfließen.
An dem noch bis Ende August 2023 laufenden Forschungsprojekt beteiligt sich auch die ATU Tochter ESTATO Umweltservice. Als exklusiver Lieferant von Gummigranulat übernimmt sie das Sammeln, Sortieren und Zermahlen der Altreifen.
Neben der Verarbeitung des Gummigranulats gehört auch der thermochemische Vorgang der Pyrolyse zum Produktionsprozess: Darunter versteht man das Spalten des organischen Polymers in je ein festes, ein gasförmiges und ein flüssiges Monomer (Koks, Pyrolyseöl und -gas), was unter endothermischen Bedingungen geschieht. Anschließend gilt es, die getrennten Stoffe wieder aufzubereiten und zu synthetisieren, sodass aus den SRMs neue Sustainable Tyres (S-Tyres) produziert werden können. Die S-Tyres sollen damit von Neureifen aus fossilen Rohstoffen nahezu nicht mehr zu unterscheiden sein. Sie durchlaufen auch dieselben Tests wie herkömmliche Fabrikate.
Konkret beträgt der ökologische Fußabdruck für jedes Kilogramm eines Reifens aus dem BlackCycle-Projekt 0,45 Kilogramm CO2, während bei der herkömmlichen Neureifenproduktion 1,38 Kilogramm CO2 ausgestoßen werden. Die BlackCycle-Wertschöpfungskette verfolgt also einen um 0,93 Kilogramm CO2 pro Kilogramm Reifen geringeren Schadstoffausstoß. Dies hat einen um 0,89 Kilogramm geringeren Bedarf fossiler Ressourcen pro Kilogramm Altreifen zur Folge.
CO2-Einsparung im Fuhrpark – ein Rechenbeispiel
Aber was bedeutet das konkret für Unternehmen, die eine nachhaltige Lösung für die Bereifung ihrer Flotte anstreben? Um die wissenschaftlichen Fakten greifbarer zu machen, nehme man zunächst ein mittelständisches Unternehmen mit 500 Fahrzeugen an. Die Details der exakten Bereifung beiseitegelassen, setzt man ein Durchschnittsgewicht von neun Kilogramm pro Reifen an und kommt so auf einen Wert von 18.000 Kilogramm Reifengesamtgewicht. In diesem Fall würde für die Produktion von herkömmlichen Autoreifen 24.840 Kilogramm CO2 ausgestoßen werden, im Rahmen von BlackCycle lediglich 8.100 Kilogramm CO2. Faktisch sind somit, ohne einen Kilometer gefahren zu sein, bereits 16.740 Kilogramm CO2 eingespart – eine passive Emissionsreduzierung, die sich durch eine regelmäßige Wartung der Reifen und den saisonalen Räderwechsel noch steigern lässt. Denn diese Maßnahmen wirken sich beide direkt auf den Kraftstoffverbrauch aus.
Bezieht man hier noch die fossilen Rohstoffe mit ein, die ein Mittelständler mit Reifen aus dem Projekt einsparen könnte, so kommt man auf ganze 16.020 Kilogramm zusätzliche Ressourcenerhaltung.
Fazit
Ideen der Circular Economy schlagen sich auch in der Automobilbranche nieder. Dabei wird der Nachhaltigkeitsgedanke durch das Bestreben, Altreifen mithilfe einer intelligenten Verarbeitung dem Markt wieder als komplett neue Produkte zuzuführen, auf eine höhere Ebene gehoben. Solche neuen kreislaufwirtschaftlichen Ansätze können entscheidend zu einer konsequent umweltfreundlichen Fuhrparkverwaltung beitragen.
Deutlich wird aber auch: Verantwortungsbewusst mit der eignen ESG-Verpflichtung umzugehen, bedarf der Zusammenarbeit mit ebenfalls nachhaltig und sozial orientierten Partnern. Als solcher wirkt ATU an dem groß angelegten Forschungsprojekt mit, welches das ökologische aber auch ökonomische Potenzial von End-of-Life-Tyres nicht verschenkt, sondern nutzbar macht.