Computermodelle verbessern ökologischen Fußabdruck von Bäckereien
Gegen Lebensmittelverschwendung: Ein neues EIT Food-Projekt will mit Computermodellen Bäckereiabläufe optimieren, um Lebensmittelabfälle sowie Energieverbrauch und CO2-Ausstoß zu minimieren.
07.09.2020
Angefangen bei den verschiedenen Brotsorten über Brötchen, Brezeln und Croissants bis hin zu süßen Stückchen wie Puddingschnecken und Schweineohren – in unseren Bäckereien gibt es eine schier unüberschaubare Vielzahl an Backwaren. Doch diese Vielfalt wird häufig teuer bezahlt: Was abends nicht verkauft worden ist, landet im Müll. Dies ist nicht nur eine ungeheure Lebensmittelverschwendung, sondern verbraucht auch unnötig Energie. Abhilfe schaffen will hier das EIT Food-Projekt „PrO4Bake“. Unter Leitung des Forschungszentrums für Bioökonomie an der Universität Hohenheim in Stuttgart hat sich ein internationales Konsortium aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammengeschlossen. Prof. Dr. Bernd Hitzmann vom Fachgebiet für Prozessanalytik und Getreidewissenschaft ist unter anderem zuständig für das Computermodell: „Mit Hilfe von Simulationen wollen wir die Abläufe in Bäckereien optimieren, was zu einer höheren wirtschaftlichen und ökologischen Effizienz führt. So können nicht nur die Produktionskosten für Bäckereien gesenkt, sondern auch das Fortschreiten des Klimawandels verringert werden“, erklärt er. Bäckereien, die an einer Kooperation interessiert sind, können sich gern bei ihm melden. Kürzlich wurde PrO4Bake für den EIT Innovators Award 2020 nominiert, der im Dezember dieses Jahres verliehen werden soll.
„In einer Bäckerei gibt es für jedes Produkt einen festen Arbeitsablauf: Ein Schritt muss auf den anderen folgen, angefangen beim Abwiegen der Zutaten, über das Kneten des Teigs, die notwendige Teigruhe, das Teilen und Formen sowie die Stückgare bis hin zum Backen“, beschreibt Prof. Dr. Hitzmann. „Bei der Vielzahl an Produkten in den meisten Bäckereien müssen diese Arbeitsabläufe ineinander greifen, die Kapazitäten von Menschen und Maschinen gut geplant werden.“
Hier setzt das EIT Food-Projekt PrO4Bake an: Mit Hilfe von Computermodellen und künstlicher Intelligenz sollen die täglichen Abläufe in kleinen und mittelgroßen Bäckereien optimiert werden. Das betrifft sowohl die Menge der eingesetzten Rohstoffe als auch die effizientere Nutzung der vorhandenen Maschinen sowie den Ablauf des Backprozesses. „Bäckereien, die Interesse daran haben, als Praxispartner an dem Projekt mitzuwirken, können sich gerne mit uns in Verbindung setzen.“
Zudem sollen die Vorlieben der Verbraucher berücksichtigt werden. So ist eine Verbraucherbefragung Teil des Projektes, erarbeitet von Sozialwissenschaftlern der Universität Aarhus, bei der die Kunden beispielsweise Auskunft darüber geben sollen, ob sie es akzeptieren würden, wenn abends das Angebot nicht mehr ganz so vielfältig wäre, oder ob sie dann den Bäcker wechseln würden.
Prognose-Tool soll Produktionsplanung verbessern
Gleichzeitig soll ein Prognose-Tool entwickelt werden, das den Bäckern hilft die benötigten Mengen besser abzuschätzen. „Beim Abverkauf einzelner Produkte spielen viele Faktoren eine Rolle“, erläutert Prof. Dr. Hitzmann. „Am Wochenende und zu den Feiertagen kaufen die Leute meist mehr und andere Produkte als an Wochentagen. In den Ferien dagegen sind viele im Urlaub, da wird oft nicht so viel verkauft. Auch das Wetter kann eine Rolle spielen, ebenso wie der Stadtteil, in der sich die Filiale befindet.“
Alle diese Faktoren sollen erfasst und analysiert werden und anschließend in die Entwicklung des Prognosetools einfließen. Ziel ist die Produktpalette an die voraussichtliche Nachfrage anzupassen und in der Backstube nur noch so viel zu produzieren, wie anschließend auch verkauft wird – und damit sowohl die Abfallmenge als auch den Energieverbrauch möglichst gering zu halten.
Optimierung mit Algorithmen, die von der Natur inspiriert sind
Kernstück von PrO4Bake ist eine Computersimulation, die für eine bessere, effizientere Auslastung der Maschinen sorgen soll. „Meistens gibt es irgendwo einen Flaschenhals, also eine Engstelle, die ständig ausgelastet ist und so die weiteren Arbeiten behindert“, beschreibt Prof. Dr. Hitzmann. „Wenn man diese kennt, kann man auch etwas dagegen unternehmen. Unter Umständen hilft es, wenn der Bäcker in einen besseren Kneter oder einen neuen Ofen investiert.“
Das Team rund um Prof. Dr. Hitzmann nutzt für das Computermodell Optimierungsalgorithmen, die bisher in anderen Anwendungsbereichen eingesetzt worden sind: „Diese Optimierungsstrategien sind dabei der Natur abgeschaut, wie zum Beispiel der Partikel-Schwarm-Algorithmus. Er beschreibt das Verhalten von Vogelschwärmen beispielsweise bei der Suche nach Futterquellen. Wo eine Taube frisst, sind bald viele.“
Diese Herangehensweise erlaubt es, auch äußere Einflüsse auf den Produktionsprozess mit zu berücksichtigen. So ist Mehl ein Naturprodukt, das von Charge zu Charge variieren und unterschiedliche Verarbeitungs- und Backeigenschaften aufweisen kann. Auch bei der verwendeten Hefe handelt es sich um lebende Zellen, die sich unterschiedlich verhalten können.
Ziel: Produktionsabläufe in kleinen und mittelgroßen Bäckereien optimieren
„Anders als in der großindustriellen Produktion können handwerklich arbeitende Bäckereien darauf individuell reagieren, und genau diese möchten wir unterstützen. Das Ziel soll es sein, unter den gegebenen Bedingungen die kürzeste Produktionszeit zu finden, dabei die Maschinen optimal auszunutzen, sowie die energetisch günstigste Version zu finden, also den Energieverbrauch und den CO2-Ausstoß zu minimieren.“
Am Ende soll eine Computeranwendung kleinen und mittelgroßen Bäckereien helfen, sich mit optimierten Backplänen an die wirklich benötigte Menge und Produktpalette anzupassen, um den Energieverbrauch und die Lebensmittelverschwendung zu senken. Die endgültige Umsetzung in einen nutzbaren Prototyp soll die Firma Siemens übernehmen. Die anschließende Kommerzialisierung erfolgt in Form von Schulungen für Bäckereien auf Grundlage der entwickelten Softwarelösung durch die Firma Campden BRI Ungarn in Zusammenarbeit mit dem Konsortium, um die Reichweite – zunächst in Europa – zu erhöhen.