Krieg in der Ukraine verdeutlicht Relevanz von ESG-Kriterien
Fast zwei Drittel großer Unternehmen in den G20-Staaten haben angegeben, dass der Umgang mit der Klima-Krise und die sich daraus ableitenden Nachhaltigkeitsinitiativen sie vor große Herausforderungen stellen. 45 Prozent benennen als Problem, Talente nach Diversitätsgesichtspunkten zu finden und zu binden. Mehr als ein Viertel halten besonders eine nachhaltige Lieferkette für schwierig. Der Krieg in der Ukraine führt zudem vor Augen: ESG ist kein ‚nice to have', sondern wird fundamentaler Bestandteil von Management-Entscheidungen.
11.04.2022
Das ist das Ergebnis des aktuellen Resilience Barometers 2022, in dem die Unternehmensberatung FTI Consulting 3.314 Unternehmen aus den G20-Staaten befragt hat.
Unternehmen aus Deutschland stellen dabei keine Ausnahme dar: 60 Prozent sehen in der Reaktion auf die Klima-Krise und in der Planung von Nachhaltigkeitsinitiativen eine große Herausforderung, 42 Prozent in der Diversität der Mitarbeiterschaft, 34 Prozent beim Thema Zweck und Rolle des Unternehmens in der Gesellschaft und 31 Prozent in einer nachhaltigen Lieferkette. Ein Viertel (26 Prozent) hält den Aufbau eines transparenten, mit ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales, Governance) konformen Reportings, für schwierig. Dabei zeigen sich die Deutschen im weltweiten Vergleich beim letzten Punkt am wenigsten besorgt: In den G20-Staaten haben 39 Prozent das Reporting als problematisch benannt, in der EU 37 Prozent.
Fast die Hälfte (46 Prozent) der befragten Unternehmen mit einem Umsatz von mindestens eine Millarde US-Dollar sehen für das Jahr 2022 einen ‚extremen Druck', das Thema ESG weiterzuentwickeln. Bei Unternehmen mit einem Umsatz zwischen 100 Millionen und eine Milliarde US-Dollar hat dies nur jedes dritte Unternehmen angegeben.
Mehr als die Hälfte arbeitet pro-aktiv an ESG-Themen
„ESG ist ein Trend, der gekommen ist, um zu bleiben", sagt Steffen Puhlmann, ESG-Experte bei FTI-Andersch, der auf Restrukturierung, Business Transformation und Transaktionen spezialisierten Beratungseinheit von FTI Consulting. „Schon in den letzten Monaten stand das Thema im Fokus und Unternehmen haben investiert. Die aktuelle weltpolitische Situation verdeutlicht: Das war absolut richtig. Der Krieg in der Ukraine führt uns allen vor Augen, dass wir künftig ESG noch viel intensiver als Steuerungsinstrument für nachhaltiges Wirtschaft begreifen müssen. Bisher umgesetzte Maßnahmen sind daher auch eher erste Gehversuche als bereits Benchmark."
Diese These stützt, dass die Hälfte der Befragten angegeben hat, pro-aktiv an ESG-Themen im Unternehmen zu arbeiten. Nur 36 Prozent sind hier noch abwartend und reagierend. Dieser Trend hat sich seit dem September 2021 verstärkt: bei der damaligen Befragung waren es nur 42 Prozent, die sich selbst als pro-aktiv eingeschätzt haben und noch 39 Prozent als reaktiv.
Steffen Puhlmann sagt: „Fragen, die künftig im Zentrum der Überlegungen stehen werden: Wo kommen Waren und Bauteile her? Unter welchen Bedingungen, auch politisch, wird produziert? Wie viel Energie könnte bei einer Verlagerung sofort eingespart werden? Wie sicher ist investiertes Kapital in nicht-demokratischen Staaten? Was vor ein paar Wochen noch Vorreiter-Denken war, ist nun mit rasanter Geschwindigkeit in der Realität aktueller Management-Entscheidungen angekommen. Viele dieser Fragen sind nicht mehr ‚nice to have', sondern müssen jetzt beantwortet werden."
Wahrnehmung hat sich verändert: ESG wird mehrheitlich auch als Chance eingeordnet
Mit diesem Fokus und der Aktivität einher geht, dass 88 Prozent der befragten Unternehmen gesagt haben, nicht mehr nur weiterhin die Risiken aus Regulatorik und zusätzlichen finanziellen Belastungen in ESG zu sehen. Im Gegenteil: Zum einen ist ihnen durch den Ukraine-Krieg mit seinen vielfältigen Folgen die fundamentale Notwendigkeit vor Augen geführt worden. Zum anderen versuchen sie aus einem neuen Blickwinkel heraus, Chancen für das eigene Geschäft zu identifizieren. Ein Beispiel: 44 Prozent haben angegeben, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die den neuen Kundenwünschen hinsichtlich Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit besser genügen – und damit neue Geschäftschancen identifiziert. 42 Prozent arbeiten an einer Verbesserung der bisherigen Leistungen, um diese ESG-konform(er) anbieten zu können.
„Vor allem deutsche Mittelständler stehen jetzt unter Druck, ESG-konforme Management-Ansätze zu entwickeln", sagt Steffen Puhlmann. „Denn sie waren bisher als zumeist nicht berichtspflichtige Unternehmen weniger von Regulatorik in diesem Feld betroffen. Unternehmen können nicht mehr warten, bis mögliche gesetzliche Verpflichtungen greifen. Die Herausforderungen sind jetzt da. Wer jetzt nicht anfängt, dem drohen mittelfristig existenzielle Wettbewerbsnachteile. Denn diese Transformationen lässt sich dann nur noch schwerlich aufholen. Meine Empfehlung ist es darum jetzt zu prüfen, wo ESG-Kriterien in Produkten, Dienstleistungen, der Organisation und in Prozessen berücksichtigt werden können. Und sofort mit der Transformation anzufangen."