Unternehmen für verlässliches Lieferkettengesetz
Geht es nach dem Willen vieler europäischer Unternehmen, soll die EU-Kommission Ende Februar den Entwurf für ein Europäisches Sorgfaltspflichtengesetz vorlegen. Die deutsche Initiative Lieferkettengesetz befürchtet allerdings, dass Wirtschaftsverbände ihren Einfluss nutzen könnten, um kritische Regelungen wesentlich abzuschwächen.
18.02.2022
Mehr als 100 europäische Unternehmen haben die EU aufgerufen, Unternehmen per Gesetz zu menschen- und umweltrechtlicher Sorgfalt zu verpflichten. Eine entsprechende Stellungnahme veröffentlichte das Business and Human Rights Resource Centre Anfang des Monats. Konkret fordern die Unterzeichner darin von der EU-Kommission, das im vorigen Jahr mehrfach verschobene Vorhaben nun wie angekündigt tatsächlich am 23. Februar 2022 vorzulegen.
Die deutsche Initiative Lieferkettengesetz, ein Zusammenschluss von mehr als 125 Organisationen, unterstützt die Kampagne. „Das Momentum für ein EU-Lieferkettengesetz ist klar da“, betonte Initiativen-Sprecherin Johanna Kusch jetzt gegenüber der Presse. Die Initiative sieht eine „historische Chance“ für ein starkes EU-Lieferkettengesetz. Dieses könne, was die Reichweite und die Ausgestaltung der Sorgfaltspflicht sowie die zivilrechtlichen Haftungspflichten für Unternehmen angeht, sogar über das 2023 in Kraft tretende deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hinausgehen.
Wirtschaftsverbände wollen das Gesetz abschwächen
Die Debatte werde sich bis zur Europawahl 2024 ziehen, erwartete Kusch. Bis dahin würden europäische Wirtschaftslobbyverbände weiterhin versuchen, das geplante Gesetz in wesentlichen Punkten abzuschwächen. Was damit gemeint ist, erläuterte Armin Paasch, Referent für Wirtschaft und Menschenrechte bei Misereor. Gerade deutsche Wirtschaftsverbände hätten bei den Beratungen des deutschen Lieferkettengesetzes immer eine europaweit einheitliche Regelung gefordert. Zudem hätten sie dafür plädiert, nur direkte Zulieferer in die Sorgfaltspflichten einzubeziehen und Umweltstandards auszuklammern. Mittlerweile fänden sehr ähnliche Einflussnahmeversuche auf europäischer Ebene statt – mit dem Ziel, über das europäische Gesetz die strengeren deutschen oder auch französischen Regelungen abzuschwächen. Auch gegen zivilrechtliche Haftungspflichten sei, etwa seitens des Bundesverbands der Deutschen Industrie, lobbyiert worden, fand Armin Paasch in einer gemeinsamen Recherche mit Karolin Seitz vom Global Policy Forum Europe heraus.
Die Aktivitäten der Wirtschaftsverbände zeigen nach Einschätzung der Initiative Lieferkettengesetz bereits Wirkung. So sei die Zuständigkeit für die Vorbereitung nun zwischen dem ursprünglich allein verantwortlichen Justizkommissar Didier Reynders und dem Binnenmarktkommissar Thierry Breton aufgeteilt worden. Außerdem würden die Kosten und Auswirkungen des Gesetzes auf die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zusätzlich durch das „Regulatory Scrutiny Board“ (RSB) der Kommission überprüft. Paasch und Seitz bezeichnen dieses siebenköpfige Gremium als „mächtig und intransparent“.
Bundesregierung soll sich für wirksames Lieferkettengesetz einsetzen
Die Initiative Lieferkettengesetz forderte die deutsche Bundesregierung auf, sich wie im Koalitionsvertrag vereinbart für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz einzusetzen. „Für uns ist klar: ‚Wirksam‘ ist eine solche Regelung nur, wenn sie Unternehmen für Verfehlungen haftbar macht – und endlich unterbindet, dass Konzerne die Klimakrise und das Artensterben befeuern“, betonte Ceren Yildiz, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim BUND.
Es stehe aber zu befürchten, dass in den weiteren Abstimmungsprozessen gerade die Umwelt- und Klimastandards wieder aus dem Gesetzesentwurf verschwänden, meinte Johanna Kusch. Auch bei der zivilrechtlichen Haftung zeichne sich ab, dass es anstelle konkreter Vorschriften Appelle an die Mitgliedsstaaten geben werde. Nach ihren Informationen solle das EU-Sorgfaltspflichtengesetz für Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden gelten, bei Unternehmen aus Risikobranchen bereits ab 250 Beschäftigten. Für die Initiative Lieferkettengesetz sei es wichtig, dass sich Unternehmen nicht durch einfache Vertragsklauseln von ihrer umwelt- und menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht befreien könnten.
Das unterstrich auch Friedel Hütz-Adams, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der ökumenischen Organisation Südwind e.V. Am Beispiel der Kakao-Branche verdeutlichte er, dass sehr viele Unternehmen ihre Lieferketten bereits fundamental umbauten. Perspektivisch wollten sie Transparenz über jede einzelne Kakaoplantage herstellen. Gerade solche Unternehmen hätten ein Interesse an Rechtssicherheit, um auch gegen Konkurrenten geschützt zu sein, die die Erledigung der Sorgfaltspflichten auf Zertifizierungsgesellschaften abwälzen wollten. Gerade bezüglich der zivilrechtlichen Haftung benötigten viele Unternehmen ein „Level Playing Field und das Wissen, dass auch ihre Wettbewerber handeln müssen.“
Europäische Unternehmen fordern Sorgfaltspflichtengesetz
Alle in der EU aktiven Unternehmen sollten, ungeachtet ihrer Größe, zur umwelt- und menschenrechtlichen Due Diligence verpflichtet werden. Dafür sprechen sich mehr als 100 europäische Unternehmen aus. Anfang Februar veröffentlichten sie einen Aufruf an die Europäische Kommission, ohne weitere Verzögerungen einen Entwurf für ein Europäisches Sorgfaltspflichtengesetz vorzulegen. Dieses solle sich an den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP) sowie den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen orientieren. Zu den Unterzeichnern des Dokuments zählen unter anderem der Lebensmittelhersteller Danone, die Outdoor-Ausrüster Jack Wolfskin und Vaude, das Kommunikationsunternehmen Ericsson, die GLS-Bank, der Fair-Trade-Händler Gepa und der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft.