Business & Human Rights Navigator
Ihr Unternehmen möchte die Menschenrechte entlang seiner Liefer- und Wertschöpfungsketten achten? Aber die praktische Umsetzung stellt Sie vor Herausforderungen? Der neu eingeführte Business & Human Rights Navigator (BHR-Navigator) kann Ihnen helfen!
25.01.2023
Von Erik Wessels
Immer mehr Unternehmen konzentrieren sich – angetrieben durch steigende gesetzliche Anforderungen sowie die Erwartungen von Kunden, Investoren, Geschäftspartnern und der Zivilgesellschaft – auf die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht entlang der Liefer- und Wertschöpfungsketten. Doch wie können Unternehmen diese Erwartungen erfüllen? Und wie können die Menschenrechte in der Praxis geachtet werden?
Der BHR-Navigator ist ein Online-Tool, das vom Global Compact der Vereinten Nationen in Zusammenarbeit mit dem Helpdesk Wirtschaft und Menschenrechte der Bundesregierung und Verisk Maplecroft entwickelt wurde. Es hilft Unternehmen auf der ganzen Welt, die Auswirkungen von Menschenrechtsverletzungen in ihren Betrieben und Lieferketten besser zu verstehen und anzugehen, indem es nützliche Hintergrundinformationen und Anleitungen zu zehn wichtigen Menschenrechtsfragen bietet (siehe Abbildung unten). Die Nutzer:innen können auf vertiefende Analysen der wichtigsten Menschenrechtsfragen, Empfehlungen zur Sorgfaltspflicht sowie auf Fallstudien zugreifen, die zeigen, wie andere Unternehmen verantwortungsvoll mit den Auswirkungen auf die Menschenrechte umgegangen sind. Das Tool basiert auf den Zehn Prinzipien des UN Global Compact und den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGPs) und ist auf diese abgestimmt. Es soll Unternehmen helfen, die UNGPs besser zu verstehen und in der Praxis umzusetzen. Der BHR-Navigator behandelt die folgenden zehn Menschenrechtsthemen.
Die zehn Menschenrechtsthemen
Existenzsichernde Löhne
Wie kann ein Unternehmen sicherstellen, dass den Arbeitnehmer:innen in den eigenen Betrieben und in der Lieferkette ein existenzsichernder Lohn gezahlt wird, insbesondere wenn es in den Ländern keinen gesetzlichen Mindestlohn gibt? Und was passiert, wenn der Mindestlohn nicht ausreicht, um den Arbeitnehmer:innen und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard zu sichern? Dies sind Fragen und Herausforderungen, mit denen sich Unternehmen zunehmend auseinandersetzen müssen.
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt in ihrem „Global Wage Report 2020-21: Wages and Minimum Wages in the Time of COVID-19“, dass weltweit 266 Millionen Lohnempfänger:innen – das sind rund 15 Prozent aller Lohnempfänger:innen – weniger als den Mindestlohn verdienen. Unternehmen und ihre wichtigsten Stakeholder, wie Investor:innen, Kunden und Kundinnen und Lieferant:innen, werden sich dieses Problems zunehmend bewusst. Es besteht ein wachsender Bedarf, dieses Problem zu lösen – aber wie? Einer der größten Bekleidungshersteller und -einzelhändler der Welt ist ein gutes Beispiel dafür: Hennes & Mauritz AB (H&M).
Es braucht einen Perspektivwechsel
Obwohl die Gewährleistung existenzsichernder Löhne in den Lieferketten oft als reiner Kostenfaktor angesehen wird, kann sie eine wichtige Investition darstellen. Sowohl Unternehmen als auch Zulieferbetriebe können von einer Politik für existenzsichernde Löhne als Teil einer umfassenderen Strategie für Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit profitieren:
- Gesteigerte Qualität: Unternehmen können durch die Förderung existenzsichernder Löhne die Qualität ihrer Lieferungen steigern, ein effektiveres Risikomanagement integrieren und ihren Ruf verbessern.
- Geringere Personalfluktuation und Kosten: Die Zulieferbetriebe können von einer geringeren Personalfluktuation und weniger Fehlzeiten, geringeren Ausbildungskosten, Produktivitäts- und Qualitätssteigerungen, einem besseren Zugang zu höherwertigen Märkten und einem besseren Ruf profitieren.
- Unternehmerische Verantwortung: Die Erzielung existenzsichernder Löhne ist Teil der Verantwortung der Unternehmen für die Achtung der grundlegenden Menschenrechte: Die Identifizierung des Risikos von Niedriglöhnen und das Ergreifen von Maßnahmen zur Minderung oder Beseitigung dieses Risikos ist eine Möglichkeit für Unternehmen, sich an den UNGPs zu orientieren.
- Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs): Unternehmen können ihre Verpflichtungen zu einer Vielzahl von SDGs einhalten. Indem sie sich verpflichten, existenzsichernde Löhne in den Lieferketten zu erreichen, erfüllen sie diese Verpflichtungen und schaffen darüber hinaus Vorteile für eine nachhaltige Entwicklung und die Menschenrechte.
Arbeitsmigrant:innen
Wanderarbeitnehmer:innen können in der Wirtschaft mit einer Reihe von Rechtsverletzungen konfrontiert sein, darunter Diskriminierung sowie unfaire Arbeitsbedingungen und Anwerbungspraktiken. Der Bericht „Global Estimates on International Migrant Workers Results and Methodology“ der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) zeigt, dass internationale Wanderarbeitnehmer:innen fast fünf Prozent der weltweiten Erwerbsbevölkerung ausmachen und nach wie vor besonders durch niedrige Löhne, unsichere Arbeitsbedingungen, Diskriminierung und Menschenhandel gefährdet sind.
Wie können Unternehmen sicherstellen, dass Wanderarbeiter:innen entlang ihrer Lieferketten fair behandelt werden? Um diesem Risiko zu begegnen, verlangen die UNGPs die Umsetzung von Verfahren zur Wahrung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht entlang der gesamten Lieferkette durch die Entwicklung einer Grundsatzerklärung, die Analyse aktueller und potenzieller Risiken, das Ergreifen von Maßnahmen, das Kommunizieren der Leistung und die Einrichtung eines Rechtsbehelfs- und Beschwerdemechanismus. Der BHR-Navigator schlüsselt jeden Schritt der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht in Bezug auf Wanderarbeiter:innen auf:
- Entwicklung einer politischen Verpflichtung zur Wanderarbeit: Es ist wichtig, dass Unternehmen Wanderarbeiter in ihre Menschenrechtspolitik einbeziehen – unabhängig von der Art der Arbeit, dem Standort der Lieferkette oder der Branche, in der sie tätig sind. Die Unternehmen könnten die Verabschiedung von Verhaltenskodizes in Erwägung ziehen, um sicherzustellen, dass sie die gleichen Beschäftigungspraktiken und die gleichen Praktiken gegen Ausbeutung in Bezug auf Wanderarbeitnehmer fordern.
- Bewertung der aktuellen und potenziellen Auswirkungen der Wanderarbeit: Arbeitsmigranten sind besonders anfällig für Missbrauch, da ihr Recht, in einem Land zu leben oder zu arbeiten, an einen Arbeitsplatz bei ihrem Arbeitgeber gebunden sein kann (zum Beispiel durch ein Sponsorensystem), oder sie arbeiten illegal und wollen nicht riskieren, ihren Arbeitsplatz zu verlieren und den Behörden ausgesetzt zu werden. Es wird empfohlen, alle Interviews außerhalb des Unternehmens oder mit Hilfe von „Worker Voice“-Instrumenten durchzuführen, da sich die Arbeitnehmer möglicherweise nicht wohl dabei fühlen, vor Ort über negative Arbeitserfahrungen zu sprechen.
- Integrieren und ergreifen Sie Maßnahmen, um die Auswirkungen der Wanderarbeit anzugehen: Die Maßnahmen und Systeme, die ein Unternehmen anwenden muss, hängen von den Ergebnissen der Folgenabschätzung ab. Unternehmen könnten beispielsweise in Erwägung ziehen, Schulungen zu den Rechten von Wanderarbeitern für die Mitarbeiter durchzuführen, die am ehesten mit Wanderarbeitern in Berührung kommen, wie zum Beispiel Mitarbeiter aus den Bereichen Beschaffung, Personalwesen und Lieferkette. Diese Schulungen zum Thema Wanderarbeit können auch für Zulieferer angeboten werden. Sie könnten Verweise auf die einschlägigen internationalen Normen enthalten und entsprechend den Neuerungen und Anpassungen an bewährte Verfahren aktualisiert werden.
- Verfolgen Sie die Leistung im Bereich der Wanderarbeit: Es ist notwendig, dass die Unternehmen ihre Ansätze in Bezug auf die Rechte von Wanderarbeitnehmern regelmäßig überprüfen, um festzustellen, ob sie weiterhin effektiv sind und die gewünschten Auswirkungen haben. Übliche Ansätze zur Überprüfung der Leistung in der ersten Stufe der Lieferkette sind Audits und Social Monitoring. Beides kann intern vom Unternehmen oder von einer dritten Partei durchgeführt werden. Audits können beispielsweise dazu beitragen, die Art und Weise zu verstehen, wie mit Wanderarbeitern und ihren ihnen zustehenden Rechten – wie Löhne, Arbeitszeiten und Lebensbedingungen – umgegangen wird.
- Kommunikation der Leistungen in Bezug auf Wanderarbeit: Von den Unternehmen wird erwartet, dass sie ihre Leistungen in Bezug auf die Achtung der Rechte von Wanderarbeitnehmern in einem formellen öffentlichen Bericht mitteilen, der die Form eines eigenständigen Berichts haben kann. Weitere Möglichkeiten der Kommunikation können persönliche Treffen, Online-Dialoge und Konsultationen der betroffenen Stakeholder sein.
- Wiedergutmachung und Beschwerdemechanismen: Beschwerdemechanismen können eine wichtige Rolle bei der Lösung von Problemen im Zusammenhang mit Wanderarbeitern in Betrieben und Lieferketten spielen. Ein üblicher Kanal ist eine Hotline. Wenn es um Abhilfemaßnahmen geht, können die Dinge komplex werden, da diese Auswirkungen auf das Aufenthaltsrecht eines Arbeitnehmers in einem bestimmten Land haben können. Es muss sichergestellt werden, dass bei den Verbesserungsmaßnahmen die Sicherheit und das Wohlergehen der Wanderarbeitnehmer berücksichtigt werden, insbesondere wenn sie offenbar Opfer von Menschenhandel wurden oder unter der Kontrolle von Banden oder anderen illegalen Gruppen stehen.
Die oben genannten Beispiele zeigen, dass der BHR-Navigator praktische Informationen und Anleitungen für Unternehmen bietet. Das Tool führt die Nutzer:innen Schritt für Schritt durch die verschiedenen Phasen der menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfung und enthält zahlreiche Fallstudien. Damit veranschaulicht der BHR-Navigator, wie Unternehmen die Auswirkungen auf die Menschenrechte in ihren Betrieben und Lieferketten verstehen und berücksichtigen können.
Das Tool ist hier frei zugänglich.
Die im BHR-Navigator behandelten Themen beziehen sich hauptsächlich auf die folgenden SDGs:
Ziel 1 Keine Armut: Armut in all ihren Formen überall beenden
Ziel 3 Gute Gesundheit und Wohlbefinden: Ein gesundes Leben gewährleisten und Wohlbefinden für alle Menschen jeden Alters fördern
Ziel 5 Gleichstellung der Geschlechter: Die Gleichstellung der Geschlechter verwirklichen und alle Frauen und Mädchen stärken
Ziel 8 Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum: Dauerhaftes, integratives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern
Ziel 10 Verringerung von Ungleichheiten: Ungleichheiten innerhalb von und zwischen Ländern abbauen
Ziel 12 Verantwortungsvoller Konsum und verantwortungsvolle Produktion: Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen
Ziel 16 Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen: Friedliche und integrative Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, den Zugang zur Justiz für alle gewährleisten und effektive, rechenschaftspflichtige und integrative Institutionen auf allen Ebenen aufbauen
Über den Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte
Der Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte ist ein kostenloser Unterstützungsdienst der Bundesregierung. Das Programm berät Unternehmen jeder Größe individuell, vertraulich und kostenlos zum Thema menschenrechtliche Sorgfaltspflicht. Die erfahrenen Beraterinnen und Berater dienen als Ansprechpartner:innen für die Erstberatung und Weitervermittlung und unterstützen Unternehmen bei der Integration von Umwelt- und Sozialstandards entlang ihrer Liefer- und Wertschöpfungsketten. Zu den Dienstleistungen gehören auch maßgeschneiderte Schulungen, verschiedene Veranstaltungsformate, Projektunterstützung und kostenlose Online-Tools.
Der Helpdesk ist bei der Agentur für Wirtschaft und Entwicklung (AWE) angesiedelt. Die AWE wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert, ihre Träger sind die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH und die DEG - Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH, eine Tochter der KfW Bankengruppe.
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