Die Tage von Öl als Kraftstoff sind gezählt
Der Siegeszug der Elektroautos weltweit dürfte wohl spätestens 2024 nicht mehr aufzuhalten sein. Zu diesem Schluss kommt Mark Lewis, der globale Leiter für Nachhaltigkeitsforschung bei BNP Paribas Asset Management, in seinem aktuellen Whitepaper „Wells, Wires and Wheels“.
30.09.2019
In der 40-seitigen Untersuchung stellt er den Energy Return on Capital Invested (EROCI) vor. Betrachtet wird, welchen Energieertrag Öl und erneuerbare Energien abwerfen, wenn diese Energie zum Antrieb von Autos und anderen leichten Nutzfahrzeugen genutzt wird. Sprich: Wie weit kommt man aktuell mit einem Investment von 100 Milliarden US-Dollar?
Das Urteil ist eindeutig: Bei gleichem Kapitaleinsatz bringen mit Wind- und Solarenergieprojekten betriebene Elektroautos schon heute sechs bis siebenmal mehr Energie auf die Straße als solche, deren Benzinmotoren im weitesten Sinne mit Öl betrieben werden. Der Unterschied ist weniger deutlich, wenn man von Dieselfahrzeugen ausgeht, doch auch dann sind Wind- und Solarenergie immer noch drei- bis viermal so effektiv wie der Verbrennungsmotor. Der „Break-Even-Point“, also die Schwelle, an der für dasselbe Geld dieselbe Menge an Antriebsenergie zur Verfügung steht, liegt laut Lewis bei etwa neun bis zehn Dollar pro Barrel Öl bei Benzinmotoren und bei 17 bis 19 Dollar pro Barrel bei Dieselmotoren. Damit Öl wettbewerbsfähig bleibt, müsste der Preis also deutlich fallen: Brent-Öl kostet derzeit 65 US-Dollar, während die Sorte WTI für 59 Dollar gehandelt wird (Stand vom 18. September 2019).
Sprit ist schlicht zu teuer, gerade langfristig betrachtet: Um das Mobilitätsniveau von Benzin aus dem Jahr 2018 für die nächsten 25 Jahre zu halten, sind Investitionen von schätzungsweise 24,6 Billionen US-Dollar notwendig. Die Kosten für neue Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien liegen dagegen bei nur 4,6 bis 5,2 Billionen Dollar. Kurz: In diesem Zeitraum die gleiche Mobilität aus Benzin zu erzielen wie mit erneuerbaren Energien im Zusammenspiel mit Elektrofahrzeugen, kostet etwa sechs bis siebenmal so viel. „Die Wirtschaftlichkeit der erneuerbaren Energien schlägt immer noch die von Öl“, so Lewis. „Selbst, wenn wir die Kosten für den Aufbau einer neuen Netzinfrastruktur berücksichtigen, um die zusätzlichen Strommengen zu bewältigen, die aus all den neuen Wind- und Solarkapazitäten entsteht.“ Der Autor kommt zu dem Schluss, dass der Stern von Öl für Benzin- und Dieselfahrzeuge im Vergleich zu wind- und solarbetriebenen Elektroautos unumkehrbar sinkt, mit weitreichenden Folgen für die Mineralölkonzerne.
Bedrohung für die Ölindustrie?
Der Ölindustrie erwächst hier – erstmals in ihrer Geschichte – eine ernstzunehmende Bedrohung für ihr Geschäftsmodell: Derzeit entfallen 36 Prozent der Rohölnachfrage auf den Betrieb leichter Nutzfahrzeuge und anderer Fahrzeuge, die sich für die Elektrifizierung eignen. Weitere fünf Prozent fließen in die Stromerzeugung. Die konkurrierenden, erneuerbaren Energien könnten also leicht bis zu 41 Prozent des weltweiten Ölbedarfs ersetzen. Für sie sprechen die kurzfristigen Grenzkosten von Null, ihre Umweltfreundlichkeit und dass sie einfacher zu transportieren sind.
Allerdings genießt die Ölindustrie derzeit noch einen erheblichen Größenvorteil gegenüber Wind- und Solarenergie. 2018 lieferte Öl 33 Prozent der weltweit benötigten Energie, verglichen mit nur drei Prozent gespeist aus Wind und Sonne. Doch dieser Vorsprung schmilzt: „Vor 100 Jahren hätte auch die Ölindustrie nicht dieselbe Energie liefern können wie heute. Sie hat über Jahrzehnte eine globale Lieferkette aufgebaut, während Wind und Sonne erst am Anfang der gleichen Entwicklung stehen“, so Lewis. Und: Noch sind Elektroautos teurer als die herkömmlichen. Doch schon 2024 könnten sich die Preise angeglichen haben. Dann werden die Karten neu gemischt und den Ölkonzernen droht womöglich das gleiche Los wie den europäischen Versorgern in den letzten zehn Jahren: Sie hatten den Ausbau der Wind- und Solarenergie zunächst verpasst und Milliarden Euro in Anlagen zur Stromerzeugung mit fossilen Brennstoffen versenkt.
Auch für die Politik enthält das Whitepaper eine klare Botschaft: Sie hätte jetzt die Chance, die Energiewende und den damit verbundenen Nutzen für Umwelt und Gesundheit gezielt zu fördern. Etwa über steuerliche Anreize für Elektrofahrzeuge, wie sie etwa in Norwegen erfolgreich waren, eine verbesserte Ladeinfrastruktur und entsprechende Energiespeichertechnologien. Dazu Lewis: „Der Anteil erneuerbarer Energien an der gesamten Energieerzeugung steigt. Die Speicherfähigkeit ist nun der Schlüssel, um den weiteren Ausbau der Erneuerbaren zu ermöglichen.“
Das gesamte Paper finden Sie hier.