E-Mobilität für Millionen, nicht für Millionäre
Sowohl Diesel-Skandal als auch der schwelende Handelskonflikt mit den USA setzen der Automobilbranche schwer zu. Es geht um nicht weniger als die Zukunft einer deutschen Schlüsselindustrie. Volkswagen als größter Autobauer hat eine klare Position und die heisst: E-Mobilität. UmweltDialog sprach darüber mit Ralf Pfitzner, Global Head of Sustainability, Volkswagen AG.
16.05.2019
UmweltDialog: Bundesverkehrsminister Scheuer hält den Fokus auf E-Mobilität für "komplett falsch". Was haben Sie gegen synthetischen Kraftstoff, Wasserstoff- beziehungsweise Brennstoffzellentechnik und Gasantriebe?
Ralf Pfitzner: Unser mittel- und langfristiger Fokus liegt tatsächlich auf der E-Mobilität. Unser Vorstandsvorsitzender Herbert Diess hat das bei der Jahrespressekonferenz noch mal sehr deutlich gemacht. Aus unserer Sicht ist E-Mobilität die einzige Möglichkeit, das, was uns das Pariser Klimaabkommen in Sachen Klimaschutz aufgetragen hat, zu erreichen. Ein zentraler Treiber dabei ist natürlich die europäische Gesetzgebung: Die vorgegebenen EU-weiten Grenzwerte für 2030 erreichen wir nur mit einem signifikanten Anteil an Elektrofahrzeugen. Wir sprechen hier von einer Größenordnung von etwa 40 Prozent Elektrofahrzeugen bei Neuverkäufen in 2030.
Ein weiteres starkes Argument, das für die Elektromobilität spricht, ist der energetische Wirkungsgrad. Wir haben uns sehr genau alle Alternativen angeschaut und für die Übergangszeit ist es sicherlich richtig, verschiedene Alternativen im Portfolio zu berücksichtigen: So haben wir CNG-Fahrzeuge, unter anderem bei Audi, und überlegen auch in Richtung synthetischer Kraftstoffe. Aber der Wirkungsgrad bezogen auf den Primärenergieeinsatz von Batterie-elektrischem Antrieb, sofern der Strom erneuerbar gewonnen wurde, ist ungeschlagen. Er ist etwa doppelt so gut wie beim erneuerbar erzeugten Wasserstoff und viermal so gut wie bei flüssigen E-Fuels oder E-Gas.
Hinzu kommen die Kosten: So lange wir nicht erneuerbare Energien im absoluten Überfluss und faktisch kostenlos haben, hängt immer ein Preis an der genutzten Energie. Und hier ist direkte Nutzung von Strom im E-Antrieb günstiger als aus Strom gewonnene Alternativen. Gerade synthetische Kraftstoffe sind derzeit noch ein ziemlich teures Vergnügen.
Trotzdem wird viel in diese Richtung geforscht und gefördert…
Pfitzner: Wir werden synthetische Kraftstoffe in gewissem Umfang auch in einer dekarbonisierten Volkswirtschaft brauchen: Ich sehe das aber eher in Anwendungsfeldern wie Hochtemperatur-Wärme in der Industrie. Dort kann ich nicht einfach elektrifizieren, oder zum Beispiel im Luftverkehr und im Schiffsverkehr. Auch Fahrzeuge im Schwerlastverkehr werden nicht einfach auf den batterieelektrischen Antrieb umzustellen sein. Und natürlich auch bei Oldtimern: Die kann und will niemand elektrifizieren. Dort macht der Einsatz von synthetischen Kraftstoffen auch künftig einfach mehr Sinn.
Ist die Fixierung auf E-Mobilität global betrachtet nicht eine Nische? In Europa ist es vielleicht denkbar, dass sich die E-Mobilität durchsetzt wie das Reinheitsgebot beim Bier. Aber in Afrika, Südamerika oder den USA und auch in vielen Teilen Asiens kann ich mir das schwer vorstellen. Wollen Sie Ihre Marktanteile dort aufgeben?
Pfitzner: Das werden wir sicherlich nicht tun. Die Frage ist, wann Sie zuletzt in China waren? China ist für alle Autobauer der mit Abstand wichtigste Markt. Über 40 Prozent unserer Fahrzeuge setzen wir dort ab. Und auf diesem größten Markt herrscht beim Thema Elektrifizierung mindestens das gleiche Tempo wie im zweitgrößten Markt Europa. Gerade die Entwicklung in China treibt die Veränderungsbereitschaft aller OEMs weltweit an, denn Elektromobilität senkt die Eintrittshürden für neue Akteure am Markt, und wir müssen schon schauen, dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit erhalten. Wenn wir Europa und China zusammen nehmen, dann haben wir schon mal 60 Prozent unseres Absatzmarktes, wo wir voll auf Elektrifizierung setzen. Andere Regionen, wie Afrika oder Lateinamerika, werden nicht mit dem gleichen Tempo folgen. In Afrika zum Beispiel haben wir nur einen geringen Neufahrzeuganteil. Und gebrauchte E-Fahrzeuge in nennenswerter Stückzahl, die für einen afrikanischen Markt interessant wären, wird es nicht vor 2030 geben.
Nachhaltig fahren E-Autos erst mit Ökostrom. Auch tragen sie nicht zu einer Lösung des Verkehrschaos in deutschen Städten bei. Wie sieht in Ihren unternehmenseigenen Szenarien in 2030 die Mobilität auf unseren Straßen aus?
Pfitzner: Ich persönlich glaube, es braucht einen Mobilitätsmix aus öffentlichem Verkehr, Bahn, Bus und Individualverkehr, der natürlich möglichst ressourceneffizient und emissionsarm ist. Wir arbeiten an Konzepten für die letzte Meile wie etwa E-Scooter von der Marke Volkswagen. Bei Nutzfahrzeugen können auch Lastenräder in der urbanen Logistik eine Rolle spielen. Insgesamt geht es um ein viel breiteres Bild als in der Vergangenheit beim Blick auf individuelle Mobilität. Wir werden in einigen Bereichen auch komplett neue Services sehen. Hier sind wir als Volkswagen mit Moia zum Beispiel unterwegs. Moia-Shuttlebusse gibt es bereits in Hannover und jetzt auch in Hamburg. Das alles sind sinnvolle Ergänzungen im Bereich urbaner Mobilität.
Jetzt haben wir über einen ganz wichtigen Stakeholder noch nicht gesprochen: die Verbraucher. Viele scheuen die hohen Kosten oder es fehlt ihnen schlichtweg das Geld. Ich denke da etwa an Krankenschwestern oder Angestellte, die jeden Tag auf das Auto angewiesen sind, um zur Arbeit zu fahren. Ist Autofahren künftig ein Luxus? Wo bleibt die soziale Dimension der Mobilität?
Pfitzner: Sie sprechen einen ganz wichtigen Punkt an. Die soziale Dimension der Mobilität ist wichtig. Das Unternehmen heißt schließlich Volkswagen. Unser Vorstandsvorsitzender Herbert Diess hat neulich schön pointiert ausgedrückt: „We are producing E-Mobility for millions and not for millionaires.“
Aber es stimmt: Die ersten Elektrofahrzeuge waren natürlich wesentlich teurer als Verbrenner. Das ist aber bei jeder Pioniertechnologie der Fall. Was wir im zweiten Schritt sehen werden, etwa beim Volkswagen ID im nächsten Jahr, sind Fahrzeuge, die vom Preis her konkurrenzfähig zu einem Golf Diesel sind. Zumal bei Verbrennern die Kosten für Abgasreinigung steigen werden. E-Modelle sind außerdem perspektivisch weniger serviceintensiv, weil sie weniger Verschleißteile haben. Das Argument, dass E- Mobilität viel teurer ist, gehört deshalb in wenigen Jahren der Vergangenheit an.
Lassen Sie uns mit konkreten Zahlen rechnen: Sie sagen, ein E-Mobil kostet künftig so viel wie ein Golf, also rund 30.000 bis 40.000 Euro. Einen kleinen Benziner von Skoda oder Seat bekommt der Kunde aber schon für 10.000 bis 12.000 Euro. Das sind ganz andere Welten!
Pfitzner: Die Fahrzeuge, die Sie nennen, werden wegen der viel strengeren Anforderungen bei der Abgasreinigung um einiges teurer werden müssen. Aber es ist tatsächlich eine Herausforderung, in dem Kleinwagen A-Segment günstige Batterie-elektrische Fahrzeuge zu bauen. Auch der gesetzliche Rahmen, insbesondere beim Flottenverbrauch, macht es im Moment nicht besonders attraktiv, kleine E-Autos zu bauen. Denkbar wären etwa Kooperationen auf Basis einer reduzierten MEB-Plattform, bei der kleine Partner mit anderen Kostenstrukturen dieses Segment adressieren. Hier ist die Politik gefordert, Akzente zu setzen, damit kleine E-Fahrzeuge attraktiv werden.
Nicht jeder Kunde kauft nachhaltig. Vor Jahren haben Sie mit dem 3-Liter-Auto Lupo bereits leidvolle Erfahrungen gesammelt. Ist ein "changing mindset" möglich oder überhaupt wünschenswert?
Pfitzner: Wir haben beim Thema Elektromobilität diesmal eine ganz andere Dimension des Wandels. Es geht wirklich um eine Systemwende. Das betrifft unsere Lieferketten und die Fertigungstiefe, das betrifft natürlich auch unsere Beschäftigten wie auch die nationale Energieversorgungs-Infrastruktur. Neben dieser Infrastruktur, da haben Sie völlig recht, ist Verbraucherakzeptanz die entscheidende Voraussetzung. Das ist eine Anstrengung, bei der es viele Stakeholder braucht, damit es gelingt. Wir müssen die Einstiegshürde überwinden, damit die Leute bereit sind, sich in ein E-Auto zu setzen. Ich selbst war zum Beispiel völlig verblüfft, wie leise ein Hybridfahrzeug ist und was für einen Spaß das macht, wenn der Elektromotor ab Geschwindigkeit null anzieht.
Masse statt Manufaktur: Volkswagen stellte Anfang 2018 den modularen Elektroauto-Baukasten MEB vor. Was ist daran so neu und vor allem anders?
Pfitzner: Früher haben wir im Grunde genommen bei einem Verbrennermodell den Motor herausgenommen und geschaut, wo wir die Batterien und den Elektromotor unterbekommen. Alle künftigen Modelle auf der MEB-Plattform sind komplett neu designed, weil im Grunde genommen das Auto rund um die Batterie gebaut wird. Sie haben wahrscheinlich schon die entsprechenden Skizzen gesehen, auf denen der Boden im Grunde genommen gepflastert ist mit Batterien und erst darauf eine Karosserie und alles Weitere gebaut wird. Das ist für die Fertigung natürlich äußerst attraktiv, weil sie dann eben nicht im Manufakturmaßstab, sondern industriell produzieren. Starke Standardisierung und Skalierung wiederum senkt die Fertigungskosten.
Das Auto um die Batterie herum bauen, ist ein gutes Stichwort. Batterien in E-Autos beinhalten Rohstoffe wie Lithium oder Kobalt. Beim Abbau kommt es zu zahlreichen Umweltverstößen und Menschenrechtsverletzungen. Wie will Volkswagen seiner Verantwortung in der Lieferkette hier nachkommen?
Pfitzner: Eine sehr wichtige Frage. Zuerst stellen wir das dadurch sicher, dass wir größtmögliche Transparenz über die gesamte Lieferkette erzeugen. Im Bereich Batterien haben wir vor etwa anderthalb Jahren beim Lieferantentag die komplette Wertschöpfungskette, angefangen von der Minengesellschaft über die Anoden-/Kathoden-Produzenten bis zum Zellenlieferanten, eingeladen und gemeinsam genau analysiert, was in welcher Stufe der Wertschöpfung passiert.
Das Zweite ist, dass wir schon sehr lange Nachhaltigkeitsanforderungen als Basis für Geschäfte an unsere Lieferanten stellen. In diesem Jahr werden wir zudem ein erweitertes Sustainability Rating für Lieferanten einführen, dass Mindestkriterien bei Umweltschutz-Compliance und sozialen Aspekten beinhaltet.
Damit decken wir Teil der TIER1-Lieferanten ab, mit denen wir eine direkte Vertragsbeziehung haben. Dann geht es natürlich darum, wie wir darüber hinaus unsere Anforderungen upstream in die Lieferkette hereinbekommen. Hier setzen wir auf Kooperationen, sei es eigene, wie etwa im Bereich Lithium, oder durch die Zusammenarbeit in Branchen-Initiativen: Wir sind zum Beispiel Mitglied in der Initiative Drive Sustainabilityv on CSR Europe, die vor allem menschenrechtliche Sorgfaltspflichten adressiert. Ein anderes Beispiel ist das World Economic Forum, dass die sogenannte Global Battery Alliance ins Leben gerufen hat, bei der Minenbetreiber, Zellenhersteller und OEMs zusammenarbeiten, um die kritischen Punkte in der Lieferkette zu adressieren und sicherzustellen, dass Umwelt- und Sozialstandards eingehalten werden.
Hat man da immer die Marktmacht, um das wirklich durchzusetzen?
Pfitzner: Ich habe kürzlich mit den Supply Chain-Kollegen gesprochen, weil es bei uns natürlich eine entsprechende Überwachung, Audits wie auch Self Assessments bei Lieferanten, gibt. Und wenn wir bei einem Lieferanten Non-Compliance feststellen oder Indikationen von dritter Seite haben, dann gibt es ein Onsite-Audit und einen Korrekturplan. Und wenn das nicht abgestellt wird, dann wird so ein Lieferant auch gesperrt. Das passiert hin und wieder, aber da sind wir auch sehr rigide. Daran hängt auch unsere Reputation.
Werden Sie künftig wieder mehr Produktion in die eigenen Werke zurückholen und eine höhere Fertigungstiefe vor Ort haben?
Pfitzner: Ich glaube nicht, dass wir ein massives Insourcing von Zulieferteilen betreiben werden. Aber das, was bei Elektromotoren neu hinzukommt, fertigen wir eher selbst.
In Schweden bauen die Firma Uniti und Siemens Autos in einer komplett automatisierten Fabrik. Ist das auch ein Szenario für Deutschland? Und was heißt das für die Belegschaften?
Pfitzner: Beim Elektrofahrzeug brauche ich keinen Abgasstrang und kein Getriebe mehr. Das heißt, ich brauche deutlich weniger Komponenten. Und damit weniger Menschen, die diese Dinge zusammenbauen. Das ist Fakt. Das ist ein Stück des Strukturwandels. Wichtig ist uns, dass wir diesen sozialverträglich und im Dialog mit dem Betriebsrat gestalten. Es ist tatsächlich eine große Herausforderung und es ist uns wichtig, die Menschen mitzunehmen. Auf der anderen Seite müssen wir schauen, wo wir dafür die „Digital Natives“ herbekommen, die wir in anderen Bereichen brauchen. Im neuen Projekt „Fakultät 73“ etwa bilden wir Quereinsteiger für das Thema Softwareentwicklung aus, weil das Thema Software immer bedeutender wird. Automobilproduktion braucht auch zukünftig qualifizierte Mitarbeiter.
Vielen Dank für das Gespräch!