Trendwende auf dem Fahrradmarkt
Die Fahrradindustrie steht vor einem Umbruch: Erstmals sinkende Verkaufszahlen bei E-Bikes und ein anhaltender Rückgang bei mechanischen Fahrrädern signalisieren eine Trendwende. Laut der EY Fahrradstudie 2023 steht die Branche vor tiefgreifenden Veränderungen.
26.07.2024
Fahrradindustrie 2023: Erstmals Rückgang bei E-Bikes, Preise steigen moderat
Der deutsche E-Bike-Markt verzeichnete im Jahr 2023 einen leichten Rückgang. Erstmals wurde ein Absatzrückgang von fünf Prozent auf 2,1 Millionen verkaufte E-Bikes registriert. Gleichzeitig stiegen die Preise weiterhin, wenn auch moderater als im Vorjahr. Der durchschnittliche Verkaufspreis erhöhte sich um fünf Prozent auf 2.950 Euro. Im Jahr 2022 betrug der Anstieg noch 18 Prozent. Im Gegensatz dazu verzeichnete der europäische Markt einen Preisrückgang von acht Prozent.
Besonders massive Einbrüche verzeichnet hingegen der Markt für herkömmliche Fahrräder: Im letzten Jahr wurden hierzulande nur noch 1,9 Millionen nicht mechanische Fahrräder verkauft, im Vergleich zu 2,4 Millionen im Jahr zuvor – ein Rückgang um 21 Prozent. Im Jahr 2020 fanden noch 3,1 Millionen mechanische Fahrräder einen Käufer. Zudem sanken auch die durchschnittlichen Verkaufspreise um fünf Prozent von 494 auf 470 Euro.
2023 wurden in Deutschland somit erstmals mehr E-Bikes als herkömmliche Fahrräder verkauft. Das Wachstum wurde insbesondere durch den Absatz von E-Lastenrädern begünstigt, die in der Regel zu den hochpreisigen Produkten zählen. Der Verkauf dieser E-Lastenräder hat sich seit 2019 dabei fast vervierfacht und ist im letzten Jahr um 15 Prozent gestiegen. Mittlerweile ist jedes elfte verkaufte E-Bike in Deutschland ein E-Lastenfahrrad.
Insgesamt verzeichnete der Fahrradmarkt im vergangenen Jahr nicht nur in Deutschland, sondern auch in ganz Europa einen Rückgang. Der Umsatz sank um neun Prozent, der Absatz um 17 Prozent. In Deutschland ging der Umsatz um vier Prozent auf 7,1 Milliarden Euro zurück. Auf dem zweitgrößten Markt Spanien wurden noch größere Einbußen verzeichnet, wo der Umsatz um 23 Prozent einbrach.
„Wir sehen überall in Europa einen spürbaren Abschwung auf dem Fahrradmarkt“, sagt Dr. Stefan Mohr, Partner und in der Region Europe West verantwortlich für das Sportbusiness bei EY. „Besonders massiv sind die Einbußen zwar bei mechanischen Fahrrädern, inzwischen sind aber auch auf dem E-Bike-Markt die Boom-Zeiten vorbei.“ Die vergangenen Jahre seien für die Branche trotz der insgesamt positiven Umsatzentwicklung schwierig gewesen, so Mohr: „Seit dem Ausbruch der Pandemie gab es eine regelrechte Achterbahnfahrt bei der Nachfrage. Zunächst stieg diese massiv, was zu Rekordverkäufen und hohen Bestellungen führte. Dann kam es zu Unterbrechungen der Lieferketten und erheblichen Lieferproblemen. Und aktuell normalisiert sich die Nachfrage auf einem niedrigeren Niveau, während die Lagerbestände immer noch hoch sind. Die Folge: Der Markt konsolidiert sich, der Wettbewerb nimmt zu, der Preisdruck steigt – und nicht alle Anbieter werden den aktuellen Ausleseprozess überleben.“ Eine EY-Umfrage unter 40 Branchenteilnehmer:innen und -expert:innen zeigt, dass 71 Prozent einen Anstieg der Insolvenzen und 63 Prozent eine Zunahme von Fusionen und Übernahmen in der Fahrradindustrie innerhalb der nächsten zwei Jahre erwarten.
Constantin M. Gall, Managing Partner und Leiter Mobility bei EY für die Region Europe West, beurteilt die Branchenentwicklung insgesamt dennoch positiv: „Mittelfristig gehen wir von einem Umsatzwachstum von vier bis fünf Prozent pro Jahr aus. Wir werden also ein dauerhaft hohes Absatzniveau bei E-Bikes sehen. Denn der Trend geht weiter in Richtung E-Mobilität: Angesichts des Klimawandels und der Umweltverschmutzung suchen Menschen nach umweltfreundlicheren Transportmitteln. E-Bikes bieten eine emissionsfreie Alternative zu Autos für kurze bis mittlere Strecken. Zudem haben Verbesserungen in der Batterietechnologie zu leistungsfähigeren und langlebigeren Akkus geführt, was die Reichweite und Zuverlässigkeit von E-Bikes erhöht. Auch die Auswahl an E-Bike-Modellen hat sich erweitert, und es gibt nun Optionen für fast jeden Bedarf und Geschmack, von Stadt- und Trekkingrädern bis hin zu E-Mountainbikes und E-Lastenrädern.“
Rückgang bei Kinder- und Jugendfahrrädern
In den letzten Jahren ist der Verkauf von Kinder- und Jugendfahrrädern drastisch gesunken: Im vergangenen Jahr sanken die Verkäufe um acht Prozent, seit 2019 sogar um 37 Prozent. Während sich der Absatzrückgang bei herkömmlichen Fahrrädern hauptsächlich durch den Erfolg der E-Bikes erklären lässt, trifft diese Erklärung im Bereich der Kinder- und Jugendfahrräder trifft nicht zu, da es in diesem Segment kaum E-Bikes gibt. „Die stark sinkende Zahl an verkauften Kinder- und Jugendfahrrädern könnte auf den seit Corona allgemein beobachteten Trend zu weniger Bewegung bei Kindern zurückzuführen sein“, sagt Mohr. „Kinder und Jugendliche in Deutschland verbringen zu wenig Zeit mit körperlichen Aktivitäten – das spürt die Fahrradbranche jetzt schon.“
Dienstrad-Leasing als Wachstumsmotor
Das Leasing von Diensträdern, insbesondere von E-Bikes, treibt den Fahrradmarkt maßgeblich voran. Für Deutschland wird bis 2028 ein jährliches Wachstum von zwölf Prozent auf 4,5 Milliarden Euro erwartet, während das europaweite Marktpotenzial bis 2028 auf zehn Milliarden Euro geschätzt wird. Weiterhin sind in Deutschland bereits 80 Prozent der geleasten Fahrräder E-Bikes. „Der Markt für Fahrradleasing entwickelt sich sehr dynamisch und zieht zunehmend auch Private-Equity-Investoren an, die sich Chancen durch eine aktive Konsolidierung der bislang noch recht fragmentierten Branche der Leasing-Anbieter ausrechnen“, beobachtet Mohr. „Zumeist handelt es sich um noch junge Unternehmen, die aber profitabel arbeiten und beeindruckende Wachstumszahlen vorweisen können.“