Produktion

„Es wird schwierig, Produkte ohne Konformitätsnachweis zu verkaufen“

Die Materialien von Produkten müssen heute nicht nur mit Kundenansprüchen, sondern auch mit Gesetzen konform sein. Im Umweltbereich zählen dazu etwa die europäische Chemikalienverordnung REACH oder die EU-Richtlinie RoHS. Der Software- und Dienstleistungsanbieter tec4U-Solutions unterstützt mit seinen unterschiedlichen Angeboten Unternehmen beim Managen ihrer Daten zur Material Compliance entlang der gesamten Lieferkette. Wie das funktioniert, erklärt der Geschäftsführer des Softwareanbieters, Stefan Nieser, in einem Interview mit UmweltDialog.

08.07.2015

„Es wird schwierig, Produkte ohne Konformitätsnachweis zu verkaufen“ zoom
Alle Industrien sind von Material Compliance Gesetzgebungen betroffen.

UmweltDialog (UD): Früher hat es gereicht, wenn Produkte funktionierten, sicher waren und ihr Preis-Leistungsverhältnis stimmte. Heute werden Umweltauflagen weiter gefasst. Warum?

Stefan Nieser: Bereits 1980 wurde mit der ersten Fassung des deutschen Chemikaliengesetzes verbindlich festgelegt, welche Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und der Arbeitnehmer notwendig sind. Allerdings trifft es zu, dass in den letzten 20 Jahren die Inanspruchnahme der Umwelt eines Produktes nicht nur auf dessen Herstellung, sondern auch auf dessen Nutzung und Verwertung/Entsorgung ausgedehnt wurde. Die europäische Chemikalienverordnung REACH oder die EU-Richtlinie RoHS als branchenübergreifende Regelwerke setzen hierbei neue Maßstäbe. Das gleiche gilt für branchenspezifische Gesetze, wie z. B. die Spielzeugrichtlinie.

Neben diesen gesetzlichen Vorgaben stehen aber auch die Marktanforderungen im Vordergrund. Durch die immer stärkere Reglementierung von Substanzen in Produkten oder Anwendungen besteht ein nicht zu vernachlässigendes Risiko, dass Substanzen und damit auch Produkte unbemerkt aus dem Markt verschwinden. Innerhalb der Lieferantenkette kann dies zu plötzlichem Lieferantenmaterial-/Produktausfall führen, der nur mit hohen Risiken und/oder Kosten substituiert werden kann. Die Folge ist, dass große Unternehmen bereits heute ein schärferes Materialmonitoring und vorgreifende Erfüllung von gesetzlichen Auflagen verlangen.

UD: Welche Konsequenzen drohen den Unternehmen, wenn sie die Umweltvorschriften für ihre Produkte missachten?

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Nieser: Der Vollzug durch die Vollzugsbehörden steht für Unternehmen oder deren Leitung erst am Anfang, und es gab in der Vergangenheit noch keine hohen Strafen für Verstöße gegen die Material Compliance Vorgaben.

Es ist vielmehr entscheidend, was in der Folge aus einer Material Compliance Verfehlung entstehen kann. Je nach Verstoß kann es erforderlich sein, Produkte im Markt zurückzurufen oder bestimmte Teile beim Kunden auszutauschen. Diese Aktionen sind gängigerweise über eine Unternehmenshaftpflicht abgedeckt, welche aber nur dann wirksam wird, wenn im Schadensfall keine Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann. Dies bedeutet, wenn das Unternehmen keine entsprechenden Prozesse zur Absicherung der Material Compliance implementiert hat, bleibt es möglicherweise auf den Kosten der Aktion sitzen. Wir reden hier schnell über sechsstellige Beträge.

UD: Ist das ein Sieg für die Nachhaltigkeit, oder bedeutet das nur mehr Bürokratie?

Nieser: Beide Fragen würde ich bejahen. Auf der einen Seite ist es ein großer Sprung zur verbesserten Nachhaltigkeit. Umso mehr, als dass der Druck von Seiten der Wirtschaftsbeteiligten kommt. Auf der anderen Seite aber auch mehr Bürokratie, wobei sich das Thema Material Compliance sehr gut über intelligente Prozessintegration umsetzen lässt und mit softwaretechnischer Unterstützung hält sich auch der operative Aufwand in Grenzen.

UD: Herr Nieser, Sie gewährleisten, dass Unternehmen in fünf Schritten die Produktanforderungen entlang der gesamten Lieferkette umsetzen. Wie das?

Nieser: Genauso, wie ein Kind erst kabbelt, bevor es geht oder läuft, so ist es auch bei der Umsetzung der Material Compliance wichtig, eine sich entwickelnde Umsetzungsstrategie zu wählen.

Schritte zur Material Compliance.
Schritte zur Material Compliance.

Im ersten Schritt bedeutet dies, sich Klarheit zu verschaffen, welche Anforderungen an das Produkt und das Unternehmen bezüglich der Umsetzung der Material Compliance gestellt werden und wie diese im Unternehmen umgesetzt werden. tec4U-Solutions setzt dies in einem Prozessworkshop um, in den alle Unternehmensbereiche eingebunden werden. Neben der Sensibilisierung der Bereiche erfolgt hierin die ganzheitliche Prozessintegration der Material Compliance in die bestehenden Unternehmensprozesse. Dies wird darüber hinaus auch in Dokumenten wie Einkaufsbedingungen, Qualitätsvereinbarungen, CSR-Leitlinien oder Entwicklungslastenheften fixiert.

Erst nach diesem Schritt ist es möglich, einen Ressourcen- und Umsetzungsplan aufzustellen und vom Management freigeben zu lassen. Dies ist dann auch der Punkt, an dem sich zeigt, ob das Unternehmen das Thema Material Compliance zukünftig umsetzen will/wird oder nicht.

Im nächsten Schritt wird je nach Unternehmensgröße eine Risikoanalyse notwendig, um Produkte oder Lieferanten mit einem hohen Risikopotenzial ausfindig zu machen.

UD: Nach welchen Kriterien wird denn das Risikopotential bestimmt?

Nieser: Das Verfahren ist recht kompliziert. Vereinfacht lässt sich sagen, je höherwertig und spezieller die technische Anwendung des Produktes und je kleiner der Lieferant und je östlicher der Firmensitz ist, umso höher ist das Risiko.

UD: Aber zurück zu den Schritten hin zur Material Compliance.

Nieser: Nachdem die Prozesse installiert, die Verantwortlichkeiten definiert und die Ressourcen bereitgestellt wurden, gilt es, die Vorgaben operativ umzusetzen. Neben den internen Prozessmaßnahmen heißt dies vor allem, in die Lieferantenkommunikation einzusteigen. Hierbei steht und fällt das Thema mit der Art der Ansprache des Lieferanten. Wer nicht partnerschaftlich mit dem Lieferanten umgeht und diesen nicht unterstützt, wird keine Informationen bekommen. Die Lieferantenanfrage kann heute nur noch sinnvoll über eine entsprechende Kommunikationssoftware erfolgen. Die Zeiten von Excel zur Dokumentation der Lieferantenkommunikation sind schon lange vorbei.

Im letzten Schritt gilt es dann, die Prozesse zu festigen und die Lieferantenkommunikation sowohl quantitativ wie auch qualitativ auszubauen.

UD: Sie unterstützen die Unternehmen dabei mit verschiedenen Software-und Dienstleistungsangeboten. Was bieten Sie konkret an?

Nieser: Wie in unserem Umsetzungsplan beschrieben, bieten wir zuerst die prozessseitige Umsetzung der Anforderungen der Material Compliance im Unternehmen an.

Des Weiteren bieten wir mit unserer Software MDS.web ein Softwaretool, das dokumentationssicher die Kommunikation im Themenumfeld der Material Compliance ermöglicht. Als Webapplikation können die Lieferanten unkompliziert angesprochen werden. Diese haben wiederum die Möglichkeit, ihre Informationen im System einzugeben bzw. entsprechende Dokumente hochzuladen. Als Kommunikationssoftware unterstützt MDS.web den kompletten Kommunikations- und Auswerteprozess. Mit einem Mindestmaß an Ressourceneinsatz ermöglicht die Software so, eine rechtssichere Dokumentation aufzubauen. Das integrierte Gefahrstoffmanagement rundet zudem die Anforderungen der REACH-Verordnung ab.

Da die Unternehmen oftmals nicht die Personalressourcen haben, um die Kommunikation gerade in der Anlaufphase alleine zu stemmen, unterstützt tec4U auch operativ beim Materialdatenmanagement und der Lieferantenkommunikation.

Stefan Nieser, Geschäftsführer von tec4U-Solutions.
Stefan Nieser, Geschäftsführer von tec4U-Solutions.

UD: Das bedeutet, die Unternehmen könnten das Thema Material Compliance komplett auslagern?

Nieser: Im Prinzip schon. In einigen Unternehmen stellen wir auch den externen „Material Compliance Beauftragten“, der in einer Querschnittsfunktion die einzelnen Bereiche des Kunden supportet und als interner/externer Ansprechpartner fungiert. Gleichwohl, die eigentliche produktseitige Umsetzung verbleibt im Unternehmen.

UD: Was können Unternehmen noch von tec4U-Solutions erwarten?

Nieser: Wir werden unsere kundenorientierten Lösungen, insbesondere im Servicebereich, weiter ausbauen, um die Unternehmen noch effektiver in der Vorgabenumsetzung zu unterstützen. In Bezug auf die Erweiterung der Nutzbarkeit unser Software MDS.web, wie auch innerhalb unseres ganzheitlichen Dienstleistungsangebots, werden wir in den nächsten Monaten dem Markt noch einige interessante Lösungsmöglichkeiten offerieren.

UD: Eine Einschätzung Ihrerseits: Ist die Notwendigkeit von Material Compliance schon bei allen Verantwortlichen angekommen?

Nieser: Hier muss ich leider mit einem klaren Nein antworten. Es ist vielen Managern noch nicht klar geworden, dass die Material Compliance ein Produktmerkmal ist, welches alle an diesem Begriff festzumachenden Haftungsrisiken trägt! Hierbei sind sowohl strafrechtliche wie auch zivilrechtliche Konsequenzen zu sehen, welche im Falle der Fahrlässigkeit von kaum einer Haftpflichtversicherung abgedeckt sind.

Gleichermaßen schwerwiegend sind die potenziellen Produktionsausfallrisiken, die durch den plötzlichen Wegfall von Materialien entstehen können, welche den Material-Anforderungen nicht mehr genügen.

In beiden Fällen kann man durch die vorab dargestellten Schritte mit geringem Aufwand das Risiko maßgeblich reduzieren. Doch dazu muss zuerst die Notwendigkeit erkannt werden.

UD: Wie sehen Sie die Entwicklung in naher Zukunft?

Nieser: Die Notwendigkeit zum Handeln wird derzeit über die Endprodukthersteller sehr stark in den Markt kommuniziert, und es wird in den nächsten Monaten sehr schwierig, oder in bestimmten Branchen gar unmöglich sein, Produkte ohne Konformitätsnachweis zu verkaufen. Wer diese Entwicklung auf Herstellerseite verschläft, wird über den Markt umsatzrelevant zur Rechenschaft gezogen. Aus diesem Grund ist zu erwarten, dass das Thema Material Compliance in der nächsten Zeit an Brisanz gewinnt und entsprechende Ressourcen in den Unternehmen freigegeben werden.

UD: Vielen Dank für das Gespräch!

Quelle: UmweltDialog
 

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