Für mehr MI(N)T-Macher
Auf dem deutschen Arbeitsmarkt herrscht akuter Fachkräftemangel. Neben Handwerkern fehlt es vor allem in den MINT-Bereichen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) an qualifizierten Arbeitskräften. Die Nachwuchsförderung spielt deshalb eine große Rolle. Doch wie begeistert man junge Menschen für Naturwissenschaft und Forschung?
13.11.2018
Camilla und Charlotte begutachten eine Flüssigkeit in einem schmalen Reagenzglas: „Hammer, so deutlich haben wir das noch nie hingekriegt!“, freuen sie sich. Im Reagenzglas trennt sich eine klare Flüssigkeit von einer trüben Schicht. Ein weiß-durchsichtiges Stück steigt nach oben. Es ist die Erbsubstanz einer Zwiebel. Die Gymnasiastinnen haben diese im Forschungs- und Entwicklungszentrum, dem „Baylab“, in Wuppertal isoliert. Ihre Lehrerin Anette Wissing, die heute den Kurs begleitet, gehörte vor Jahren selbst zu den Teilnehmern. Sie erinnert sich noch genau an ihren damaligen Besuch im Baylab: „Das hat meine Berufswahl beeinflusst. Ich habe erlebt, wie wissenschaftliches Arbeiten funktioniert.“
Seit 20 Jahren haben Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, in den Baylabs zu forschen. Der Chemiekonzern Bayer möchte so die Faszination für Wissenschaft und Forschung an junge Menschen weitergeben und ihnen einen Zugang zu naturwissenschaftlichen Disziplinen verschaffen. Mit Experimenten und Lernprogrammen lernen sie Naturwissenschaften praxisnah kennen. Die Idee ist: Schulunterricht ergänzen, Teilhabe ermöglichen und Lehrer unterstützen. „Wir möchten die Freude am Entdecken fördern und Forschung bei jungen Menschen erlebbar machen“, erklärt Dr. Birgit Faßbender, Gründerin und Gesamtkoordinatorin der Baylabs. „Was man selbst tut, begreift man am besten.“ Rund 20.000 Schülerinnen und Schüler nehmen pro Jahr die Angebote in den Baylabs wahr.
Freude am Forschen
Dabei hat jedes Baylab einen anderen Forschungsschwerpunkt. In Wuppertal experimentieren Kinder und Jugendliche mit Materialien, die sie aus dem Alltag kennen wie Filzstifte, Gewürzen oder Kaffee. Hier stehen vor allem chemische und molekularbiologische Themen im Fokus. Im Baylab in Monheim wiederum liegt der Fokus auf der Pflanzenforschung, in Berlin experimentieren die Nachwuchsforscher mit Lebensmitteln und bestimmen beispielsweise den pH-Wert von Cola. Insgesamt gibt es 15 Baylabs weltweit, fünf in Deutschland und zehn in Ländern wie Mexiko, Polen, Vietnam und Rumänien.
Im Leverkusener Baylab hat man sich zum 20-jährigen Jubiläum etwas Besonderes einfallen lassen. Ab November starten dort regelmäßig die Forscherwerkstatt und verschiedene Workshops für Jugendliche und Erwachsene. An jedem ersten Freitag des Monats können Interessierte ab 16 Jahren an den zweitstündigen Workshops teilnehmen. Beim Starttermin am 9. November 2018 drehte sich alles um die menschliche Erbsubstanz. Die Teilnehmer isolierten dabei unter anderem ihre eigene DNA und nahmen diese anschließend in einer Kette als Andenken mit nach Hause. An zukünftig jedem letzten Freitag des Monats sind Familien mit Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren in die Forscherwerkstatt eingeladen. Unter anderem erkunden sie die Organe des menschlichen Körpers oder experimentieren mit Düften und Licht.
Mit Kernen gegen Krebs
Bayer bietet nicht nur Orte zum Forschen an. Zusätzlich fördern die Leverkusener mit ihrer „Bayer Science & Education Foundation“ naturwissenschaftliche Unterrichtskonzepte. So unterstützen sie etwa das Kant-Gymnasium aus Weil am Rhein. Die Schüler dort befassen sich mit der Frage, ob Aprikosenkerne die Basis für ein neues Krebsmedikament sein können. In vorherigen Tests konnten sie beim Verzehr der Kerne einen freiwerdenden Gehalt an Amygdalin ermitteln, ein Wirkstoff, der die Heilung von Krebs fördern soll. Mit der Unterstützung der Bayer Foundation wollen die Schüler nun ein Photometer erwerben, das ihnen die weitere Forschung an diesem Projekt ermöglicht. „Mit der Umsetzung von attraktiven Unterrichtskonzepten werden Kinder und Jugendliche nachhaltig für Wissenschaft und Forschung begeistert“, sagt Thimo Schmitt-Lord, Vorstand der Bayer-Stiftungen. „Durch den ausgeprägten Praxisbezug der Projekte tragen Lehrer dabei den Forschergeist förmlich ins Klassenzimmer. Damit fördern sie Kreativität, Neugier und letztlich auch die Berufsperspektiven junger Menschen – das unterstützen wir aus voller Überzeugung.“
Der Nachwuchs fehlt
Eine solche Unterstützung ist derzeit mehr als nötig. Denn: Die Arbeitskräftelücke im MINT-Bereich ist so groß wie nie zuvor. Zu diesem Ergebnis kommt der MINT-Frühjahrsreport der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Demnach fehlten im Juli mehr als 330.000 Fachkräfte, ein Allzeithoch seit Beginn der Aufzeichnungen in 2011. „Der Engpass an naturwissenschaftlich-technisch qualifizierten Arbeitskräften ist ein strukturelles Problem, das hohe Wertschöpfungsverluste für die deutsche Volkswirtschaft verursacht“, warnt der BDA.
Eine besonders große Herausforderung ist der Mangel an Nachwuchs in den MINT-Qualifikationen. „MINT-Fachkräfte-Engpässe gibt es sowohl im akademischen als auch im Bereich der MINT-Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung. Hier werden in gravierendem Umfang Bewerberinnen und Bewerber fehlen“, warnt das Netzwerk „MINT Zukunft schaffen“. Die bundesweite Initiative fordert: „Um die Zahl qualifizierter Bewerberinnen und Bewerber für MINT-Ausbildungsberufe und -Studiengänge signifikant zu steigern, müssen alle Talentquellen ausgeschöpft und Bildungsbarrieren konsequent abgebaut werden.“ Das weiß auch Bayer. „Als forschungsorientiertes Unternehmen sind wir in hohem Maße auf gut ausgebildete Nachwuchskräfte und auf Technikakzeptanz angewiesen“, betonen die Leverkusener.