Politik

„Der Staat ist nicht dazu da, das Überleben von Unternehmen zu sichern“

Eine ökologische Transformation der Gesellschaft schaffen wir nur, wenn Unternehmen innovativ sind und Fortschritte implementieren, so Professor Marcel Fratzscher, Ökonom und Präsident des DIW Berlin. Warum nur die soziale Marktwirtschaft das Wirtschaftsmodell der Zukunft sein kann, erläutert er im Gespräch mit UmweltDialog.

13.06.2023

„Der Staat ist nicht dazu da, das Überleben von Unternehmen zu sichern“
Professor Marcel Fratzscher

UmweltDialog: ‚Weg vom Primat der Wirtschaft über Politik und Gesellschaft‘ lautet Ihre Forderung an ein künftiges Wirtschaftsmodell. Dabei verlangen Sie nicht weniger als eine komplette Neuerfindung des bestehenden Systems. Warum? 

Prof. Marcel Fratzscher: Ich fordere nicht unbedingt eine Neuerfindung des Wirtschaftssystems. Vielmehr spreche ich mich für einen grundlegenden Wandel zu dem aus, was wir in der Vergangenheit nach dem Zweiten Weltkrieg über 40 Jahre in Westdeutschland mit unserem Wirtschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft hatten. Aktuell haben wir leider ein falsches Verständnis davon, was die Aufgaben des Staates sind. Auf der einen Seite fordern Unternehmen immer eine niedrige Steuerbelastung und verbitten sich eine staatliche Einmischung in ihre Belange, wenn es ihnen gut geht. In Krisensituationen denken viele Unternehmen allerdings, dass der Staat jeden Betrieb retten und sicherstellen muss, dass sie überleben und Geld verdienen können. Dazu gehört dann, dass der Staat riesige wirtschaftliche Hilfen leistet und beispielsweise Energiepreise deckelt, sodass die Unternehmen vor der Konkurrenz aus dem Ausland geschützt werden.

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Was ist denn daran schlecht? 

Prof. Fratzscher: Aus der wirtschaftlichen Perspektive ist das extrem gefährlich, denn Unternehmen sind nur dann innovativ, wenn sie im Wettbewerb stehen und den notwendigen Druck haben, mit anderen Unternehmen mitzuhalten. Gute Entscheidungen müssen belohnt werden, während falsche Entscheidungen und schlechte Geschäftsmodelle konsequenterweise zum Verlassen des Marktes führen müssen. 

Denn eines ist klar: Eine ökologische Transformation unserer Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit können wir nur schaffen, wenn Unternehmen innovativ sind, gute Ideen haben und Fortschritte implementieren. Und damit diese erfolgreich sind, müssen in Zukunft jene Betriebe pleitegehen, deren Geschäftsmodell nicht mehr zeitgemäß ist und die sich gegen den ökologischen Fortschritt stellen. In der Ökonomie nennt man diesen Vorgang ‚kreative Zerstörung‘. Momentan behindert die Politik diesen Prozess, weil sie alte Strukturen durch massive Subventionen zementiert, entscheidet, wer Unterstützung erhält und wer nicht, und die Risiken der Unternehmen übernimmt. 

Aber: Der Staat ist nicht dazu da, den Unternehmen das Überleben zu sichern, sondern klare Rahmenbedingungen zu setzen, in denen alle Betriebe die gleichen Chancen und Voraussetzungen haben, indem sie sich im Wettbewerb um die besten Ideen messen.

Die Wählerinnen und Wähler werden es der Politik aber mit ihren Wahlstimmen danken, denn das, was Sie fordern, führt unweigerlich zu Arbeitsplatzverlusten. 

Prof. Fratzscher: Die Politik muss immer wieder erklären, worum es eigentlich geht und den Menschen sagen: ‚Schaut mal, wir haben in Deutschland heute ein extrem hohes Maß an Wohlstand, weil sich hierzulande in der Vergangenheit sehr gute Unternehmen erfolgreich durchsetzen konnten und weniger innovative Unternehmen verschwunden sind. Wollt ihr nicht lieber einen guten Job, der zukunftsfähig ist und gut bezahlt wird?‘ 

Wir brauchen ein Modell, das die Interessen künftiger Generationen viel, viel stärker in den Mittelpunkt stellt als bisher. Wie irrsinnig die momentane Praxis ist, zeigt der Kohleausstieg. In der Branche arbeiten immer noch 30.000 Beschäftigte und wir werden dafür in den nächsten 15 Jahren 40 Milliarden Euro ausgeben. Meiner Meinung nach sind Wählerinnen und Wähler sehr viel glücklicher, wenn man ehrlich und transparent kommuniziert, wie die Zukunft aussieht und ihnen hilft, bessere Jobs zu bekommen.

Kann die soziale Marktwirtschaft die sozialen Risiken abmildern, die dieser Transformationsprozess mit sich bringt? 

Prof. Fratzscher: Teil der sozialen Marktwirtschaft ist ja auch ein starkes soziales Sicherungsnetz, das wir in Deutschland haben. Nur muss unser Sozialstaat modernisiert und aktiver werden. Das Problem ist, dass er meistens erst reagiert, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Beispielsweise, wenn ein Mensch bereits arbeitslos ist und seine Fähigkeiten nicht mehr benötigt werden. Das gilt es zu verändern. Dinge wie das lebenslange Lernen müssen einen viel höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommen. 

Natürlich müssen wir parallel unser Bildungssystem modernisieren. Denn das ist miserabel. Im internationalen Vergleich rangieren wir diesbezüglich im unteren Mittelfeld, während wir bezogen auf den materiellen Wohlstand vorne sind. Das passt nicht zusammen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis unser wirtschaftlicher Erfolg schwindet. Und Bildung ist essenziell für all jene Dinge, die wir eben angesprochen haben. Denn Innovationen für eine nachhaltige Zukunft werden von klugen Köpfen gemacht.

Das größte Problem ist auch hier die fehlende Chancengleichheit. Wir sind weit davon entfernt, dass alle Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft, die gleichen Möglichkeiten haben.

Was sind die größten Mängel unseres Bildungssystems? 

Prof. Fratzscher: Das größte Problem ist auch hier die fehlende Chancengleichheit. Wir sind weit davon entfernt, dass alle Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft, die gleichen Möglichkeiten haben. Unser Bildungssystem gibt viel Verantwortung an die Eltern ab, wie zum Beispiel der Mangel an Ganztagsschulen zeigt. Außerdem unternimmt Deutschland am wenigsten, um Kinder in den ersten sechs Lebensjahren zu fördern. Gerade die frühkindliche Bildung ist besonders wichtig für die Entwicklung eines Menschen. Darüber hinaus benötigen wir ein neues Curriculum mit modernen Lerninhalten. Auch das Fach Wirtschaft müsste hier eine wichtige Rolle einnehmen.

Mit der sozialen Marktwirtschaft bewegen wir uns aber immer noch im kapitalistischen System. Einige Stimmen sagen, dass sich Klimaschutz und Wachstum per se ausschließen, weil wir niemals genügend Ökostrom für dauerhaftes Wachstum bereitstellen können. Was halten Sie davon? 

Prof. Fratzscher: Nur die Marktwirtschaft kann Klimaschutz gewährleisten. Denn Klimaschutz erfordert schnelle Anpassung von Unternehmen, es erfordert Innovationsfähigkeit und einen Wettbewerb um die besten Ideen. Der Staat kann nicht verordnen: ‚Unternehmen X‘ entwickelt jetzt ‚Technologie Y‘. So funktioniert Innovationsmanagement nicht. Und wir haben heute mehr denn je einen enormen Druck für Innovationen und für Veränderungen unserer Verhaltensweisen. Zum Thema Wachstum: Ich glaube, wir brauchen nicht eine Abschaffung von Marktwirtschaft im Kapitalismus, sondern wir brauchen eine eindeutige Position, worum es geht. 

Das heißt? 

Prof. Fratzscher: Dass es tatsächlich nicht darum geht, immer mehr materielle Güter herzustellen, sondern um Wohlstand insgesamt. Dazu gehören Gesundheit, eine intakte Umwelt, sozialer Frieden, Glück und Lebenszufriedenheit in einer starken Gemeinschaft, die solidarisch handelt. 

Das hört sich theoretisch gut an. In der Praxis entscheiden aber nach wie vor harte, finanzielle Fakten über den Erfolg unserer Wirtschaft. 

Prof. Fratzscher: Das ist per se nicht schlecht. Auch in diesem Fall geht es um die Rahmenbedingungen, die der Staat festlegen muss. Wenn etwa ein Unternehmen etwas herstellen möchte, bei dem es viele fossile Energieträger verbraucht, muss das über einen extrem hohen CO2-Preis geregelt werden. Oder über Verbote. Es muss klar sein, was Unternehmen tun können und was nicht, weil es keinen nachhaltigen Wert für unsere Gesellschaft hat. 

Ein Gedankenspiel: Sollten Unternehmen, die einen wichtigen ökologischen und sozialen Wert für die Gesellschaft haben, verstaatlicht werden, wenn sie ihren Auftrag nicht erfüllen können? 

Prof. Fratzscher: Es gibt bestimmte Aufgaben, die der Staat besser erledigen kann als Privatunternehmen; wenn nicht Gewinn und Ertrag den Wert des Betriebs bestimmen und Innovationen für die Erfüllung der Aufgabe irrelevant sind. In manchen Bereichen der Daseinsfürsorge etwa. In allen anderen Fällen vergrößert eine Verstaatlichung eines Unternehmens die Probleme hingegen, als dass sie sie verbessern wird. 

Nehmen wir als Beispiel die Deutsche Bahn. Die liefert eine so schlechte Leistung ab, nicht weil sie zu privatwirtschaftlich agiert, sondern weil der Staat dem Unternehmen über Jahrzehnte hinweg nicht das notwendige Geld gegeben hat, um in die Infrastruktur zu investieren. 

Dinge, wie ein funktionierender öffentlicher Nahverkehr oder die Energiewende sind aber essenziell, um unsere Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Glauben Sie, dass wir unseren Vorsatz der Klimaneutralität bis 2045 umsetzen können? 

Prof. Fratzscher: Technologisch gesehen, ja. Erneuerbare Energien etwa sind heute schon viel günstiger als fossile Energieträger und Atomkraft. Die Herausforderung lautet: Haben wir den politischen Willen dazu, dieses Ziel zu erreichen? Wir müssen manch liebgewonnene Gewohnheit ablegen. Stichwort Tempolimit auf Autobahnen. Solange wir nicht dazu bereit sind, diesen verhältnismäßig geringen Preis des langsameren Fahrens zu bezahlen, um Energie zu sparen und in der Übergangszeit mehr Spielraum zu haben, sehe ich schwarz. 

Ich habe die Sorge, dass die Menschen zu egoistisch sind, um ihr Verhalten zu ändern. Wir können aber nicht weiter nach dem Prinzip ‚nach mir die Sinnflut‘ leben und müssen Verantwortung für unser Handeln übernehmen. Momentan suggeriert die Politik den Menschen allerdings, dass das nicht notwendig ist, sie genauso weiter leben können wie bisher und wir dennoch unsere Nachhaltigkeitsziele erreichen. 

Vielen Dank für das Gespräch! 

Dieser Artikel ist im Original im Magazin „UmweltDialog“ zum Thema „Zukunft“ erschienen.

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Quelle: UmweltDialog
 

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