„Die Menschen sind mündig und brauchen keinen erhobenen Zeigefinger“
Wie kann man junge Menschen vom Heimwerken begeistern? Und wie schwer ist es, sozialkonforme Lieferketten für Baumarktprodukte aufzubauen? Das erklärt uns Dominique Rotondi. Er ist Geschäftsführer im Bereich Einkauf und Logistik bei toom Baumarkt. Für die Zukunft wünscht er sich einen unternehmensübergreifenden Wissenstransfer, um CSR in der Baumarktbranche weiter nach vorne zu bringen.
19.08.2019
UmweltDialog: Küche tapezieren, Bad renovieren und das Gartenhaus selbst bauen. Für Opa und Papa gar kein Problem, viele junge Menschen hingegen haben keine Lust zum Heimwerken. Bleiben Ihnen auf lange Sicht die Kunden weg?
Dominique Rotondi: Nein. Auch, wenn viele der Auffassung sind, dass junge Menschen keine Lust zum Heimwerken haben, vertrete ich hier eine andere Position. Jeder wird irgendwann mal in seinem Leben in eine Phase kommen, selbst etwas zu bauen oder im Garten zu arbeiten. Das liegt in unserer DNA.
Außerdem müssen wir in diesem Zusammenhang auch die konjunkturelle Situation berücksichtigen. Den Deutschen geht es derzeit gut. Das heißt, dass sie weniger selber machen, sondern machen lassen. Ob das in zehn Jahren noch der Fall ist, werden wir sehen. Neben unseren Produkten in den Baumärkten bieten wir ja auch einen Handwerkerservice an, über den wir Handwerker vermitteln. Der Vorteil: Die Kunden bekommen die Leistungen mit der toom-Baumarktrechnung und allen erforderlichen Gewährleistungen.
UD: Was tun Sie dafür, um (junge) Leute von Ihrem Heimwerker-Angebot in den Baumärkten zu überzeugen?
Rotondi: Bei toom führen wir unsere Kunden auf unterschiedliche Wege ans Heimwerken heran. Dabei spielen unsere Mitarbeiter in den Baumärkten eine entscheidende Rolle. Denn diese müssen die Fragen der Kunden verständlich beantworten. Es geht darum, unseren Kunden auf die Art Sicherheit zu geben. Wir wollen sie in ihren Vorhaben unterstützen und nicht den Spezialisten heraushängen lassen, der von oben herab erklärt. Diesen Ansatz greifen wir natürlich auch über andere Kanäle und moderne Medien auf, indem wir für unseren Kunden verständliche Anwendungsvideos und Produktbeschreibungen auf unserer Homepage bereitstellen.
Es gibt heute außerdem zahlreiche, nachhaltige Themen, mit denen wir die Menschen ansprechen und fürs „Selbermachen“ begeistern können. Dadurch haben sie die Chance, selbständig einen positiven Beitrag für die Natur zu leisten. Wie lege ich beispielsweise einen Biogarten an? Wie kann ich Bienen- und Insektenschutz in meinem Garten integrieren? Wir geben dabei Tipps, bei denen es nicht immer darum geht, Produkte zu verkaufen, sondern wir zeigen den Kunden das, was sie zu Hause selbst umsetzen können. Allerdings nicht mit einem erhobenen Zeigefinger, denn die Menschen sind mündig und brauchen niemanden – vor allem nicht im Freizeitbereich –, der ihnen Vorschriften macht.
UD: Bei nur einem Prozent Wachstum stagniert Ihre Branche in Deutschland nahezu; der Markt scheint mit Baumärkten gesättigt. Wie entwickeln Sie Ihr Geschäftsmodell weiter, um auch künftig erfolgreich zu sein?
Rotondi: In unserer Branche herrscht ein harter Wettbewerb. Das, was sie haben, müssen sie verteidigen. Wenn man nicht durch Expansion wachsen kann, muss man andere Wege finden, um sich weiter zu entwickeln. Die Ziele sind, unsere Märkte mit jeder Renovierung am Standort besser aufzustellen als zuvor und unser Filialnetz qualitativ weiter nach vorne zu bringen. So haben wir beispielsweise Konzeptmärkte mit höheren Regalierungen und zusätzlichen Beratungsformen eingeführt. Konzeptmärkte von toom bieten unter anderem Werkstätten für alle Gartengeräte oder einen Fachhandel für Markenartikel im semi-professionellen Bereich.
Außerdem können Kunden unsere Heimwerker-Kurse besuchen. Wie verlege ich eigenhändig Fliesen? Wie tapeziere ich, und welche Materialien und Werkzeuge benötige ich dafür? In Konzeptmärkten haben die Kunden dann auch die Möglichkeit, ihr Können auf Übungsflächen auszuprobieren und mögliche Hemmschwellen gegenüber dem Heimwerken abzubauen. Deswegen bieten wir auch speziell Kurse für Frauen an, um sie in ihren Vorhaben zu unterstützen und ihnen die notwendige Sicherheit beim Heimwerken zu geben.
Aber für unsere Zukunftsfähigkeit sind vor allem die Menschen wichtig, die für uns arbeiten. Sind sie motiviert, indem wir unser Unternehmen werteorientiert führen und ihnen gute Berufsperspektiven bieten, wirkt sich das immer positiv auf den Kundenkontakt aus. Und unter Umständen ist dann die freundliche Beratung vor Ort genau das, was den Kunden im Gedächtnis bleibt und den Unterschied zu Wettbewerbern ausmacht, und weniger unsere Produkte und Services, die wir anbieten.
UD: Eine werteorientierte Unternehmenskultur ist Teil Ihres Nachhaltigkeitsengagements. Seit wann spielt CSR eine Rolle bei toom?
Rotondi: Wir haben vor zehn Jahren das Thema Nachhaltigkeit stärker in den Fokus unserer Unternehmensstrategie gerückt; vor allem über unsere Ware, die wir einkaufen. Damit wir nicht in den Verdacht des Greenwashings geraten, haben wir die Hilfe eines unabhängigen Beirats aus verschiedenen NGO-Vertretern in Anspruch genommen, die mit ihren Namen für unser Engagement bürgen.
Zu Beginn gestaltete sich der Prozess sehr zäh und langwierig, da wir eine Menge lernen mussten. Beispielsweise beim Thema zertifiziertes Holz. Als wir 2011 Holz mit FSC-Siegel eingeführt haben, war es sehr schwierig, entsprechende Lieferanten zu finden. Dann forderte der Beirat weitere wichtige Nachhaltigkeitskriterien ein. Zum Beispiel sollten wir den Aspekt der Regionalität berücksichtigen. Das heißt, dass etwa ein Produktionsstandort für Laminat seine Ware oder seinen Rohstoff aus näherem Umkreis beziehen soll.
Wenn man versucht, Produkte nachhaltiger zu gestalten, muss man die Menschen mitnehmen, die tagtäglich mit der Ware arbeiten und ihre Vorschläge berücksichtigen. Auf diese Weise ist auch unsere Zusammenarbeit mit Interseroh entstanden. So führen wir zum Beispiel bei Anstrichprodukten unserer Eigenmarke Verpackungen aus Recyclat-Gebinden aus Kunststoffabfällen der Wertstofftonne in unserem Sortiment.
UD: Drei Jahre haben Sie gebraucht, um etwa Ware aus nachhaltiger Natursteinproduktion anbieten zu können. Was war so schwierig?
Rotondi: Wir beziehen unsere Natursteine zum größten Teil aus China. Obwohl dort ähnlich strenge Arbeitsschutzgesetze gelten wie bei uns, war die größte Herausforderung, eine komplett sozialkonforme Lieferkette vom Rohstoff bis über die Weiterverarbeitung aufzubauen. Denn viele Produzenten und Händler halten sich nicht an geltendes Recht und die Kontrollen sind unzureichend. Schlechte Arbeitsbedingungen und unzureichender Arbeitsschutz bei der Natursteinproduktion sind deswegen immer noch weit verbreitet.
Bis sich die Lieferanten auf bestimmte Sozialstandards uns gegenüber verpflichtet und wir parallel mit dem unabhängigen Zertifizierer Xertifix ein robustes Kontrollsystem aufgebaut haben, ging einige Zeit ins Land. In bestimmten Branchen reicht es nicht aus, sich nur auf andere zu verlassen. Auch wenn beispielsweise Auditierungsprozesse nach BSCI schon sehr gut sind, ist es notwendig als Unternehmen, durch Eigeninitiative wirklich nachhaltige Prozesse zu implementieren.
Unser Anspruch ist es dabei nicht, kurzfristig einen Euro mehr zu verdienen. Wir hoffen, dass sich dieses Engagement mittel- und langfristig für unsere Marke auszahlt und die Kunden toom damit in Verbindung bringen und sich deswegen für uns entscheiden. Das funktioniert natürlich nur, wenn wir die Verbraucher für die Nachhaltigkeitsanforderungen in unserer Branche sensibilisieren und ihnen glaubwürdig und transparent unsere Ansätze darlegen können.
UD: Bedeutet das auch, dass Sie beispielsweise ohne den Aufbau einer nachhaltigen Lieferkette auf Ihre Natursteinprodukte verzichtet hätten?
Rotondi: Ja, das wäre die Konsequenz gewesen. Denn menschenunwürdige Arbeitsbedingungen sind mit unserer Unternehmens-DNA nicht zu vereinbaren. Deswegen besuchen wir auch immer die Lieferanten vor Ort, um uns ein Bild von den sozialen Zuständen zu machen. Es ist ein Unterschied, ob man mit eigenen Augen sieht, wie etwa Arbeiter in China einkaserniert werden, oder nur Bilder einer Reportage im Fernsehen. Wenn wir bestimmte Standards nicht garantieren können, werden wir Produkte mit erheblichen sozialen und ökologischen Risiken nicht mehr verkaufen.
So waren wir auch die ersten unserer Branche, die entschieden haben, glyphosathaltige Produkte aus ihrem Sortiment zu nehmen, weil uns die gesundheitliche Unbedenklichkeit nicht schlüssig belegbar erschien.
UD: In welchen Nachhaltigkeitsfeldern sehen Sie in den nächsten Jahren die größten Herausforderungen für toom?
Rotondi: Die größte Herausforderung ist die Komplexität der Thematik. Wir sind Händler. Gleichzeitig müssen wir aber auch die Rolle von Produzenten einnehmen und die Herstellungsprozesse verstehen, um unsere Produkte nachhaltiger zu machen. Nur so können wir mit unseren Lieferanten auf Augenhöhe kommunizieren. Ein Produzent mit 100 Millionen Euro Umsatz ist nämlich nicht unbedingt darauf fixiert, seine Prozesse für einen Kunden mit weniger Umsatz umzustellen. Wir arbeiten außerdem mit verschiedenen Instituten zusammen, damit wir das dafür notwendige Wissen bekommen.
Außerdem müssen wir versuchen, branchenweit das gewonnene Wissen zwischen den Wettbewerbern zu teilen, sodass wir gegenseitig einen Nutzen aus dem Nachhaltigkeits-Engagement ziehen und das Thema noch weiter voranbringen können. Wir haben nicht den Anspruch, alles im Alleingang zu machen. Deswegen kommunizieren wir auch offen über Systeme, die wir beispielsweise bei den Natursteinen oder den fairen Tannenzapfen implementiert haben, und freuen uns, wenn sich andere uns anschließen.
UD: Herzlichen Dank für das Gespräch!