„In einer Welt, die verliert, wird kein Unternehmen gewinnen.“
Warum interessiert sich der Kapitalmarkt für ESG – Environment, Social, Governance? Dürfen nur Aktionär:innen Ansprüche an ein Unternehmen stellen? Was hat der Nobelpreisträger Milton Friedman damit zu tun? Und ist ESG wirklich neu? Mit diesen Fragen beschäftigte sich Telefónica-Vorständin für Recht und Corporate Affairs Valentina Daiber am 8. April in ihrer Rede vor 3.000 Mitarbeiter:innen von Deloitte Consulting Deutschland. Auszüge aus dieser Rede veröffentlichen wir hier.
13.04.2022
[…] Das Thema Nachhaltigkeit hat in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Der Begriff ist in aller Munde und wird in vielen Wortvarianten inflationär genutzt. […] Gegenwärtig betrachtet die Welt das Thema „Nachhaltigkeit“ besonders stark durch die ESG–Brille. Der Begriff ESG wird zunehmend zum Synonym für Nachhaltigkeit in Unternehmen.
ESG ist ein Begriff, den der Kapitalmarkt auf das Parkett gebracht hat. Was durchaus überraschen darf. Ist es doch gerade dieser Markt, der sich lange an der sogenannten „Friedman-Doktrin zum Shareholder-Value“ orientierte. Eine Doktrin, die den Begriff „Social Responsibility“ ganz anders definiert als Sie und ich. Eine Doktrin, wonach börsennotierte Unternehmen in erster Linie ihren Aktionär:innen verpflichtet sind. […]
Der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Milton Friedman veröffentlichte dazu im Jahr 1970 einen legendären Artikel in der New York Times. Die Überschrift lautete: „The Social Responsibility of Business is to Increase Its Profits.“ Aus heutiger Sicht und auf den ersten Blick ein fast skandalöser Titel.
Der Beitrag war aber auch schon vor 50 Jahren umstritten. Denn die Frage der Verantwortung von Unternehmen ist so alt wie die ersten Gründungen von Unternehmen als juristische Personen im 17. Jahrhundert. Schon damals wurde das Spannungsfeld zwischen dem unternehmerischen Gewinnstreben sowie anderen Interessen, Werten und Gütern thematisiert. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden Unternehmen für ihre Rolle im Sklavenhandel verantwortlich gemacht. Im Zuge der Industrialisierung stellte sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert die soziale Frage in Form der Verelendung großer Bevölkerungsteile. […]
Nun, ich denke, dass sich in den vergangenen 50 Jahren, seit dem Erscheinen des Artikels, noch deutlich mehr derartige berechtigte Interessen verschiedener Stakeholder:innen ergeben haben. […] Bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde in Europa und Nordamerika mit dem Ausbau des Arbeitsrechts und dem Aufbau des Sozialstaats die Soziale Frage entscheidend entschärft. In den 1970er-Jahren sahen sich Unternehmen in den westlichen Industriestaaten mit neuen sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen konfrontiert, die sich für die Menschen- und insbesondere die Bürger-, Frauen- und Verbraucherrechte, sowie den Umweltschutz und die Dritte Welt einsetzten. […] Seit den frühen 1990er-Jahren dringt Nachhaltigkeit unter dem Begriff Corporate Responsibility als Forderung an Unternehmen immer tiefer in die Gesellschaft ein. Fridays for Future rüttelt Menschen, Unternehmen und Organisationen seit 2018 in Klimafragen auf.
Heute steht die Welt vor großen Herausforderungen: Kriege, Flüchtlingswellen, Pandemien, Klimawandel, daraus resultierende Naturkatastrophen, Ungleichheiten, Ressourcenmangel … um die vermutlich größten zu nennen. Es besteht eine große Dringlichkeit für alle Teile der Gesellschaft, sich mit diesen Fragen zu befassen. Investor:innen, Aufsichtsbehörden, Kund:innen, Mitarbeiter:innen und die Gesellschaft als ganze spiegeln dies wider und fordern von Unternehmen langfristige Nachhaltigkeitsverpflichtungen.
Kurz und gut: Die Unternehmensführung kann und darf heute nicht mehr ausschließlich die unmittelbaren Interessen von Aktionär:innen bedienen. Oder anders gesagt: Sie muss sich heute mit deutlich mehr Bedürfnissen [und] Interessensgruppen […] auseinandersetzen. Denn nicht nachhaltige Unternehmensstrategien werden inzwischen auch finanziell abgestraft. In einer Welt, die verliert, wird kein Unternehmen gewinnen. Es ist also auch im Shareholder:innen-Interesse, wenn Unternehmen sich an Stakeholder:innen orientieren. Und genau das weiß inzwischen auch der Kapitalmarkt. […]
Heute hat sich der Begriff ESG als Standard nachhaltiger Anlagen etabliert. Die Gesamtsumme der Kapitalanlagen, die in Deutschland unter Berücksichtigung von ESG-Kriterien angelegt wird, erreichte 2020 ein neues Rekordvolumen von über 330 Milliarden Euro. […] Der Kapitalmarkt geht damit einen großen Schritt, den er in Europa nicht zuletzt aufgrund der Verpflichtung, Kapitalströme im Rahmen des Green Deals in nachhaltige Unternehmen zu lenken, machen muss. Die Nachhaltigkeit ist dabei Risikofaktor und Investitionsmöglichkeit zugleich. Ergänzend zur weitgehend etablierten CR-Berichterstattung und SDGs übersetzt ESG die Verantwortung von Unternehmen in kapitalmarktrelevante, vergleichbare Zahlen und Fakten, auf deren Basis Investitionsentscheidungen getroffen werden können. […] Denn an Nachhaltigkeit orientierte Unternehmen sind nachweislich erfolgreicher und schaffen langfristige Unternehmenswerte. Sie managen Risiken besser. Investieren in nachhaltige Innovationen. […]
Erlauben Sie mir bitte dazu etwas mehr von dem Unternehmen, das ich vertrete, O2 Telefónica, zu erzählen. […]
Unser „E“: Wir sind auf dem besten Weg, unser Ziel, bis 2025 netto CO2 neutral zu sein, zu erreichen. Unsere Scope 1 + 2 CO2 Emissionen haben wir seit 2015 um 97 Prozent reduziert. Wir treiben das für unsere Branche so wichtige Energieeffizienzziel weiter voran, indem wir unseren Energieverbrauch pro Byte bis 2025 im Vergleich zu 2015 um 87 Prozent senken. Entlang unseres Circular Economy Konzepts bieten wir mehr und mehr nachhaltige Produkte und Services an und konnten beispielsweise 2021 das Recycling von Mobiltelefonen im Vergleich zum Vorjahr um rund 50 Prozent steigern.
Unser „S“: Wir fördern digitale Teilhabe und Kompetenzen. Unternehmensintern durch die Förderung von Mitarbeiter:innnen. Extern mit Initiativen, wie dem Anti-Cybermobbing-Programm „wakeup.jetzt“, „Digital mobil im Alter“ und die Unterstützung der Kund:innen bei digitalen Themen über Workshops, Hotlines und Chats, Messaging, Videos oder im persönlichen Gespräch. Außerdem engagieren sich unsere Mitarbeiter:innen beispielsweise beim jährlichen O2 Run oder dem Volunteering Day der Telefónica Gruppe für soziale Zwecke. In der Covid-19-Pandemie, der Hochwasserkatastrophe in Deutschland und dem Ukraine Krieg haben wir schnell und unbürokratisch Menschen und Organisationen unterstützt.
Unser „G“: Mit unserer sehr soliden Governance-Struktur sowie einem erfahrenen und diversen Aufsichtsrat und Vorstand übernehmen wir eine Vorbildfunktion. Zum dritten Mal in Folge wurden wir in den Bloomberg Gender-Equality Index aufgenommen und haben unser Gesamtergebnis in der Bewertung weiter verbessert. Beim Deutschen Corporate Health Award 2021 haben wir in unserer Branche den ersten Platz belegt. […]
Der dem zu Grunde liegende Gedanke ist die Übernahme von unternehmerischer Verantwortung. Im Falle meines Unternehmens die unternehmerische Verantwortung für die Digitalisierung unseres Landes. Wir wollen die Digitalisierung zum Guten vorantreiben. Wir demokratisieren den Zugang zur nachhaltigen Digitalisierung, um einen besseren Alltag für alle zu schaffen. Denn wir sind überzeugt, dass wir nur mit der Digitalisierung Klimaziele erreichen. Dass wir mit der Digitalisierung gesellschaftliche Teilhabe stärken. Und dass die Digitalisierung dem allgemeinen Wohlstand dient. […]
Sie, ich, unsere Unternehmen … wir leben unternehmerische Verantwortung. Egal, ob CR, Nachhaltigkeit oder ESG. Nennen sie es wie sie wollen. Der Kern, dem dies alles entspringt lautet: unternehmerischer Verantwortung.