„Jede Firma kann über die gesetzliche Quote hinaus beeinträchtigte Menschen einstellen“
Welche Ziele hat AfB („Arbeit für Menschen mit Behinderungen“) für die Zukunft? Wie können wir die Arbeitswelt noch inklusiver gestalten und welche Rolle spielen dabei Unternehmen? Antworten auf diese Fragen gibt Daniel Büchle. Er ist Geschäftsführer des gemeinnützigen Unternehmens, das gebrauchte IT von Firmen und Behörden wiederaufbereitet. Im Herbst 2024 feiert AfB sein 20-jähriges Betriebsjubiläum.
07.11.2024
UmweltDialog: Herr Büchle, AfB hat wiederholt Auszeichnungen für das Unternehmensengagement bekommen, beispielsweise den Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Und das mehrfach. Anlässlich Ihres 20-jährigen Betriebsjubiläums: Was sind die Meilensteine Ihrer Firmengeschichte?
Büchle: Ob Nürnberg, Köln oder Berlin: Jeder Standort, den wir neu eröffnen, ist ein weiterer Meilenstein. Auch, wenn wir neue Stellen schaffen und weitere Mitarbeitende einstellen können – mittlerweile beschäftigen wir knapp 700 Menschen, und davon ist fast die Hälfte schwerbehindert – ist das ein großer Erfolg für uns. Die Skalierung der Hardwaremenge auf über eine halbe Million wiederaufbereiteter Geräte im Jahr und die damit verbundenen Mengen an Ressourceneinsparungen, das sind außerdem Meilensteine, an denen wir uns messen und die unsere Visionen weiter voranbringen. (Mehr zum Geschäftsmodell und zum ökologischen Impact von AfB erfahren Sie im ersten Teil des Interviews)
Und jetzt ist ganz klar das 20-jährige Betriebsjubiläum, das wir aktuell feiern, ein ganz wichtiger Meilenstein. Da wird einem noch einmal bewusst: „Mensch, das ist jetzt schon zwei Jahrzehnte her, und es ist nicht so alltäglich, was wir erreicht haben.“
Und welche Ziele haben Sie sich für die Zukunft gesetzt?
Büchle: Natürlich wollen wir die Hardwaremenge noch weiter skalieren. Das ist das Schöne an unserem Geschäftsmodell: Es gibt auf der Welt so viele Notebooks und Smartphones, sodass wir noch viel Positives bewirken können. Mit der Anzahl an Geräten und dem ökologischen Benefit geht gleichzeitig die Anzahl der Arbeitsplätze im Inklusionsbereich nach oben. Unser konkretes Ziel ist die Schaffung von 500 sozialpflichtigen Jobs für Menschen mit Behinderungen.
Von daher werden wir weiter in der Akquise und im Vertrieb sehr aktiv sein, um möglichst viele neue Partner, also Firmen und Behörden, von unserem Modell zu überzeugen. Gleichzeitig überlegen wir außerdem, in welchen Ländern es Sinn macht sich zu etablieren, Standorte aufzumachen und weiter zu wachsen. Sicherlich werden wir auch irgendwann darüber nachdenken, anderen elektronischen Geräten – etwa Haushaltsgeräten – ein „zweites Leben“ zu ermöglichen.
Sie haben eben Ihr Ziel erwähnt, 500 sozialpflichtige Arbeitsplätze für behinderte Menschen zu schaffen. Für manche davon ist es tatsächlich schwierig, Fuß auf dem ersten Arbeitsmarkt zu fassen. Gesetzlich vorgegebene Quoten reichen hier nicht aus. Wie muss sich unsere Gesellschaft noch weiterentwickeln, sodass behinderte Menschen besser im Berufsalltag integriert werden?
Büchle: Wir müssen noch mehr Aufklärungsarbeit leisten. Und ich hoffe, das AfB als Best Practice in diesem Bereich dienen kann. Zu unserem Partnern zählen wir 1.700 Unternehmen, Banken, Versicherungen und Behördendie uns ihre ungelöschten PCs, Notebooks oder Smartphones anvertrauen. Jeder vierte DAX-Konzern kooperiert bereits mit AfB. Diese führen knallharte Security Audits durch und legen viel Wert auf Effizienz und Schnittstellen. Zu demonstrieren, dass das mit einer Belegschaft funktioniert, von der knapp die Hälfte aus Menschen mit schweren Behinderungen besteht, sollte eigentlich für viele Unternehmen ein Denkanstoß sein.
In welche Richtung?
Büchle: Nicht nur die Schwächen und Probleme zu sehen, sondern sich auf die Stärken und Chancen zu fokussieren. Außerdem müssen wir weiter darüber sprechen, dass Inklusion in der Arbeitswelt funktioniert. Partnerschaften mit großen Konzernen wie Siemens etc. erhöhen unseren Bekanntheitsgrad und tragen dazu bei, das Thema in die Breite zu tragen. Wir müssen zeigen: Inklusion in der Arbeitswelt gehört zu unserer Gesellschaft und ist „normal“. Dafür muss man kein „Inklusionsunternehmen“ sein. Jede Firma kann über die gesetzliche Quote hinaus beeinträchtigte Menschen einstellen.
Dafür müssen natürlich noch weiter als bisher physische und technische Barrieren abgebaut werden. Es geht dabei etwa um die Ausstattung barrierefreier Arbeitsplätze mit entsprechenden Hilfsmitteln und technischer Unterstützung.
Haben Sie vielleicht Tipps für andere Unternehmen, wie sie ihre Unternehmenskultur inklusiver gestalten können?
Büchle: Zunächst geht es darum, die Unternehmenswerte inklusiv zu gestalten und das im Betrieb weiterzutragen. Diese Werte müssen vor allem von Führung und Management gelebt werden. Dabei helfen Schulungen und Workshops, die zum Thema Inklusion sensibilisieren. Unsere Führungskräfte schulen wir gleich zu Beginn zu diversen Krankheitsbildern, die Menschen mit Beeinträchtigungen haben können. Auf diese Weise können die leitenden Mitarbeitenden auch bestimmte Reaktionen der Betroffenen besser verstehen.
Außerdem sollte man auf externe Expertise zurückgreifen. Partnerschaften mit Werkstätten oder mit Integrationsfachdiensten, also Institutionen, die Menschen mit Beeinträchtigungen vermitteln, sind wichtig. In diesem Bereich gibt es viele Möglichkeiten, ohne dass man sich gleich verpflichten muss. So kann man stattdessen eine Zusammenarbeit erproben, sich kennenlernen und mehrere Wochen oder Monate testen. Darüber hinaus gibt es in vielen großen Städten mittlerweile Netzwerke unterschiedlicher Stakeholder, die das Thema Inklusion vorantreiben und Unternehmen mit an den Tisch holen.
Welche besonderen Herausforderungen haben sich aus der Arbeit mit behinderten Menschen ergeben?
Büchle: Es ist vor allem für die Führungskräfte und Teamleitungen oder Koordinatoren eine Herausforderung, weil sie ja nicht mit 100 Prozent beeinträchtigten Menschen im Team arbeiten. Ein Team setzt sich vielmehr aus jeweils der Hälfte behinderter und nicht-behinderter Menschen zusammen. Manchmal ist das Verhältnis auch 40 zu 60. Das heißt, dass man Menschen, die ganz unterschiedliche Voraussetzungen haben, führen und sich darauf einstellen muss. Ein Beispiel: Während Person A topfit oder leistungsfähig ist und 100 PCs pro Stunde bearbeitet, muss Person B beispielsweise starke Medikamente aufgrund psychischer Beeinträchtigungen nehmen und hat einen schlechten Tag. Deswegen ist es wichtig, ein Gespür für die Unterschiede zu entwickeln und nicht von jedem die gleiche Leistung zu erwarten. Manchmal variieren diese Voraussetzungen von Tag zu Tag oder sind situationsabhängig.
Am Ende zählt aber nicht das, was ein Kollege aufgrund eines bestimmten Krankheitsbildes nicht kann, sondern es zählt das, was er kann. Unsere Kundinnen und Kunden merken schnell, dass Expertise und Fachwissen viel wichtiger sind als die Fokussierung auf eine Behinderung. Davon können sie sich selbst in unseren Shops überzeugen, denn unsere refurbished Notebooks überzeugen alle durch gute Qualität und gute Preise.
Vielen Dank für das Gespräch!