Wirtschaftsethik

Die high-hanging fruit namens Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit ist nützlich, Nachhaltigkeit ist notwendig — da sind sich alle einig. Nur zu oft wird Nachhaltigkeit auch als lästig empfunden, wenn auch meist nur hinter vorgehaltener Hand. Eine starke Lobby für zukunftsorientiertes Wirtschaften bildet sich derweil auf institutioneller Seite: Investoren möchten verstärkt ihr grünes Händchen beweisen. Doch herrscht noch Bedarf an Aufklärung.

20.01.2021

Die high-hanging fruit namens Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit wird immer stärker zum Business Case. Darüber empfinden wir langjährige CR-Berater eine gewisse Genugtuung, führt es doch dazu, dass mehr Gelder in nachhaltige Technologien und Geschäftsmodelle fließen. Das befreit in gewisser Weise auch von der Argumentationspflicht gegenüber den Unternehmen, entsprechend den Stakeholder-Interessen nachhaltiger zu wirtschaften.

Zumal sich bei ehrlichem Blick auf die letzten zehn Jahre zeigt, dass gerade die Primary Stakeholders, also die Kunden, Mitarbeiter und Lieferanten, oft gar keine besonders hohen Ansprüche an Nachhaltigkeit haben.

Im Gegenteil: Diese Stakeholder-Gruppen erzeugen oft sogar den stärksten Gegenwind, wenn es um Nachhaltigkeit im Wertschöpfungsprozess geht. Sie scheuen das Mehr an Aufwand und Kosten, das mit nachhaltigen Prozessen in den meisten Fällen einhergeht – und im schlimmsten Fall sogar zu Wettbewerbsnachteilen führen kann. Für viele Unternehmen ist dies Grund genug, ihre Investitionen in nachhaltigere Prozesse nur still und leise oder gar nicht zu kommunizieren. Als „Going green on the quiet“ betitelte der britische Guardian diese Tendenz zur Diskretion sehr treffend.

Anzeige

Die Forderung nach mehr Transparenz kommt derweil von der Investorenseite. Denn hier besteht ein wachsendes Interesse an Investitionen in nachhaltige Technologien und Geschäftsmodelle. Das will auch die EU mit ihrem Taxonomie-Vorstoß vorantreiben: Mit ihrem angekündigten Klassifikationssystem will sie die Finanzwirtschaft dazu bringen, vermehrt in nachhaltige Unternehmen zu investieren, um somit wiederum den Druck auf die Realwirtschaft zu erhöhen. Die Aussichten für kritische Anleger und innovative Unternehmen sind insofern gleichermaßen vielversprechend.

Ob allerdings die ersten Milliarden, die bis dato in vermeintlich nachhaltigere Geschäftsmodelle geflossen sind, auf Basis verlässlicher Entscheidungsgrundlagen investiert wurden, bleibt fraglich. Besonders institutionelle Investoren nutzen vermehrt ESG-Ratings, die durch einen hohen Transparenzgrad möglichst viel Vergleichbarkeit von ESG-Leistungen versprechen; doch die Fragen- und Kriterienkataloge vieler Ratingagenturen gehen kaum auf einzelne Geschäftsmodelle ein und bleiben in der Regel recht pauschal. Der bloße Anspruch an Informationstiefe durch die Beantwortung eines umfangreichen aber unspezifischen Fragenkatalogs genügt nicht, um Investoren wirklich sinnvoll zu orientieren. Dieser Ansatz widerspricht sogar dem Prinzip der Wesentlichkeit, das international führende Berichtsstandards wie die der Global Reporting Initiative (GRI) immer wieder betonen.

Fakt bleibt: Bei der Qualität der Prüfung nachhaltiger Geschäftsmodelle anhand nachvollziehbarer und geschäftsmodellspezifischer Kriterien besteht noch viel Luft nach oben. Die Motivation der Financial Community wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt zweifelsohne von viel Fantasie getrieben – was grundsätzlich nicht verkehrt ist und traditionell ein wichtiges Kriterium für Entscheidungen am Finanz- und Kapitalmarkt. Immerhin: der gute Wille ist da, und die Geldströme bilden einen wichtigen Hebel für Veränderungen. Das gibt Hoffnung. Allerdings sollte die Vorstellung, Nachhaltigkeit sei für Unternehmen und Investoren eine Low-hanging fruit, schnellstmöglich aus den Köpfen aller Akteure verbannt werden. Denn ohne Umdenken, Mehrarbeit und höhere Kosten ist nachhaltiges Wirtschaften nicht zu haben. Der Preis ist die Mühen allerdings wert: Er ist das Überleben von ökologischen Lebensräumen, von Geschäftsmodellen, von Arbeitsplätzen und von sozialem Frieden.

Sven Grönwoldt berät seit über zehn Jahren Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung von Nachhaltigkeits-/ESG-Strategien-, -Management und -Reporting.
Sven Grönwoldt berät seit über zehn Jahren Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung von Nachhaltigkeits-/ESG-Strategien-, -Management und -Reporting.
Quelle: UD
 

Related Posts

Newsletter

Unsere Verantwortung/Mitgliedschaften

Logo
Serverlabel
The Global Compact
Englisch
Gold Community
Deutsches Netzwerk Wirtschaftsethik
Caring for Climate

© macondo publishing GmbH
  Alle Rechte vorbehalten.

 
Lasche