Je besser die Datenlage, desto nachhaltiger die Bauwirtschaft
Die Klima- und Umweltanforderungen an die Gebäudewirtschaft sind enorm gewachsen. Das fordert von Planern, Architekten und Bauprodukteherstellern mehr Zusammenarbeit. Das Institut für Bauen und Umwelt (IBU) bietet mit seinen Umweltproduktdeklarationen traditionell eine wichtige Schnittstelle. Wir sprachen mit dem Geschäftsführer Dr. Alexander Röder über die treibenden Trends der Branche.
24.11.2021
UmweltDialog: Welche Herausforderungen verändern die Bauweisen der Zukunft?
Dr. Alexander Röder: Das wissen wir selber nicht genau! Wir sehen jedoch, dass es Herausforderungen gibt, die immer stärker in den Vordergrund rücken. Dazu zählen insbesondere Umweltaspekte wie Klima, Wohngesundheit, Lärm, aber auch soziale Themen wie Sicherheit und bezahlbares Wohnen.
Gerade beim Klimaschutz hat man bei Gebäuden schon enorm viel geleistet. Neubauten nähern sich bei der Energieeffizienz immer stärker dem mittelfristigen Ziel eines wirklichen Null-Energie-Gebäudes an. Zur umfassenden Erreichung der Nachhaltigkeitsziele – nicht nur im Bereich Klima – müssen wir zusätzlich verstärkt auf die Herstellung der Materialien und auf die Errichtung des Gebäudes schauen. Nur so können wir über den gesamten Lebenszyklus eine Optimierung des Gebäudes vornehmen.
UD: Welche Rolle spielen hier Umweltproduktdeklarationen, also sogenannte EPDs?
Dr. Röder: Als ich vor etwa 20 Jahren angefangen habe, mich mit dem Thema Ökobilanzen – also der Bilanzierung über den gesamten Lebenszyklus – von Gebäuden zu beschäftigen, da konnte man damals noch mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass ein Gebäude über 90 Prozent seiner anfallenden Treibhausgas-Emissionen während der Nutzungsphase emittiert – für Heizung, Kühlung, Beleuchtung und Ähnliches. Das hat sich mittlerweile geändert. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) hat gutes Zahlenmaterial, wonach bei entsprechend zertifizierten Neubauten nur noch etwa 50 Prozent der Emissionen aus dem Betrieb des Gebäudes stammen. Die anderen 50 Prozent stecken dann mit Masse in der Herstellung der Materialien. Deshalb braucht man verlässliche Informationen darüber, wie groß der ökologische Fußabdruck der einzelnen Materialien ist. Diese Informationen liefern EPDs. Die EPD (Environmental Product Declaration) liefert im Prinzip also für jedes Bauprodukt den Mosaikstein, aus dem man dann hinterher, bildlich gesprochen, die Ökobilanz des Gebäudes zusammensetzen kann.
Darüber hinaus können EPDs auch genutzt werden, um weitere Informationen zu liefern. Wir beim IBU bieten deshalb neben der sogenannten Kern-EPD, die im Wesentlichen den ökologischen Rucksack wie in den einschlägigen Normen gefordert abbildet, auch eine erweiterte IBU-EPD an, in der zusätzliche Informationen beispielsweise zur Bewertung der Baugesundheit mitgeliefert werden. Viele Firmen haben heute erkannt, dass sie damit ein hervorragendes Instrument haben, um in einem einzigen Dokument das gesamte Umweltprofil ihres Produktes darstellen zu können.
UD: Ein weiteres zentrales Anliegen der Politik ist die Kreislaufwirtschaft. Inwieweit ist das IBU hierauf vorbereitet?
Dr. Röder: Es ist ein extrem wichtiges Zeichen, dass die Kreislaufwirtschaft als ein eigenständiges Thema in den Green Deal aufgenommen wurde. Damit stellt man mal richtigerweise klar, dass unsere lineare Sicht- und Arbeitsweise, die gerade auch in der Baustoffbranche immer noch sehr prägend ist, den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht wird. Die für EPDs wichtigste Norm EN15804 wurde bereits überarbeitet und räumt dem Thema Kreislaufwirtschaft einen deutlich breiteren Raum ein. Künftig wird die Dokumentation von Umweltwirkungen aus dem Rückbau von Gebäuden, dem Recycling von Materialien oder der Entsorgung über Deponierung und Verbrennung in EPDs von Bauprodukten für fast alle Bauprodukte verpflichtend. Wir gehen auch davon aus, dass weitere Kreislaufaspekte früher oder später als Ergänzung der bestehenden EPDs aufgenommen werden. Als ersten Schritt haben wir beim IBU das „Circularity Module for EPDs“ (CMEPD) entwickelt: Hierbei werden die Vorgänge am Ende des Lebens eines Bauproduktes in einer standardisierten Art und Weise beschrieben. Das gibt sowohl Herstellern als auch Planern die wichtigsten Informationen an die Hand, mit denen sie ihre Projekte steuern können.
UD: Immer öfter geht es dabei nicht mehr nur um einzelne Baustoffe, sondern um fertige Bauteile, die aus vielen Komponenten zusammengesetzt sind. Muss man die bestehenden Ökobilanzierungen und EPDs dafür weiterentwickeln?
Dr. Röder: Da sprechen Sie ein wichtiges Thema an, das bei uns gerade eine sehr große Dynamik entfaltet. Ich erläutere das an einem Beispiel: Wir haben im Moment in unserer Datenbank EPDs für beispielweise Schließzylinder. Sie werden aber kaum EPDs für komplette Türen finden, wo der Schließzylinder zusammen mit den anderen Bauteilen – Türblatt, Drücker, Türbänder, Zarge und so weiter – aufgeführt ist. Die komplette Tür ist aber die Ebene, auf der man im Alltag arbeitet. Ein Planer möchte sich nicht seine Tür einzeln zusammenstellen, sondern sagt zum Lieferanten: „Ich brauche eine Tür, so und so breit und so und so hoch, in der Farbe und Qualität.“ Und für das Produkt will er dann am liebsten nur eine Gesamt-EPD sehen.
So etwas hat man in der Vergangenheit aber kaum gemacht. Es gab mal Ansätze zum Beispiel vom Bundesverband der Deutschen Gipsindustrie für Trockenbauwände. Das ist dann aber nicht konsequent weiterverfolgt worden, auch weil die Nachfrage damals noch nicht wirklich da war. Wir arbeiten jetzt aber daran, und dafür muss die EPD eigentlich nicht weiterentwickelt werden, weil wir hier sehr modular vorgehen können: Wir sagen, dass die EPD der ganzen Tür die Summe der EPDs der verbauten Teile ist. Mit unserem Tool kann man so mit sehr geringem Zeit- und Kostenaufwand Daten zusammenführen.
Ökobilanzen spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, den Klima- und Umweltanforderungen in der Wohn- und Baubranche nachzukommen. Ein hochkarätig besetztes Symposium des Instituts Bauen und Umwelt (IBU) diskutierte dazu aktuelle und künftige Entwicklungen. Lesen mir hier mehr dazu.
UD: Bei Baustoffen ist vor allem der Hersteller der unmittelbare Ansprechpartner. Wenn wir das Thema künftig stärker anwenderbezogen betrachten, dann rücken eher Architekten in den Blickpunkt. Was bedeutet das für Ihre Arbeit und welche Rolle spielt hier insbesondere die Digitalisierung?
Dr. Röder: Im Prinzip gehörten Architekten und Planer immer schon zu den wichtigsten Zielgruppen des IBU. Denn die EPDs sind gedacht als Information vom Bauproduktehersteller für den Planer oder Architekten, damit er oder sie in der Lage ist, die Ökobilanz seines Gebäudes konsistent und mit vertretbarem Aufwand durchzuführen. Es stimmt aber schon, dass das Thema in der Vergangenheit sehr stark von Ingenieur- oder Naturwissenschaften geprägt wurde. Das ändert sich.
Um das für Architekten attraktiver zu machen, braucht es einige Maßnahmen: Die Nutzer möchten keine komplizierte Software, um tiefer in das Thema Ökobilanzierung einzusteigen, sondern eine einfache Ergänzung ihres bestehenden Werkzeugkastens. An der Stelle arbeiten wir bereits mit Partnern zusammen, und es gibt erste sehr vielversprechende Ansätze zur Einbindung in die BIM. BIM steht für „Building Information Model“ und ist im Prinzip der digitale Zwilling des Gebäudes: Nicht mehr mit Papier und Bleistift als zweidimensionaler Plan, sondern wirklich dreidimensional mit allen zusätzlichen Funktionen.
Eng damit hängt der zweite Punkt zusammen: Die Daten müssen in maschinenlesbarer Form zur Verfügung stehen. Traditionell wurden EPDs als PDF-Dokument erstellt. Das ist sehr schön zu lesen, aber ein Computer kann damit nur bedingt etwas anfangen. Deshalb hat das Bundesinstitut für Bauplanung und Raumforschung vor einigen Jahren ein Format entwickelt, das sich mittlerweile in Europa für digitalisierte EPDs durchgesetzt hat. Auf diese Weise wird die Übernahme von Daten in Computerprogramme schneller, einfacher und weniger fehleranfällig.
Der dritte Punkt ist eine bessere Grundausbildung der Architekten. Nachhaltigkeitsaspekte müssen aus meiner Sicht früher oder später in den Lehrplan der Architektenausbildung mit aufgenommen werden. Sie müssen Ökobilanzierung nicht im Detail beherrschen, aber sie sollten in der Lage sein, die Ergebnisse von solchen Ökobilanzen zu interpretieren. Das ist kein Hexenwerk. Hierzu arbeiten wir verstärkt mit den Architektenkammern und mit anderen Berufsverbänden zusammen
UD: Die zweite Veränderung im Blickwinkel ist, dass wir also nicht mehr nur einzelne Bauteile oder Bauten betrachten, sondern nachhaltige Städte. Was braucht es für die nachhaltige Stadtplanung?
Dr. Röder: Prinzipiell lässt sich der Ansatz der Ökobilanzierung problemlos skalieren. Im Prinzip addiert man dazu sämtliche Umweltbelastungen einerseits über den gesamten Lebenszyklus, andererseits aber auch unterschiedliche Arten von Umweltbelastungen − Klimawandel, Versauerung, Überdüngung, Ressourcenverbrauch, um nur einige zu nennen. Das kann man auf der Ebene von Bauprodukten machen – wie bei unseren EPDs –, auf der Ebene von Gebäuden oder auch von ganzen Stadtteilen.
UD: Vielen Dank für das Gespräch!