Energiewende

Atomkraft: ja bitte?

Finnland tat es, Frankreich plant es, Teile Osteuropas wollen ebenfalls mitmischen: In der EU entstehen derzeit neue Atomkraftwerke oder sind zumindest in Planung. Und erst kürzlich stufte die Europäische Kommission Atomenergie – im Sinne des Klimaschutzes – als nachhaltig ein. Wie ist der Status quo und was sind die Argumente der Befürworter?

01.03.2022

Atomkraft: ja bitte? zoom

Mehr als 50 Jahre ist es her, dass Umweltschützerinnen und -schützer in Deutschland mit rot-gelben Plakaten und der Aufschrift „Atomkraft? Nein danke!“ gegen die Nutzung von Atomenergie protestierten. Der deutsche Atomausstieg ist zumindest nach jetzigem Stand noch beschlossene Sache: Ende 2022 sollen die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen. Der Ukraine-Krieg wirft allerdings ein neues Licht auf die Debatte. Dazu später mehr. In Europa ist Atomenergie ohnehin nach wie vor präsent. Einer Übersicht des österreichischen Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) zufolge werden in der Europäischen Union derzeit rund 110 Atomreaktoren betrieben. Damit steht rund ein Viertel der derzeit aktiven weltweiten Atomkraftwerke in der EU.

Nun stufte die Europäische Kommission im Zuge der EU-Taxonomie – und trotz zahlreicher Proteste – Investitionen in Atomenergie (und auch Gas) zudem als nachhaltig ein. Mit der Taxonomie legt die EU fest, welche Finanzprodukte nachhaltig sind und dem Klimaschutz nutzen. Nach dem Beschluss von Anfang Februar gelten neue Atomkraftwerke bis 2045 dann als nachhaltig, wenn bis spätestens 2050 Pläne zu einem Endlager für den Atommüll vorliegen. Außerdem wird auch die Nachrüstung alter Reaktoren bis 2040 als nachhaltig eingestuft.

Sicherung der Energieversorgung in Frankreich

Aber woher kommt der scheinbare „Hype“ um Atomkraft? Einige EU-Länder hatten sich bereits im Vorfeld dafür eingesetzt, Atomenergie als „grün“ anzuerkennen. Dazu gehört zum Beispiel Frankreich. Unser Nachbarland bezog im Jahr 2020 noch rund 70 Prozent des Stroms aus Atomkraft, wie Zahlen von Statista zeigen. Zum Vergleich: In Deutschland lag der Anteil an Atomenergie bei knapp über elf Prozent. Zwar möchte Frankreich den Anteil der Kernenergie am Gesamtstrommix bis 2035 auf 50 Prozent reduzieren. Trotzdem plant das Land den Bau neuer Atomkraftwerke, darunter auch Mini-Atomreaktoren (SMR), berichtete die Tagesschau. „Um Frankreichs Energieunabhängigkeit zu gewährleisten, die Stromversorgung unseres Landes zu sichern und unser Ziel der Kohlenstoffneutralität im Jahr 2050 zu erreichen, werden wir zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Errichtung von Kernreaktoren in unserem Land wieder aufnehmen“, erklärte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Herbst vorigen Jahres in einer Fernsehansprache.

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Laut Volker Quaschning, Regenerativ-Professor an der HTW Berlin, steckt da aber noch mehr dahinter: „Frankreich hat sehr viel Kernenergie, aber sie wollen dort die Kernenergie gar nicht ausbauen“, meint er gegenüber dem Magazin Erneuerbare Energien. Die aktuellen Anlagen seien alt, die Stromversorgung würde in den nächsten 15 Jahren zusammenbrechen (tatsächlich wurden bereits einige Reaktoren aus Sicherheitsgründen abgeschaltet, wie ZDF informierte). Man müsse also jetzt etwas unternehmen. Frankreich stehe bei der Energiewende dort, wo Deutschland vor 20 Jahren war. „Wir reden also nicht über einen Ausbau für den Klimaschutz, sondern den Versuch, den Status Quo irgendwie aufrechtzuerhalten. “ Außerdem sei Frankreich eine Atommacht, es gebe also noch andere Interessen, Atomkraft weiterzuführen.

Neue Blöcke und Kooperationen in Osteuropa

Auch in Teilen Osteuropas wird weiter am Ausbau der Atomkraft gearbeitet: Die Tschechische Republik will ihre beiden Atomkraftwerke um neue Blöcke erweitern und dafür auch mit Frankreich kooperieren, berichtet die Deutsche Welle. Ungarn habe ebenfalls Pläne, sein Atomkraftwerk um zwei Blöcke zu erweitern. Dazu kooperiere das Land mit dem russischen Konzern Rosatom, aber auch französische Technologie könne zum Einsatz kommen. Und Polen arbeitet schon seit Jahren am Atomeinstieg: Ab 2026 soll an der Ostsee das erste polnische Atomkraftwerk mit einer Leistung von einem Gigawatt entstehen und 2033 schließlich ans Netz gehen.

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Finnland: Atomkraft als Weg aus der Klimakrise

In Finnland wiederum stehen mittlerweile bereits fünf aktive Kraftwerke. Der neueste Reaktor wurde – mit 13 Jahren Verspätung und drei Mal so hohen Kosten wie geplant – auf der Insel Olkiluoto im März 2021 fertiggestellt. Ende des Jahres ging er schließlich ans Netz. Auf der Insel entsteht außerdem das erste Atommüllendlager in der Welt. Unterstützung für Atomenergie gibt es selbst von den Grünen in Finnland: „Unser oberstes Ziel ist, CO2-neutral zu werden, und dafür wollen wir auf Basis der Wissenschaft alle Möglichkeiten ausschöpfen“, argumentiert Atte Harjannes, Fraktionschef der finnischen Grünen, in einem Interview mit der WELT. „Wenn die Einbeziehung von Atomkraft uns am schnellsten dorthin führt, heiligt der Zweck dieses Mittel.“ Atomkraft sei nachhaltig, die Menge des Mülls im Verhältnis zu der Menge der produzierten CO2-neutralen Energie sehr klein. Außerdem könne man den Müll sicher einlagern „im Gegensatz zu den Treibhausgasen, die ein Kohle- oder Gaskraftwerk ausstößt.“ Atomkraft sei ein zentraler Baustein auf dem Weg zur CO2-Neutralität bis 2035.

Auch die finnische Fridays-for-Future-Bewegung spricht sich für Atomenergie aus: „Atomkraft ist keine perfekte Alternative, aber ihre Emissionen sind gering. Unserer Ansicht nach sind es die Kohlendioxidemissionen, die eine größere Bedrohung darstellen als Atommüll und die die Temperatur des Planeten erhöhen“, heißt es in einem Schreiben der finnischen Aktivistinnen und Aktivisten auf deren Website. Deswegen sei man bereit, Atomkraft als Teil des Energiemixes zu akzeptieren. Man müsse alle verfügbaren Mittel nutzen, um die Klimakrise zu bekämpfen. „Die Kernenergie ist weder unproblematisch noch ein Allheilmittel, aber inmitten der Klimakrise ist es besser, diese emissionsarme Energiequelle zu nutzen, als die Zukunft des gesamten Planeten zu riskieren.“

Kritik am deutschen Atomausstieg

Gleichzeitig sehen manche den deutschen Atomausstieg kritisch. Im Oktober vorigen Jahres veröffentlichte die Welt einen offenen Brief, in dem die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner vor dem Ausstieg aus der Kernkraft warnen. Die Abschaltung der Reaktoren „wird unweigerlich zu rund 60 Millionen Tonnen zusätzlicher Kohlenstoffemissionen pro Jahr führen. Denn es müssen mehr fossile Brennstoffe verbrannt werden, um die erforderliche Ersatzleistung zu erbringen“, heißt es in dem Brief. Dies würde die nationalen Emissionen im Vergleich zu 1990 um fünf Prozent erhöhen. Noch könne Deutschland einen Kurswechsel vornehmen und die Laufzeitverlängerung Kraftwerke wieder in Kraft setzen.

Darüber hinaus heizt der Ukraine-Krieg die Debatte in Politik und Wirtschaft erneut an. Dabei geht es vor allem um die Gewährleistung der Versorgungssicherheit. „Wir können nicht einfach weitermachen wie bisher“, meint zum Beispiel NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart gegenüber dem Handelsblatt. Die deutsche Energieversorgung sei im Hinblick auf Erdgas stark von Russland abhängig. Der Kohle- und Atomenergieausstieg hat Deutschland ein „Klumpenrisiko beschert, aus dem wir uns herausarbeiten müssen“, so Pinkwart. Ein temporärer Ausstieg aus dem Atomausstieg solle nicht ohne Prüfung ausgeschlossen werden. Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft sieht das ähnlich, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Die Kohleausstieg muss ausgesetzt werden und die Atomkraftwerke länger am Netz bleiben, sagt Bundesgeschäftsführer Markus Jerger und warnt vor einem flächendeckenden Blackout.

Hat Atomkraft in Deutschland also doch eine Zukunft und wie sehen das die Atomkraft-Gegner? Lesen Sie mehr dazu in unserem Beitrag „Atomkraft: nein danke?“.

Quelle: UmweltDialog
 

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