Klimawandel

Carbon Offsetting: Ablasshandel oder nützliches Tool?

Carbon Offsetting – also das Kompensieren von CO2-Emissionen – wird kontrovers diskutiert. Während es für viele Unternehmen ein hilfreiches Tool zum Erreichen der eigenen Klimaziele ist, sehen andere darin Greenwashing.

23.06.2021

Carbon Offsetting: Ablasshandel oder nützliches Tool?

„Schlechtes Gewissen, gutes Geld und faule Kompromisse“ titelt Deutschlandfunk Kultur in einem Beitrag über CO2-Kompensation. „Man kauft sich das Recht auf Dreck“, lautet wiederum die Überschrift eines Interviews in der WirtschaftsWoche, und über „Das gute Geschäft mit dem reinen Gewissen“ schreibt Spiegel Online. Bereits seit einigen Jahren läuft das Geschäft mit freiwilliger CO2-Kompensation, und zahlreiche Anbieter haben sich auf dem internationalen Markt etabliert. In Deutschland gehören dazu zum Beispiel ClimatePartner, atmosfair, climatefair oder auch myclimate. Das Prinzip ist nicht kompliziert: Unternehmen oder Privatpersonen berechnen zunächst die Höhe der Treibhausgasemissionen (oder lassen sie berechnen), die bei einer bestimmten Aktivität wie Flüge, die Herstellung eines Produktes oder ähnliches anfallen. Diese Emissionen werden dann über die entsprechenden Anbieter durch Investitionen oder Spenden in Klimaschutzprojekte ausgeglichen. Als Beleg gibt es ein Ausgleichszertifikat. „Für das Klima ist es nicht entscheidend, an welcher Stelle Treibhausgase ausgestoßen oder vermieden werden. Daher lassen sich Emissionen, die an einer Stelle verursacht wurden, auch durch eine Einsparung an einer anderen, weit entfernten Stelle ausgleichen“, informiert das Umweltbundesamt (UBA).

Für Unternehmen ist Klimakompensation daher zunehmend ein gangbares Mittel, um ihre Produkte oder sogar die gesamte Geschäftstätigkeit zumindest bilanziell klimaneutral zu stellen. Aktuell kompensieren etwa 28 Prozent der Unternehmen in Deutschland ihre CO2-Emissionen, und bei Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern sind es sogar 40 Prozent, ergab eine Umfrage von Bitkom Research. Weitere 44 Prozent der Firmen würden zudem konkret planen, CO2-Emissionen in Zukunft zu kompensieren. Und der Markt wächst: „Die weltweite Nachfrage nach freiwilliger CO2-Kompensation hat sich im letzten Jahr rund verdoppelt, und die Unternehmen sind dabei mit Abstand der größte Wachstumstreiber“, erklärt Margaret Kim, Vorstandschefin der Agentur The Gold Standard (die Agentur legt unter anderem Standards für Klimakompensationsprojekte fest) gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

„Ablass-Obulus“ sagen Kritiker

Viele Umweltexperten sehen den freiwilligen Ausgleich von Treibhausgasemissionen allerdings kritisch, so wie die Biologin und Autorin Jutta Kill. Sie bemängelt zum Beispiel das Rechnen mit hypothetischen Zahlen auf Seiten einiger Klimakompensationsprojekte: „Bei der Berechnung dieser angeblich eingesparten Emissionen werden zwei Zahlen miteinander verglichen. Das Problem ist aber, dass eine dieser Zahlen eine hypothetische ist: Die ergibt sich dabei aus einer Geschichte, in der der Projektbetreiber darlegt, wie hoch die Emissionen gewesen wären, hätte es sein Kompensationsprojekt nicht gegeben“, sagt Kill in einem Beitrag vom Deutschlandfunk Kultur. Diese hypothetische Zahl vergleiche man mit den tatsächlichen Emissionen des Emissionsprojekts. Aus dieser Differenz ergebe sich die Summe der angeblichen Einsparungen und somit auch die Summe der Kompensationsgutschriften.

Was heißt eigentlich …?

Net Zero: Von Netto-Null-Emissionen spricht man, wenn eine Aktivität entweder keine Treibhausgase in die Atmosphäre entlässt oder die anfallenden Emissionen komplett ausgeglichen werden. Das heißt in der Atmosphäre kommt es zu keinem Anstieg (aber auch zu keinem Abfall) von Treibhausgasen. Unternehmen sprechen in diesem Zusammenhang auch häufig von „bilanzieller“ CO2-Neutralität.

Emissionsfreiheit: Emissionsfrei ist eine Aktivität nur dann, wenn dabei keinerlei Treibhausgase entstehen und entsprechend auch keine Kompensation nötig ist.

CO2-Neutralität: Wer CO2-neutral ist, emittiert keine CO2-Emissionen oder kompensiert diese. Es können aber immer noch andere Treibhausgase wie Methan ausgestoßen werden. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden CO2-Neutralität und Klimaneutralität allerdings häufig synonym verwendet.

Climate positive: Klima-positiv sind Tätigkeiten oder Produkte dann, wenn sie mehr CO2-Emissionen aufnehmen und speichern als bei der Herstellung oder der Aktivität entstehen.

Vermeiden, Verringern, Kompensieren: Der Dreiklang Vermeiden, Verringern (oder Reduzieren), Kompensieren gilt als Grundsatz, um klimafreundlicher zu wirtschaften und zu leben. Im ersten Schritt sollten Treibhausgasemissionen möglichst vermieden werden, zum Beispiel durch Verzicht auf das Fliegen. Danach gilt es, die Emissionen, die man nicht verhindern kann, zu reduzieren. Erst ganz zuletzt sollten die Emissionen, die dann noch übrig bleiben, mittels Klimakompensation ausgeglichen werden.

REDD+: Der internationale Mechanismus REDD+ („Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation”) wurde im Zuge der internationalen Klimapolitik geschaffen und soll Treibhausgasemissionen verhindern, die durch die Abholzung von Wäldern entstehen. REDD+ sieht vor, Entwicklungsländer finanziell zu entlohnen, wenn sie Wälder schützen und dadurch Treibhausgasemissionen vermindern. Zahlungen sollen aber erst dann vorgenommen werden, wenn die Emissionsminderung auch nachgewiesen wird. Ganz unumstritten ist der Mechanismus aber nicht.

Darüber hinaus befürchtet Kill, dass Kompensationsangebote den Menschen eine Rechtfertigung liefern, auch weiterhin das Klima zu zerstören, zum Beispiel im Bereich der Luftfahrtindustrie. Es bremse die Debatte, wie man Mobilität ohne das Fliegen gestalten könne. „Auch hier ist Kompensation nicht hilfreich, denn sie erlaubt die Illusion zu sagen: Ich kann die Flugscham ja mit dem Ablass-Obulus abgelten. Kann man nicht. Der Klimaschaden bleibt und die gesellschaftliche Debatte ist gebremst und nicht gefördert.“

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Vorsicht vor Doppelzählung

Ein weiteres Problem kann  auch darin bestehen, dass der zusätzliche Nutzen von Klimakompensationsprojekten nicht immer zwangsläufig gegeben ist. So schreibt FAZ-Autor Marcus Theurer in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „Wenn ein Unternehmen durch den Kauf von Kompensationszertifikaten zum Beispiel ein Klimaschutzprojekt in Afrika unterstützt, dann sinken dadurch nicht unbedingt auch die globalen Emissionen. Denn womöglich ersetzt das Projekt nur eine andere Klimaschutzmaßnahme, die ohnehin stattgefunden hätte.“ Davor warnt auch das Umweltbundesamt und informiert in einem Ratgeber zur freiwilligen CO2-Kompensation: „Projekte zur Minderung von Treibhausgasen müssen sicherstellen, dass ihre Reduktion, Vermeidung oder Speicherung von Emissionen zusätzlich ist.“ Maßnahmen, die aus sich heraus schon wirtschaftlich seien und auch ohne den Verkauf von Zertifikaten durchgeführt worden wären, kämen als Kompensation nicht in Frage. Zudem müssen Kompensationszertifikate nach dem Verkauf registriert und stillgelegt werden, damit sie nicht erneut verkauft werden können (Doppelzählung). Denn auch dann wäre der Nutzen dahin.

Für andere wie zum Beispiel Kathrin Hartmann, Journalisten und Autorin des Buches „Die grüne Lüge“, ist das Geschäft mit der CO2-Kompensation wiederum nichts anderes als Greenwashing. „Es ist das ernsthafte Bemühen der Konzerne, ihr Kerngeschäft weiterzuführen und ihm ein grünes Mäntelchen zu verleihen“, meint sie in einem Interview mit der WirtschaftsWoche. Mit CO2-Kompensationen kaufe man sich das „Recht auf Dreck“, um schlechte Geschäftsmodelle aufrechtzuerhalten. „Die ganze Kompensationsgeschichte verdrängt die Erkenntnis, dass unser ganzer Lebensstil eine fatale Entwicklung ist und wir dringend grundsätzlich etwas ändern müssen.“

Vermeiden und Verringern vor Kompensieren

Ist der freiwillige Ausgleich von Treibhausgasemissionen also per se schlecht? Nicht unbedingt, denn Klimakompensation kann auch Vorteile haben, wenn sie als Ergänzung in einem ganzheitlichen Klimamanagement genutzt wird. „In unserer derzeitigen Gesellschaft ist es – auch bei einem klimabewussten Lebensstil – nicht möglich, ohne den Ausstoß von Treibhausgasen zu wirtschaften und zu leben. Daher ist die Kompensation eine sinnvolle Maßnahme die persönliche oder unternehmerische Klimabilanz klimafreundlich zu stellen“, informiert die gemeinnützige Greensurance Stiftung auf der Website ihrer Marke greensFAIR, einem kostenlosen Emissionsrechner und Kompensationsregister. Wichtig sei aber, dass dem CO2-Ausgleich der Prozess des Vermeidens und Reduzierens von Emissionen vorangegangen sei.

Dazu rät auch die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt). Kompensationsmaßnahmen solle man nur unternehmen, wenn eine Minderung oder Vermeidung von Treibhausgasen nicht ohne weiteres möglich sei. Dann aber hätten Kompensationsmaßnahmen wichtige Vorteile. So entstünden „durch die freiwillige Kompensation einzelner CO2-intensiver Aktivitäten ein Bewusstsein für die eigenen verursachten Emissionen. Durch eine freiwillige Kompensation konkreter emissionsverursachender Aktivitäten wird dem Individuum der Umfang und die Kosten der persönlichen CO2-Bilanz nähergebracht“, heißt es auf der Website der DEHSt.

Die Sache mit dem „Märchenwald“

Ende 2020 machte die ZEIT mit dem Artikel „Der Märchenwald“ auf Plant-for-the-Planet (PftP) aufmerksam. Die 2007 gegründete Stiftung hat sich auf die Fahnen geschrieben, Bäume für den Klimaschutz zu pflanzen. Die Autoren des Artikels werfen PftP vor, mit „fragwürdigen Zahlen“ zu werben. Bei genauerem Hinsehen würden sich viele Angaben als „widersprüchlich, übertrieben oder schlicht falsch“ herausstellen. So zweifeln die Redakteure unter anderem an der Überlebensrate von 94 Prozent, die PftP für die Setzlinge, die die Organisation auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán pflanzt, angibt. Die Überlebensrate scheine „unwahrscheinlich“, da PftP die Bäume in bereits bestehende Wälder pflanzt. „Man kann solche Flächen mit neuen Bäumen anreichern, aber die Überlebensraten dieser Setzlinge sind weit entfernt von 94 Prozent“, zitiert die ZEIT Melvin Lippe, Experte für Wald-Datenanalyse am Thünen-Institut. Zudem kritisieren die Autoren den Ort der Baumpflanzungen und zweifeln daran, dass ein gepflanzter Baum etwa 200 Kilogramm CO2 einsparen würde. Felix Finkbeiner, Sprecher des Vorstands der Plant-for-the-Planet Foundation, reagierte auf die Kritik mit einem offenen Brief. Der Artikel zeichne ein „völliges Zerrbild“, stelle Sachverhalte falsch dar und arbeite mit Vermutungen und Unterstellungen, erklärt er. Seit der Gründung lege man viel Wert auf Transparenz. „Alle von uns genannten Zahlen zu den gepflanzten Bäumen sind korrekt. Für jede Pflanzung gibt es Protokolle, die nachprüfbar sind.“ Zu dem Vorwurf, eine unwahrscheinliche Überlebensrate der Setzlinge anzugeben, meint Finkbeiner: „Wir haben, wie wissenschaftlich üblich, mit Plots gearbeitet. Auf jenen wurde 2016 die Überlebensrate ermittelt und so hochgerechnet.“

Baumpflanzungen als Kompensationsprojekte sind aber ohnehin umstritten, da Risiken wie Waldbrände die langfristige Bindung von CO2 gefährden. „Daher sollten Risikoanalysen und Puffer Regelungen im Qualitätsstandard eine dauerhafte Emissionseinsparung gewährleisten“, rät das Umweltbundesamt.

Projekte mit zusätzlichem Nutzen

Darüber hinaus haben viele Kompensationsprojekte auch eine entwicklungspolitische Dimension. Sie bekämpfen dann nicht nur den Klimawandel, sondern adressieren weitere Aspekte wie Hunger und Armut und tragen damit gleichzeitig zu den Sustainable Development Goals (SDGs) bei. „Wenn zum Beispiel Arbeitsplätze geschaffen werden, die lokale Bevölkerung Wissen aufbaut oder sich die Luftqualität verbessert, sollte dies den Klimaschutzprojekten positiv angerechnet werden“, meint das Umweltbundesamt in seinem Ratgeber.

So gibt es Projekte, die in Entwicklungsländern den Bau effizienter Öfen zum Kochen fördern. Durch den geringeren Verbrauch von Brennholz entsteht weniger CO2 , und es verringert sich schließlich auch die Abholzung der Wälder. „Das Kochen mit effizienteren Öfen verbessert zudem die Existenzgrundlage der Familien, da sie weniger Holz einkaufen und weniger Zeit auf das mühsame Sammeln von Feuerholz verwenden müssen“, erklärt der Anbieter myclimate zu einem solchen Kompensationsprojekt in Bolivien. Auch die Gesundheit der Frauen und Kinder profitiere durch den Wegfall der Rußbelastung.

Andere Projekte verbessern das Abfall- und Abwassermanagement oder widmen sich dem Schutz von Wäldern (zum Beispiel REDD+) oder dem Moorschutz. Verschiedene Standards wie der Gold Standard for the Global Goals, der Verified Carbon Standard (VCS) oder der Social Carbon Standard stellen die Qualität der Kompensationsprojekte sicher. „Strenge Zertifizierungsstandards wie Gold Standard oder VCS stellen sicher, dass in Klimaschutzprojekten die für sie erhobenen Emissions-Einsparleistungen tatsächlich erbracht werden. Die Standards schreiben regelmäßige Auditierungen durch unabhängige Prüforganisationen wie TÜV, PwC oder andere vor, mit denen die Leistungen überprüft und in entsprechenden Berichten bestätigt werden“, erläutert Dieter Niewierra, Pressesprecher bei ClimatePartner. 

Letztlich ist Carbon Offsetting auch eine wichtige (zusätzliche) Maßnahme, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Mit dem Pariser Klimaabkommen verpflichteten sich zahlreiche Staaten, die globale Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu halten und den Temperaturanstieg mit weiteren Maßnahmen auf 1,5 Grad zu begrenzen. Nationale Aktionspläne und darin festgelegte Beiträge (Nationally Determined Contributions, NDCs), sollen dabei unterstützen, die Emissionen zu reduzieren. Die EU legte im Dezember 2020 einen aktualisierten NDC vor, mit dem Ziel, bis 2030 die Emissionen um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Und mit dem Europäischen Grünen Deal (European Green Deal, EGD) haben sich die EU-Staaten sogar vorgenommen, bis 2050 treibhausgasneutral zu sein.

Dieser Artikel ist im Original im Magazin „UmweltDialog“ zum Thema „Reporting“ erschienen.

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Quelle: UmweltDialog
 

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