Innovation & Forschung

Bei Hunden erprobt: PEEK-Prothesen halten länger

Künstliche Hüftgelenke verbessern die Lebensqualität vieler hunderttausend Menschen pro Jahr. Doch keine Prothese hält ewig. Evonik entwickelt aktuell länger haltbare Hüftgelenksimplantate auf der Basis eines Hochleistungskunststoffs. Als Vorbild dienen bereits bewährte Systeme für Hunde und Katzen.

02.02.2022

Bei Hunden erprobt: PEEK-Prothesen halten länger
Evonik erforscht die Möglichkeiten, den in der Medizintechnologie bewährten Hochleistungskunststoff VESTAKEEP PEEK für komplexe Gelenkprothesensysteme einzusetzen.

Die Implantation eines künstlichen Hüftgelenks gehört zu den häufigsten Operationen. Die deutschsprachigen Länder liegen bei der Zahl der durchgeführten Eingriffe im europäischen Vergleich an der Spitze. Pro 100.000 Einwohnenden wurden 2017 in Deutschland laut Statista 309 Hüftgelenksprothesen eingesetzt – pro Jahr also insgesamt mehr als 250.000. Der Durchschnitt aller OECD-Länder liegt hingegen nur bei 182 Operationen pro 100.000 Einwohner.

Hüftprothesen bestehen nach Angaben des Herstellers B Braun aus den vier Komponenten Hüftschaft, Gelenkkopf, Hüftpfanne und dem Inlay, das in der Hüftpfanne dafür sorgt, dass der Gelenkkopf gut darin gleitet. Der Hüftschaft wird im vorhandenen Oberschenkelknochen fixiert. Sind die Knochen vorgeschädigt, werden die Prothesen-Teile oft einzementiert. Viele Chirurgen bevorzugen laut Medical Tribune allerdings die zementfreie Implantation, auch wenn manche Studien darauf hindeuteten, dass diese Prothesen dann häufiger frühzeitig ausgetauscht oder nachgebessert werden müssen. Darüber hinaus sind Gelenkkopf und Hüftpfanne die Schwachstellen der künstlichen Hüftgelenke, weil sie durch die ständige Bewegung und Reibung besonders stark verschleißen.

 
 

Haltbarkeit mit Hochleistungskunststoff verlängern

Genau dafür arbeitet Evonik nun an einer neuartigen, nachhaltigeren Lösung. Das Spezialchemieunternehmen will komplexe Gelenkprothesensysteme aus seinem Hochleistungskunststoff Vestakeep PEEK entwickeln. Das Ziel sind länger haltbare Prothesen, damit weniger häufig neue künstliche Gelenke hergestellt und den Patienten implantiert werden müssen. Zugleich ließe sich damit auch die Zahl der Schmerzbehandlungen reduzieren, die Patienten benötigen, die unter verschlissenen Hüftgelenksprothesen leiden.

Bereits bewährt ist der thermoplastische Hochleistungskunststoff PEEK als leichter, dafür aber besonders mechanisch fester Werkstoff in der Luft- und Raumfahrtindustrie sowie der Automobilindustrie. Auch die verarbeitende Industrie nutzt das Material wegen seiner Formbeständigkeit anstelle von Metall. Die pharmazeutische Industrie wiederum baut laut ZWP online auf PEEK, weil es säure- und basenbeständig ist. Evonik führt das thermoplastische Vestakeep PEEK bereits seit Langem für zahntechnische und implantationschirurgische Anwendungsbereiche im Portfolio. Mittlerweile gibt es das Material sogar als Filament für 3-D-Drucker, die nach dem Extrusionsverfahren arbeiten. Damit lassen sich beispielsweise patientenspezifische Hörgeräte, Prothesen und Orthesen sowie chirurgische Bohrhilfen für die Zahnmedizin oder individuelle OP-Instrumente fabrizieren.

Das PEEK-Biomaterial von Evonik wird bereits erfolgreich in der neuesten Generation von Hüftprothesensystemen des Schweizer Unternehmens KYON für Haustiere wie Hunde und Katzen eingesetzt.
Das PEEK-Biomaterial von Evonik wird bereits erfolgreich in der neuesten Generation von Hüftprothesensystemen des Schweizer Unternehmens KYON für Haustiere wie Hunde und Katzen eingesetzt.

Implantate für Hunde dienen als Vorbild

In seinem aktuellen Entwicklungsprojekt will Evonik nun ein Konzept für künstliche Hüftgelenke auf Menschen übertragen, das sich bereits in der Veterinärmedizin bewährt hat. Dazu kooperiert das Unternehmen mit dem Zentrum für Knie- und Hüftersatz des Massachusetts General Hospital in Boston (USA). Entwickelt werden sollen Hüftgelenksprothesen aus PEEK – das Kürzel steht für „Poly-Ether-Ether-Ketone“ –, die sich an Systemen orientieren, die das Schweizer Unternehmen Kyon entwickelt hat und nach eigenen Angaben bereits bei Hunden und Katzen einsetzt, die unter Hüftgelenksdysplasie leiden.

Die besondere Innovation der Kyon-Produkte liegt demnach in der Verwendung des besonders verschleißarmen Vestakeep PEEK von Evonik beim Zusammenspiel von Gelenkkopf und Hüftpfanne in Voll-Prothesen. Denn gerade, wenn der Gelenkkopf und die Hüftpfanne aufeinander reiben, „entstehen bei millionenfachen Bewegungszyklen eines aktiven Hundes Schäden in Form von Verschleißpartikeln“, sagt Kyon-Gründer Dr. Slobodan Tepic laut Evonik. In der aktuellen Version der Kyon-Hüftprothesen verbessert deshalb ein zusätzlich kohlefaserverstärkter PEEK-Ring zwischen dem keramischen Kopf und der Schale die Reibungseigenschaften der Prothese.

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PEEK-Prothesen verschleißen wesentlich langsamer

Was in der Veterinärmedizin so überzeugend funktioniere, lasse sich auch für humanmedizinische Zwecke nutzen, zeigt sich Marc Knebel, Leiter des Marktsegments Medical Systems bei Evonik, überzeugt. PEEK eignet sich demnach als eine Materialkomponente in komplexen Gelenkprothesensystemen besonders gut für tribologische Anwendungen, bei denen sich gegeneinander bewegende Objekte wie Gelenkköpfe und die Hüftpfanne möglichst gut gleiten und wenig verschleißen sollen: „Unser tribologisches PEEK-Biomaterial könnte in Zukunft den entscheidenden Unterschied ausmachen und die Lebensdauer einer Hüftprothese um das Vierfache verlängern.“ Kyon und Evonik verweisen in diesem Zusammenhang auf noch unveröffentlichte Studien, wonach der lineare Verschleiß von Keramik-Gelenkköpfen, die auf PEEK-Inlays bewegt werden, sogar um den Faktor sieben geringer sei als bei herkömmlichen Hüftprothesen. In der Praxis bedeutet dies, dass die künstlichen Hüftgelenke seltener ausgetauscht werden müssen und den Patientinnen und Patienten weniger Schmerzen bereiten.

Ähnliche Anforderungen an Hüftgelenke bei Mensch und Tier

Zwar ist es eher ungewöhnlich, tiermedizinische Anwendungen auf den Menschen zu übertragen, gleichwohl sieht Evonik gute Realisierungschancen für das Entwicklungsprojekt. Denn in Bezug auf die verwendeten Materialien und die funktionellen Anforderungen unterscheidet sich nach Einschätzung des Unternehmens eine menschliche Hüftgelenkprothese nur wenig von denen in der veterinären Orthopädie. Sowohl bei Menschen als auch bei Tieren liege der zentrale Schwachpunkt eines Implantats im Zusammenspiel aus dem Gelenkkopf und der im Knochen verankerten Schale.

Wenn es gelinge, die Reibungsspannungen zwischen den verschiedenen Komponenten der künstlichen Hüftgelenke besser auszugleichen, schaffe man einen deutlichen Mehrwert für die Patientinnen und Patienten, betont Marc Knebel. Dies sei entscheidend, um die Zulassung der zuständigen Behörden wie etwa der US-amerikanischen FDA für den Einsatz von Vestakeep PEEK für menschliche Hüftprothesen zu erhalten. Knebel ist überzeugt, dass PEEK-Prothesen sogar extreme sportliche Körperbelastungen gut kompensieren können.

Ähnlich sieht dies auch Kyon-CEO Guy C. Spörri: Das Material habe sich bei Tieren bewährt. Hunde seien zwar leichter als Menschen, dafür seien sie aber wesentlich agiler und führten bis zu zehnmal mehr Bewegungszyklen aus als Menschen. Kyon verfüge bereits über große Erfahrungen darin, seine Implantate auf unterschiedliche Hundegrößen zu skalieren. Man könne die Systeme entsprechend auch an menschliche Maße anpassen.

Quelle: UmweltDialog
 

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