Social Impact Economy: Konsum für einen guten Zweck
Der Deutsche Social Entrepreneurship Monitor 2019 zeigt: Sozialunternehmen stellen die gesellschaftliche Wirkung über finanzielle Rendite. Mit innovativen Ideen testen sie Lösungsansätze im Kleinen, die auch im Großen funktionieren können – und leisten damit einen Beitrag zum nachhaltigeren Konsum.
04.09.2020
„Sei mal positiv. Glaub an das Gute und Richtige! Erkenne deine Stärken und Möglichkeiten!“, sagte die Fernsehköchin und Autorin Sarah Wiener vor einigen Jahren dem Magazin FOCUS. Sie wollte Menschen ins Herz treffen und zum Aufstehen bewegen, auch wenn das Kommende ungewiss ist und viele mit dem Begriff Urvertrauen nichts mehr anzufangen wissen. Ohne Urvertrauen könne der Mensch nämlich morgens sein Bett nicht verlassen, bemerkte einst der Soziologe Niklas Luhmann: Es wird auf etwas vertraut, ohne zu wissen, welche Erfahrungen folgen werden. Das ist oft verlässlicher als der mühsame Versuch, dem Leben die eigenen Bedingungen aufzudrücken. Urvertrauen und Optimismus sind miteinander verbunden. Max Roser, Ökonom am Institute for New Economic Thinking (INET) in Oxford, studierte erst Philosophie und wechselte dann zur Ökonomie. Ihn überraschte, dass die Nachrichten voll von schrecklichen Ereignissen sind, sich langfristig aber positive Entwicklungen zeigen, die allerdings in den Medien kaum erwähnt werden. Auf seiner Website „Our World in Data“ trägt er alles zusammen, was wir über die Entwicklung der Welt wissen und postet regelmäßig ein Diagramm, das verdeutlicht, dass die Welt in vielerlei Hinsicht besser wird. Dafür wirbt er auf Twitter: „Warum ich optimistisch bin“. Leider ist es aber häufig so, dass jene, die die Welt optimistisch betrachten, dafür
Die Sehnsucht nach Sinn steht im Zusammenhang mit einem neuen Optimismus
Während sich der Ansatz von Max Roser auf statistisches Material beschränkt, finden sich in „Good“, einer globalen, redaktionellen HuffPost-Initiative, vor allem Geschichten über Menschen, die Lösungen für sehr reale Herausforderungen unseres Lebens bereithalten. Diese Sehnsucht nach mehr Sinn steht in Zusammenhang mit einem neuen Optimismus. Nachhaltigkeit bedeutet für den internationalen Managementexperten Tim Leberecht „den Zugang zu essentiellen Fragen, zu authentischen Gefühlen und markanten Erfahrungen, die das schnelllebige Geschäft und die Tyrannei des Jetzt überdauern.“ Vor allem in der digitalen Netzwerkökonomie sollten Unternehmen durch ihre Produkte und Kundenerfahrungen, aber auch ihre Firmenkulturen, langfristig Sinn stiften. „In Märkten geprägt von Maximierung und Optimisierung (Optimierung?) können sie Entgrenzungen und Grenzerfahrungen ermöglichen, die über den reinen Profit hinausgehen und neben dem gesellschaftlichen und dem ökologischen Impuls eine zutiefst subjektive, romantische und somit zutiefst humanistische Welt schaffen.“
„Corporate Social Responsibility“, „Conscious Capitalism“, „Purpose-Driven Business“, Benefit Corporations und andere Konzepte, die auf die positive gesellschaftliche Wirkung des Unternehmens abzielen, sind allerdings häufig zu abstrakt für die Mitarbeiter. Tim Leberecht interviewte für sein Buch „Business Romantiker“ Angestellte von „Conscious Capitalism“-Firmen, zum Beispiel vom Outdoor-Bekleider und Ausrüster Patagonia. Einige der Befragten gaben zu, dass sie sich zwar mit der Mission ihres Unternehmens vollkommen identifizieren und auch davon inspiriert seien, sich allerdings oft im Arbeitsalltag gelangweilt fühlten. Es gibt also offensichtlich auch da eine „Entzauberungskluft“ zwischen Abstraktion und konkreter Erfahrung. Einer der Interviewten beklagte sogar, dass er sich manchmal vorkäme, als sei er in einem „Tue Gutes“-Hinterland und vertraute ihm an, dass er sich heimlich nach der Intensität von stärker konkurrenzorientierten, darwinistischen Kulturen an der Wall Street oder im Silicon Valley sehnte. Hier kommt die Business- Romantik ins Spiel, denn sie schlägt die Brücke zwischen der Mission des Unternehmens und dem Erleben von vielen kleinen intensiven, sinnstiftenden Momenten in der alltäglichen Arbeit.
Immer mehr Menschen probieren heute aber auch Lösungsansätze im Kleinen aus, die morgen im Großen funktionieren können.
Der Deutsche Social Entrepreneurship Monitor 2019 zeigt, dass Sozialunternehmen gesellschaftliche Wirkung über finanzielle Rendite stellen, innovative Lösungen entwickeln und eine überdurchschnittlich hohe Gründerinnenquote haben. Dass in einem Café Trinkgeld gegeben wird, ist etwas Selbstverständliches, aber was wäre, wenn Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit Trinkgeld für ihre Arbeit erhielten – und das direkt beim Kaufen von Produkten? Die Vision von tip me ist es, Lösungen für faire Wertschöpfungsketten anzubieten. Transparenz und Verantwortung in Lieferketten sollen gestärkt und Konsumentinnen und Konsumenten darin unterstützt werden, informierte und nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Dafür werden die digitalen Möglichkeiten genutzt. Die Idee für das globale Trinkgeld hatte Jonathan Funke bei einer Demonstration gegen Primark. Es fühlte sich für ihn nicht richtig an, dass ein T-Shirt weniger kostet als eine Tasse Kaffee. Wenn wenige Cent direkt und sicher an die Näherinnen und Näher gehen würden, könnte dies ihr Leben wirksam verändern. Auf Konferenzen traf er seine zwei Mitstreiter, die auf internationaler Ebene im Bereich der Armutsbekämpfung arbeiteten und die Auswirkung von Transparenz in globalen Lieferketten studierten und IT-Expertise hatten. Gemeinsam ließen sie die Idee zu einem Sozialunternehmen heranwachsen. Sie möchten Geschichten von Menschen erzählen und dadurch einen Beitrag zum nachhaltigen Konsum leisten.
„share“ und „Vytal“
„Probiere eine bessere Welt. 1+1: Mit deinem Kauf hilfst du gleichzeitig einem Menschen in Not.“ Das 1+1 Prinzip von share ist einfach: Wer ein share Produkt kauft, sorgt dafür, dass auch einem bedürftigen Menschen etwas Gutes getan wird – beispielsweise eine Mahlzeit für jeden share Nussriegel, ein Hygieneartikel für jede share Handseife, sauberes Trinkwasser für jede share Wasserflasche, mit der auch die Umwelt geschont wird, weil sie aus 100 Prozent recyceltem Material ist. Mit dem Kauf einer share Wasserflasche wird ein Tag Trinkwasser an einen Menschen in Not gespendet. Der Anspruch an Nachhaltigkeit spiegelt sich auch bei der Produktion wider. So setzt die Marke konsequent auf eine umweltschonende Kreislaufwirtschaft, um natürliche Ressourcen zu schonen.
Kreislaufökonomie ist auch die Basis des Start-ups Vytal, das Gastronomien, Kantinen und Supermärkte mit Gefäßen versorgt, in denen die Kundinnen und Kunden frische Lebensmittel transportieren können. Die Kunden geben die Gefäße nach der Nutzung wieder bei einem teilnehmenden Betrieb ab, wo sie gereinigt werden. Das soll den Müll im Take-away-Geschäft reduzieren. Als Bezahlmodelle gibt es die Abrechnung pro Nutzung der Vytal-Schüsseln oder eine Flatrate. Das System (derzeit noch etwas teurer als Einweg) leistet einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit im Außer- Haus-Verzehr.
Die Zeiten sind vorbei, in denen „Zielgruppen“ penetrant mit TV-Spots berieselt werden konnten, um eine Botschaft wie „Geiz ist geil“ oder „Supergeil“ in ihr Bewusstsein zu drücken. Billigprodukte werden heute meistens mit einer schlechten Ökobilanz, Lohn-Dumping, Kinderarbeit oder verantwortungslosen Unternehmenspraktiken assoziiert. Die bewussten und mündigen Konsumenten von heute sind gut informiert und möchten wissen, wo die Produkte hergestellt werden, die sie kaufen. Besser leben heißt für sie, anders herzustellen und zu konsumieren. Sie sind davon überzeugt, dass Geiz am Ende schädlich für Mensch und Umwelt ist.
Nachhaltiger Konsum heißt nicht weniger Konsum, sondern effizienter und bewusster Konsum.
Der symbolische Wechsel von der Ökonomie der „Zuvielisation“ zu einer „Ökonomie der Bedeutsamkeit“ zeigt sich in allen gesellschaftlichen Bereichen. Bei dem dabei stattfindenden Perspektivenwechsel vom Wollen zum Brauchen entstehen neue Konsum- und Geschäftsmodelle. tip me erhält beispielsweise eine Provision von seinen Partnerunternehmen, weil diese vom positiven Marketing profitieren. Dadurch kann tip me sicherstellen, dass 100 Prozent Deines Trinkgeldes an die Arbeiterinnen und Arbeitern geht. Um mit dem Unternehmen zusammenzuarbeiten, müssen sie Transparenz und Verantwortung in ihrer Lieferkette nachweisen. Es wird nur mit Unternehmen zusammengearbeitet, die fair und nachhaltig sind und die internationalen Arbeitsstandards der International Labour Organization (ILO) einhalten. Dadurch wird sichergestellt, dass das Unternehmen ebenfalls einen Beitrag leistet, faire und nachhaltige Lieferketten die Norm werden zu lassen. Für Webshopbetreiber wie ethletic und bayti ist dieses Trinkgeldmodul auch ein attraktives CSR-Instrument und ein Alleinstellungsmerkmal für Kundinnen und Kunden, denen die Nachhaltigkeit ihrer Produkte am Herzen liegt.
Der bewusste und informierte Kunde erwartet heute Produkte, die unter akzeptablen Umweltschutz- und Sozialbedingungen produziert werden – wahrhaftige Produkte also. Viele werden heute mit einem zusätzlichen Attribut verkauft. Neu an diesem Ansatz ist, dass nicht das Unternehmen, sondern der definierte Begünstigte den Benefit hat. Darauf setzt auch seit seiner Gründung die weltweit gemeinnützige Organisation ChariTea: Von jedem verkauften Getränk geht ein fester Betrag an den Lemonaid & ChariTea e.V. Über eine Million Euro konnte bislang in soziale Projekte investiert werden. Die Gelder fließen vor allem in Sozialprojekte innerhalb der Anbauregionen wie Sri Lanka und Südafrika. Hier machen sich die Gründer gegen die Ausbeutung von Kindern, für eine bessere Bildung und ökologische Landwirtschaft stark.
Auch der österreichische Chocolatier Josef Zotter wollte stets Lebensmittel herstellen, die ehrlich und fair zu Mensch und Umwelt sind. Worauf es seiner Meinung nach ankommt, ist, Menschen zu erklären, warum es genial ist, wenn man an morgen denkt. Die z o t t e r Schokoladen Manufaktur GmbH mit Sitz in Riegersburg, Bergl (Österreich), wurde 1999 gegründet. Für die Produktion werden ausschließlich bio-zertifizierte und fair gehandelte Rohstoffe verwendet. Zudem wird Schokolade direkt von der Bohne weg produziert (Bean-to-Bar). Der Großteil der Branche verwendet Halbfertigprodukte, doch z o t t e r stellt seine Schokoladen direkt am Standort selbst her. Die Kakaobohnen werden nach Bergl (Riegersburg) geliefert und verlassen die Manufaktur erst als fertige Schokoladentafel. Dadurch werden Transportwege eingespart. Die Fusion der drei Kriterien Bio + Fairtrade + Bean-to-Bar sind ein Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens, das europaweit der einzige Hersteller ist, der von der Bohne weg komplett in Bio- und Fairtrade-Qualität produziert.
Josef Zotter verweist darauf, dass es gerade in der Lebensmittelbranche viele kleine Unternehmen gibt, die aus Überzeugung nachhaltig sind. Diese müssen ihre Kundschaft finden, haben aber leider nicht die Werbemöglichkeiten wie die Großen. Deshalb sollten sie ausgewählt und besonders unterstützt werden. Beispielsweise auch koawach, wo mit dem Slogan geworben wird: „Wach auf! Die Welt braucht Dich wach.“ Menschen sollen mit Bio-Trinkschokoladen „geweckt“ werden – alles produziert von Bio-Bauern aus Lateinamerika, ebenfalls direkt und fair gehandelt. Das Unternehmen sieht sein nachhaltiges Handeln als Beitrag für eine wachere Welt: „Fair schmeckt einfach besser.“ Die guten Produkte müssen teurer verkauft werden, denn sie haben einen anderen Wert als billige Massenware. Doch was teurer verkauft werden soll, braucht auch eine wahrhaftige Geschichte, weil Fakten allein unser Herz nicht erreichen können – und das ist besonders wichtig, wenn es darum geht, uns und andere zu bewegen.
Viva con Agua
Gründer wie Benjamin Adrion haben eine Vision davon, wie die Welt sein könnte: Anfang 2005 reiste der FC St. Pauli nach Kuba, wo sie die schwierigen Verhältnisse vor Ort sahen. Adrion war als Mittelfeldspieler dabei. Damals kam ihm die „spontane Schnapsidee“, die Trinkwasserversorgung zu verbessern. Obwohl die Erde zu drei Vierteln mit Wasser bedeckt ist, ist nur der geringste Teil davon (2,6 Prozent) Süßwasser, und nur 0,3 Prozent können als Trinkwasser verwendet werden. Es ist kostbar und rar. Vor allem in den von Dürre geplagten Ländern in Afrika oder Asien, wo 90 Prozent der Menschen leben, ist die Grundversorgung mit Trinkwasser und Sanitärdienstleistungen keineswegs gesichert.
Im September 2006 wurde deshalb die Trinkwasserinitiative „Viva con Agua de Sankt Pauli e.V.“ offiziell gegründet – getragen von Adrion und unterstützt von Mitspielern wie Marcel Eger, Florian Lechner oder Felix Luz. Unter dem Motto „Wasser für alle, alle für Wasser“ werden Wasserprojekte im In- und Ausland unterstützt. Aus dem Verein heraus wuchs ein großes und nachhaltiges Projekt: zuerst in den Stadtteil hinein, dann ins Land und über viele Grenzen hinweg. Längst ist die Organisation auch in vielen Ländern wie Uganda, Nepal oder Äthiopien aktiv.
Jährlich werden mehr als drei Millionen Euro Spenden gesammelt. Seit 2006 konnte Viva con Agua mit über 40 Projekten die Lebenssituation von rund 2,5 Millionen Menschen verbessern. Seit seiner Gründung ist Viva con Agua auch in Deutschland aktiv, organisiert Spendenläufe und informiert über das globale Thema Wasser. Zum stetig wachsenden Ehrenamtsnetzwerk gehören auch Musiker wie Bela B, Mark Tavassol von Gloria, Fettes Brot oder Bosse, Sportler wie Nico Rosberg, Timo Hildebrand, Kevin Kurányi oder Arne Friedrich. Sie teilen nicht nur die Idee, dass sich die Welt ändern lässt, sondern auch ihre Freude am Machen.
Es ist so etwas wie eine Fundraising- Kampagne im Supermarktregal und an der Theke: Jede Flasche ist ein „flüssiger Flyer“ und transportiert die Idee hinter Viva con Agua. Neben dem Verein, der Spenden sammelt, ist die Mineralwassermarke Viva con Agua in Szenekneipen wie Supermärkten, beim Ärzte- Konzert wie im Hamburger Rathaus angekommen – und schüttet jährlich Gewinne für die Wasserprojekte aus.
„Sieh dir an, wie Viva con Agua sich für den weltweiten Zugang zu sauberem Trinkwasser und Sanitärversorgung einsetzt“, schreibt David Hieatt in seinem Buch „Bestimmung. Warum Marken mit Sinn den Unterschied machen“. Er hat Apple und Google beraten, mit Howies eine der einflussreichsten fairen Sportmarken auf dem Markt etabliert und 2007 mit seiner Frau Clare die Do Lectures gegründet. In seiner walisischen Heimatstadt Cardigan stand einst die größte Jeans-Fabrik Großbritanniens. Diese Tradition hat er aufgegriffen und das nachhaltige Label Huit Denim gegründet. In seinem Buch zeigt er, wie solche Firmen zu Vorbildern für zukünftige Unternehmen werden. Die Besten sehen den ganzen Menschen und nicht nur den kleinen Teilaspekt, der ihnen etwas nützt.