Industrielle Nutztierhaltung: dicht an dicht statt grüner Wiese?
Entspannte Kühe auf einer grünen Weide, Schweine suhlen sich genüsslich draußen im Schlamm und Hühner toben fröhlich im Freigehege. Die Werbung suggeriert uns glückliche Tiere und naturnahe Tierhaltung. In Deutschland dominiert aber die industrielle Nutztierhaltung. Wie sieht es also wirklich im Tierstall aus und was macht die Bundesregierung?
31.03.2021
Jeden Tag ein Ei und sonntags auch mal zwei – und zwar von den Hühnern aus dem eigenen Garten. Was klingt wie die Geschichten aus der Kindheit von Oma und Opa liegt aktuell im Trend: Durch die Corona-Krise ist die Nachfrage nach Legehennen gestiegen, berichtet die Süddeutsche Zeitung (SZ). „Der Lockdown hat offenbar dazu geführt, dass viele Leute ihren latenten Wunsch, Hühner zu halten, endlich in die Tat umgesetzt haben“, meint Michael von Lüttwitz, Ehrenvorsitzender des Verbandes der Geflügelzüchtervereine gegenüber der SZ. „Das Ei aus dem eigenen Garten ist aktuell sehr gefragt“, sagt auch Christoph Günzel, Präsident des Bundes Deutscher Rassegeflügelzüchter. Er sieht aber nicht nur die Corona-Pandemie als Treiber für private Hühnerhaltung. Lebensmittelskandale, die Vogelgrippe und auch eine steigende Nachfrage nach regionalen Bio-Lebensmitteln seien ebenfalls Faktoren. „Private Hühnerhaltung ist eben garantiert regional und öko“, so Günzel.
Nutztierhaltung in Deutschland: weniger Tiere – mehr Großbetriebe
Im kompletten Gegensatz zum Selbstversorger-Prinzip mit eigenem Garten und Privathuhn steht die industrielle Nutztierhaltung. Und diese nimmt hierzulande stetig zu, obwohl die Gesamtzahl der gehaltenen Tiere sinkt, zeigen Daten aus dem Fleischatlas 2021. „Die gesamte deutsche Nutztierhaltung durchläuft seit Jahren einen enormen Strukturwandel“, heißt es dort. „Während die Tierbestände abnehmen, hält eine immer geringere Anzahl an Betrieben zunehmend größere Viehbestände.“ Das zeige sich besonders deutlich bei der Schweinehaltung. So seien die Schweinebestände hierzulande um vier Prozent und die Bestände der Zuchtschweine um 21 Prozent zurückgegangen, während die Zahl der Mastschweine konstant geblieben sei. „Die zur Mast benötigten Ferkel werden also zunehmend nicht mehr in Deutschland produziert. Bereits 2018 stammten 20 Prozent der in Deutschland gemästeten Ferkel aus Importen“, so die Autoren des Beitrages. Die Anzahl der Zuchtschweine sei pro Betrieb von 142 auf 256 Tiere gestiegen, die Zahl der Mastschweine ab 50 Kilogramm pro Betrieb von 398 auf 653.
Vorgaben, wie viele Tiere ein Betrieb insgesamt halten darf, gibt es nach dem gesetzlichen Mindeststandard für Nutztierhaltung hierzulande zwar derzeit nicht (im Bau- und Steuerrecht sowie bei Förderrichtlinien gibt es allerdings eine Flächenbindung). Aber der Standard regelt verpflichtend, wie viele Tiere maximal pro Stall gehalten werden dürfen und wie viel Platz ihnen darin eingeräumt werden muss. Das heißt, ein Betrieb darf nach dem Mindeststandard theoretisch so viele Tiere halten wie er will – solange er entsprechend viele Ställe mit ausreichend Platz zur Verfügung hat und die Versorgung der Tiere sichergestellt ist (Einschränkungen gibt es wiederum durch das Baurecht und andere Regelungen).
So müssen Schweine grundsätzlich in Gruppen gehalten werden und der Platzbedarf hängt vom Gewicht des Tieres ab. Für ein 10 bis 20 Kilogramm schweres Schwein ist zum Beispiel der Platz von mindestens 0,2 Quadratmetern verpflichtend, bei 30 bis 50 Kilogramm Gewicht müssen es mindestens 0,5 Quadratmeter sein. Für Legehennen wiederum gilt, dass maximal 6.000 Tiere in einem Stall ohne räumliche Trennung leben dürfen und sich bei Bodenhaltung bis zu neun Tiere einen Quadratmeter teilen können. Bei Masthühnern orientiert sich der vorgegebene Platz am Gesamtlebendgewicht. Wie viel Platz eine Milchkuh im Stall braucht, ist hingegen nicht vorgegeben, Gleiches gilt für Mastrinder. Weitere Regeln betreffen unter anderem den Transport, die Fütterung, die Schlachtung oder auch den Einsatz von Medikamenten wie Antibiotika. Übergreifend gilt natürlich das Tierschutzgesetz, auf dem die gesetzlichen Mindestanforderungen basieren.
„Legalisierte Tierquälerei“ und „Schönfärberei“?
An dieser Art von industrieller Nutztierhaltung gibt es allerdings massive Kritik: „Die meisten Tiere werden gewaltsam den Haltungsformen angepasst“, heißt es zum Beispiel von der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt. Hörner, Ringelschwänze und auch die Schnäbel würden ohne Betäubung gekürzt oder abgetrennt, wesentliche Grundbedürfnisse der Tiere ignoriere man und auch ihre Bewegungsfreiheit schränke man stark ein. Um die Tiere leistungsfähig zu halten, sei außerdem häufig eine routinemäßige Gabe von Antibiotika unvermeidlich geworden. PETA Deutschland bezeichnet die Tierhaltung hierzulande sogar als „legalisierte Tierquälerei“: „Mit der sogenannten Intensivtierhaltung strebt die Landwirtschaft danach, eine maximale Menge an Fleisch, Milch und Eiern so schnell und preisgünstig wie möglich zu produzieren – und das auf engstem Raum“, schreibt die Organisation auf ihrer Website. Wichtige Grundbedürfnisse der Tiere würden „kläglich vernachlässigt“.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) will derweil die Verbraucher mit den Portalen „landwirtschaft.de“ und „tierwohl-staerken.de“ über die deutsche Landwirtschaft und die verschiedenen Haltungsformen aufklären. In einer Analyse dieser Verbraucherportale wirft Foodwatch dem BMEL aber „Schönfärbererei“ vor. „Zuweilen ähnelt auf den besagten Webseiten die Darstellung der Tierhaltung eher einer Marketing-Initiative denn einer objektiven Aufklärung“, folgert der Verein. „Die Perspektive der Tiere – und ihr erwiesen vielfaches Leid – wird weitgehend ausgeklammert.“
Neue Gesetze sollen nachbessern
Die Bundesregierung arbeitet indessen daran, das Tierwohl in der Nutztierhaltung mit weiteren Gesetzen zu verbessern. Die Übergangszeiten bis diese Gesetze in die Praxis umgesetzt werden müssen, sind aber mitunter sehr lang. So ist beispielsweise seit Anfang dieses Jahres die betäubungslose Kastration von Ferkeln verboten. Beschlossen wurde das Verbot bereits 2013 mit einer Änderung des Tierschutzgesetzes und in Kraft treten sollten die Regelungen eigentlich schon 2019. Ende 2018 verlängerte man die Frist allerdings um zwei Jahre. Ab 2022 ist außerdem das Kükentöten direkt nach dem Schlüpfen bei der Produktion von Eiern nicht mehr erlaubt. Aktuell diskutiert man zudem eine Tierwohlabgabe und ein freiwilliges staatliches Tierwohlkennzeichen soll Verbrauchern deutlich machen, welche tierischen Produkte nach höheren Standards als dem Mindeststandard hergestellt wurden.
Vielen NGOs ist das aber nicht genug. So fordern zum Beispiel die Heinrich-Böll-Stiftung und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) einen generellen Umbau der Fleischproduktion sowie eine Strategie, den Fleischkonsum allgemein zu verringern. „Die industrielle Fleischproduktion ist nicht nur für prekäre Arbeitsbedingungen verantwortlich, sondern vertreibt Menschen von ihrem Land, befeuert Waldrodungen, Pestizideinsätze und Biodiversitätsverluste – und ist einer der wesentlichen Treiber der Klimakrise“, meint Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung gegenüber der Presse. Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND, wiederum sagt: „Die Politik muss dem gesellschaftlichen Wunsch nach dem Umbau der Tierhaltung Rechnung tragen. Dies erfordert eine weitreichende politische Neuausrichtung der Agrarpolitik, aber die Agrarwende wird ohne eine Ernährungswende nicht zu schaffen sein.“
Ob die Bundestagswahl im September dieses Jahres etwas an der aktuellen Agrarpolitik ändert, wird man noch sehen. Die Grünen streben jedenfalls ein Ende der industriellen Tierhaltung in den nächsten 20 Jahren an: „,Grüner statt größer werden‘ ist unser Leitmotiv für die Tierhaltung der Zukunft“, heißt es auf der Website der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. „Wir wollen allen Tieren ein würdiges Leben ermöglichen. Eine solche Haltung wollen wir gezielt fördern und die gesetzlichen Regeln verbessern. Die Tiere brauchen mehr Platz, Auslauf, Licht und Beschäftigung. Amputationen und Qualzucht wollen wir ein für alle Mal beenden.“