„Wir müssen offen über Probleme sprechen“
Wie wirken Nachhaltigkeitsprogramme? Welche Maßnahmen verbessern gezielter soziale und ökologische Aspekte innerhalb der Lieferketten? Nanda Bergstein hat sich viel vorgenommen. Seit Anfang des Jahres leitet sie die Unternehmensverantwortung bei Tchibo. Wir sprachen mit der Nachhaltigkeitsverantwortlichen über ihren Werdegang und welche Ziele sie in ihrer neuen Position verfolgt.
12.07.2018
UmweltDialog: Frau Bergstein, Berichtspflichten, Zukunftsfähigkeit und Reputation: Nachhaltigkeit und CSR werden für Unternehmen und ihre Geschäftstätigkeit immer wichtiger. Am Anfang Ihrer beruflichen Laufbahn war das sicher noch anders. Wann haben Sie den Entschluss gefasst, im Bereich Unternehmensverantwortung zu arbeiten?
Nanda Bergstein: Das ist ein längerer Prozess gewesen. Ursprünglich wollte ich für das Auswärtige Amt arbeiten und Botschafterin werden. Deswegen habe ich auch internationale Beziehungen studiert. Während dieser Zeit bin ich immer wieder auf die Themen Menschen- und Frauenrechte gestoßen; auch im Kontext zur Wirtschaft. Das fand ich extrem spannend. Nach meinem Bachelorabschluss bin ich dann ein Jahr nach Indien gegangen. Dort war ich in einer sehr armen Region für eine kleine NGO tätig, die Mädchen unterstützt, ein selbstbestimmteres Leben zu führen. Mir ist klar geworden, dass mich nicht nur die zivilgesellschaftliche Perspektive der Entwicklungszusammenarbeit interessiert, sondern vielmehr die Frage beschäftigt: wie geht nachhaltiges, erfolgreiches Wirtschaften?
Danach haben Sie in London einen Master im Bereich Gender, Development and Globalization gemacht. Ihr Fokus lag dann zunehmend auf der Textilbranche.
Bergstein: Genau. Ich habe mich vor allem mit der Frage beschäftigt, wie sich im Textilsektor die Globalisierung auf Menschenrechte, insbesondere bei Frauen, auswirkt. Nach meinem Studium habe ich zunächst für Systain Consulting gearbeitet, bin aber relativ schnell zu Tchibo gewechselt. Mir war es schon immer wichtig, Veränderungen anzustoßen, etwas zu bewegen. Den größten Einfluss auf ein bereits bestehendes System habe ich allerdings nur von innen heraus. Deswegen war es für mich nur konsequent, in einem Wirtschaftsunternehmen zu arbeiten.
Haben Sie Tipps für Menschen, die auch Ihren Weg einschlagen wollen?
Bergstein: Grundsätzlich denke ich, dass es viele Möglichkeiten gibt, Einfluss zu nehmen und mein Weg ist dabei nur ein Beispiel von vielen. Die Arbeitswelt ändert sich durch die Digitalisierung und Globalisierung ständig und massiv – und damit auch die Herausforderungen. Daher ist es hilfreich, eine solide Basis zu schaffen und ein interdisziplinäres Studium zu absolvieren. Man sollte sich für Wirtschaft, Recht und Politik interessieren. Außerdem ist es gut, ein soziologisches Verständnis mitzubringen. Denn gesellschaftliche Strukturen werden von Menschen gemacht und können durch sie auch verändert werden. Ich denke, dass man auch eine Zeit lang in einem Entwicklungsland arbeiten sollte, um zu verstehen, was die Menschen dort brauchen. Das ermöglicht es einem später, schnell praktischere Lösungen zu entwickeln.
Darüber hinaus benötigt man Ziele, eine klare Vision, Disziplin und viel Geduld. Es geht um die Frage, was man in einem bestehenden Kontext mit den zur Verfügung stehenden Mitteln verändern kann. Neben Fachkompetenz ist vor allem ein kooperatives und vernetztes Handeln wichtig: nicht nur mit Kollegen aus ganz unterschiedlichen Businessbereichen, sondern auch über Unternehmensgrenzen hinaus. Ich mag eine Kommunikation, die wertschätzend und von Offenheit geprägt ist. Nur so kann man gemeinsam Lösungen finden, die auch funktionieren.
Müssen Nachhaltigkeitsverantwortliche heute immer noch Überzeugungsarbeit für CSR leisten?
Bergstein: Den Begriff „Überzeugungsarbeit“ würde ich anders qualifizieren. Mir ist selten jemand begegnet, der nicht davon überzeugt ist, dass soziales und ökologisches Handeln wichtig ist. Widerstände und Unsicherheit entstehen eher aus der Frage, wie diese Belange mit Wirtschaftlichkeit vereinbar sind. Mitarbeiter erwarten, dass ein Unternehmen profitabel handelt und wächst; Arbeitsplätze müssen sicher sein. Wenn man diese Prämissen berücksichtigt, kann man einen offenen Dialog über Nachhaltigkeit führen und so eine nachhaltige Entwicklung im Unternehmen vorantreiben.
Sie sind seit zehn Jahren bei Tchibo und haben das Thema Nachhaltigkeit im Non Food-Segment aufgebaut. Seit Anfang des Jahres leiten Sie nun den Bereich Unternehmensverantwortung bei Tchibo. Was sind Ihre Ziele?
Bergstein: Ein zentraler Kern unserer Arbeit ist es, sich mit der Wirkung unserer Programme in den Lieferketten auseinanderzusetzen. Das möchten wir künftig weiter forcieren. Welche Maßnahmen verändern die Situation mit Blick auf Menschenrechte und Umwelt wirklich? Im Textil- und Kaffeesektor beispielsweise stoßen bestehende Mechanismen wie Zertifizierung und Auditierung an ihre Grenzen. Deswegen ist es wichtig, Probleme offen anzusprechen, und nicht so zu tun, als hätten wir bereits alle Lösungen. Denn die hat keiner in der Branche. Auch wir nicht.
Es reicht natürlich nicht aus, Missstände nur zu benennen und sich dann damit abzufinden. Unternehmensverantwortung heißt bei Tchibo, Probleme aufzuzeigen, sich der Kritik zu stellen und dann im Dialog mit unseren Stakeholdern Lösungen zu entwickeln; auch in Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen. Das gilt für unsere textilen Lieferketten genauso wie für unsere Arbeit im Kaffeesektor.
Um die geeigneten Lösungen zu finden, wollen wir künftig noch mehr experimentieren. Das heißt, dass wir nicht gleich große Nachhaltigkeitsprogramme initiieren, sondern zunächst kleine Lernschleifen durchlaufen, indem wir die Wirkung von Maßnahmen anhand konkreter Fragestellungen beobachten und aus unterschiedlichen Perspektiven beurteilen.
Das hört sich kompliziert an.
Bergstein: Nachhaltigkeit ist ein komplexes Anliegen. Das ist vor allem in der Kundenkommunikation eine echte Herausforderung. Wir müssen über die komplexen und teilweise schwierigen Aspekte unserer Geschäftstätigkeit sprechen und unsere Lösungsansätze aufzeigen. Gleichzeitig dürfen wir in der Kundenansprache nicht die Leichtigkeit aus den Augen verlieren. Wir wollen unsere Kundinnen und Kunden inspirieren und emotional berühren. Sie möchten sich etwas Schönes leisten, und zwar mit einem guten Gefühl und Vertrauen in die Verantwortlichkeit des Unternehmens.
Ihr Kerngeschäft ist nach wie vor der Verkauf von Kaffee. Auch hier engagieren Sie sich für Nachhaltigkeit entlang des gesamten Wertschöpfungsprozesses. Bitte erklären Sie das Qualifizierungsprogramm Tchibo Joint Forces! (TJF!).
Bergstein: TJF! ist ein vor Ort Trainingsprogramm für Kleinfarmer unterschiedlicher Ursprungsländer, aus denen wir unseren Rohkaffee beziehen. Modular aufgebaut, knüpft das Programm unmittelbar an die jeweiligen Ausgangsbedingungen der Kaffeefarmer an. In Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Partnerorganisationen unterstützen wir die Farmer dabei, ihren Kaffeeanbau zu optimieren, damit sie ihre Arbeitskraft effektiver einsetzen und ihre Pflanzen höhere Erträge liefern können. Außerdem zeigen wir ihnen, wie sie die Setzlinge der Kaffeebäume umweltschonend anpflanzen und zum Beispiel Düngemittel richtig einsetzen können. Unser Ziel ist es, das Einkommen der Kaffeefarmer und ihrer Familien zu erhöhen. Außerdem wollen wir die Arbeitsbedingungen für die Kaffeepflücker verbessern.
Wenn die Farmen das Qualifizierungsprogramm erfolgreich durchlaufen, können sie eine Zertifizierung von Rainforest Alliance, UTZ Certified sowie Fairtrade beziehungsweise eine 4C-Validierung erhalten. Daraus ergeben sich für die Kaffeefarmer in der Regeln bessere Vermarktungsmöglichkeiten, denn für nachweislich nachhaltig angebauten Rohkaffee können sie höhere Preise erzielen. Tchibo bietet ihnen im Anschluss eine langfristige Zusammenarbeit an.
Momentan befindet sich Tchibo Joint Forces! in einer Umbruchsphase. Bitte erklären Sie das.
Bergstein: Das Programm haben wir bereits 2012 entwickelt und implementiert. In dieser Zeit haben wir viel gelernt über das, was wirkt und eben auch das, was nicht wirkt. Daher erweitern wir TJF durch Elemente aus unserem Qualifizierungsprogramm WE, das wir seit zehn Jahren erfolgreich für Produzenten unserer Gebrauchsartikel anbieten. Wir wollen zudem systemische Lösungen finden, die nicht nur unsere Partnerfarmen berücksichtigen, sondern die Rahmenbedingungen in den Anbauregionen insgesamt verändern. Es geht darum, uns noch besser mit den Organisationen vor Ort zu vernetzen, sodass wir unsere Kräfte bündeln können. Auch hierbei wollen wir mehr experimentieren und unterschiedliche Maßnahmen testen. Denn um zehntausende Kleinfarmer zu erreichen, braucht es neue, innovative Wege.
Lassen Sie uns nun über Ihr Textilgeschäft sprechen. Das Rana Plaza-Unglück hat die Textilbranche verändert. Um sozial- und umweltkonformes Verhalten innerhalb Ihrer textilen Lieferkette zu gewährleisten, haben Sie bereits vor zehn Jahren das Qualifizierungsprogramm WE entwickelt. Außerdem haben Sie den Bangladesh Accord für Gebäudesicherheit und Brandschutz der Textilfabriken in Bangladesch verlängert. Wie fällt Ihr Urteil aus?
Bergstein: Mit dem Bangladesh Accord, dem Zusammenschluss von mittlerweile 200 großen Unternehmen aus der Textilbranche und der global agierenden Gewerkschaftsföderation IndustriALL, haben wir es geschafft, die Arbeit in dieser Branche in Bangladesch sicherer zu machen. Ich selbst habe ein Jahr vor dem Rana Plaza-Unglück den Vertrag mitverhandelt. Das Besondere ist seine Verbindlichkeit. So sind die Teilnehmer dazu verpflichtet, die Textilfabriken in ihrer Lieferkette in Bangladesch hinsichtlich Gebäudesicherheit und Brandschutz von unabhängigen Inspektoren kontrollieren zu lassen. Die Ergebnisse werden veröffentlicht, und die festgestellten Mängel müssen innerhalb einer bestimmten Frist beseitigt werden.
Außerdem will der Vertrag das Mitspracherecht der Gewerkschaften in der Textilbranche stärken, um unter anderem das Machtungleichgewicht zwischen Fabrikbesitzern und Arbeitern zu verringern. Denn im Fall von Rana Plaza haben die Arbeiter vor dem Einsturz des Gebäudes auf Schäden hingewiesen, durften die Fabrik aber nicht verlassen.
Gute Arbeitsbedingungen zielen aber auch auf faire Löhne. Gerade in diesen Bereichen gibt es in Bangladesch und anderen Ländern textiler Lieferketten noch Nachholbedarf. Was unternimmt Tchibo hier bei seinen Produzenten?
Bergstein: Es ist unmöglich, als Einzelunternehmen unilateral Löhne in einer Fabrik zu steigern. Wir haben das in verschiedenen Pilotprojekten in Textilfabriken getestet, indem wir zum Beispiel höhere Einkaufspreise für die Produkte gezahlt sowie die Produktivität gesteigert haben. Das funktioniert aber in der Praxis nicht für die Gesamtbranche, weil wir nicht der einzige Einkäufer einer Fabrik sind und damit nicht die gesamte Belegschaft abdecken, bzw. Free-Rider-Effekte mitfinanzieren müssten. Außerdem ist es von starken Arbeitnehmervertretungen abhängig, ob Fabrikbesitzer höhere Preise auch wirklich durch steigende Löhne an die Mitarbeiter weitergeben.
Deshalb haben wir uns vor einigen Jahren mit anderen Unternehmen dazu entschlossen, die Initiative Act-On-Living-Wages (ACT) zu gründen, an der auch IndustriALL beteiligt ist. ACT hat das Ziel, in allen relevanten textilen Einkaufsmärkten flächendeckende Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden mit Tarifverträgen durchzusetzen. Damit sind höhere Löhne für die Gesamtbranche verbindlich und der Wettbewerb kann nicht zu Lasten der Beschäftigten stattfinden. Als Unternehmen begleiten wir das durch einen gemeinsamen Dialog mit den Regierungen, Arbeitgeberverbänden und Arbeitnehmerverbänden, durch Reflektion unserer eigenen Einkaufspraktiken und Entwicklung von positiven Anreizen, sowie Programme zur Produktivitätssteigerung und Unterstützung von Gewerkschaften (über unseren Partner IndustriALL).
Sie haben dieses Jahr einen Mietservice für Kinder- und Umstandskleidung eingeführt. Mittlerweile können Kunden auch Spielzeug und Regenkleidung mieten. Hat Tchibo das Teilen für sich entdeckt?
Bergstein: Ich hoffe schon! Das hängt natürlich auch von den Kunden ab. Dem positiven Feedback unserer Stakeholder, Kunden und Medien zufolge, haben wir mit Tchibo Share den Zeitgeist getroffen. Jetzt geht es darum, gemeinsam mit unseren Kunden zu lernen, was gut funktioniert und wie wir unser Angebot verbessern können. Momentan erweitern wir bereits die Produktpalette und werden auch zusätzliche Kleidergrößen in das Sortiment aufnehmen.
Damit Tchibo Share ein Geschäftserfolg wird, brauchen wir natürlich Geduld. Wir sind die ersten, die für den textilen Mainstream-Bereich einen solch umfangreichen Mietservice anbieten und müssen noch viel Erfahrung sammeln.
Ist Sharing also das Geschäftsmodell der Zukunft?
Bergstein: Ich traue mich gar nicht, nein zu sagen. Angesichts der globalen Ressourcenprobleme müssen wir Sharing-Angebote gesellschaftsfähig machen. Aber auch hier gilt: es gibt viele Wege.
Vielen Dank für das Gespräch!