„Es fällt schwer, noch einen Nutzen aus der Finanzberichterstattung zu ziehen“
Die Reporting-Pflichten von Unternehmen nehmen stetig zu. Welche Informationen überflüssig sind und warum das Berichten über wesentliche Werttreiber sinnvoller wäre, erklärt uns Jan-Menko Grummer, Assurance Leader Nord-Ost bei EY Deutschland, im zweiten Teil unseres Gesprächs über den Ansatz des Long Term Value Reportings, den die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft entwickelt hat.
25.06.2019
UmweltDialog: Herr Grummer, gerade börsennotierte Unternehmen haben zahlreiche Reporting-Pflichten. Mit Ihrem Ansatz kommt jetzt eine weitere Aufgabe hinzu. Das hört sich nach viel Arbeit an.
Jan-Menko Grummer: Ich stimme Ihnen völlig zu. Ich bin seit 25 Jahren als Wirtschaftsprüfer tätig, und selbst als Fachmann fällt es einem manchmal schwer, noch einen Nutzen aus der Finanzberichterstattung zu ziehen. Diese führt viele Informationen auf, die für die langfristige Beurteilung eines Geschäftsmodells überflüssig sind. Hier ist die Frage angebracht, ob man die aktuelle Berichterstattung nicht verschlanken kann. Das Ziel ist nicht, noch mehr zu reporten, ganz im Gegenteil. Man kann ja desinformieren, indem man entweder gar nichts berichtet oder zu viel.
Keiner kann noch nachvollziehen, was da über Hunderte von Seiten berichtet wird. Es müsste vielmehr darum gehen, über die wesentlichen Werttreiber, die auch langfristig die Performance von Unternehmen begründen und darstellen, Einblicke zu gewinnen. Die EU-Kommission hat 2018 einen Fitness-Check für Reporting durchgeführt, bei dem Unternehmen und Marktteilnehmer beurteilt haben, wie hilfreich und ausreichend Unternehmensberichterstattung ist. Das Ergebnis: Gerade in den Bereichen, in denen man langfristige und nachhaltige Unternehmensführerschaft erkennen muss, wird nicht ausreichend berichterstattet. Auf EU-Ebene hat sich deshalb eine Task Force gegründet, die dieses Problem lösen will.
UD: Impact-Analysen, die den gesamtgesellschaftlichen Nutzen von Unternehmenstätigkeiten messen, nehmen zu. Worin unterscheidet sich Ihr Ansatz des Long Term Value Reporting?
Grummer: Hier besteht kein Unterschied. Der Impact auf die Gesellschaft ist ein Teil, der damit abgedeckt wird. Wenn meine Geschäftstätigkeit im Einklang mit gesellschaftlichen Werten steht, ist der Socialtal Value ein ganz entscheidender Werttreiber für Unternehmen. BASF, die auch Teilnehmer des Embankment-Projects ist, hat vor ein paar Jahren den „Value to Social“ in ihrem Geschäftsbericht aufgenommen. In diesem Teil informiert BASF, welchen Wertbeitrag sie im abgelaufenen Geschäftsjahr zur Gesellschaft in Form von Löhnen, Steuern und anderen Themen geleistet hat. Gleichzeitig gibt BASF aber auch an, welche Umweltlasten sie, bewertet in Euro, produziert hat.
UD: Sie haben an einer Podiumsdiskussion zur Vorstellung des neuen Gemeinwohlatlasses teilgenommen. Diesem liegt der sogenannte Public-Value-Ansatz zugrunde. Was ist der Zweck dieses Reports?
Grummer: Der Gemeinwohl-Atlas ist von Professor Timo Meynhardt von der Universität St. Gallen und der HL Leipzig 2019 zum zweiten Mal erstellt worden. Dabei handelt es sich um eine repräsentative Befragung der Bevölkerung hinsichtlich der Einschätzung, welchen Wertbeitrag Organisationen wie Unternehmen für die Gesellschaft beziehungsweise das Gemeinwesen geleistet haben. Beispielsweise generiert sich der Public Value eines Vereins, indem sein Beitrag für den Zusammenhalt einer Gemeinde positiv bewertet wird. Fallen die Einschätzungen über eine Organisation negativ aus, müssen sie entweder an ihrem Wertbeitrag für die Gesellschaft insgesamt arbeiten oder ihre Berichterstattung diesbezüglich verbessern, weil sie ihr Engagement nicht ausreichend kommunizieren, sodass ihr Wertbeitrag gar nicht wahrgenommen wird.
Die Studie zeigt damit, wie wichtig es ist, den Public Value von Unternehmen zu messen und darzustellen. Denn Firmen, die in den Augen der Gesellschaft einen positiven Wertbeitrag liefern und diesen nachhaltig in die Unternehmenskultur implementieren, steigern ihre Attraktivität gegenüber relevanten Stakeholder-Gruppen.
UD: Darüber hinaus gibt es noch die sogenannte Gemeinwohl-Ökonomie nach Christian Felber. Bitte klären Sie uns über die Unterschiede zwischen dem Public Value-Konzept und der Gemeinwohl-Ökonomie auf.
Grummer: Das Public Value-Konzept stellt eigentlich nur heraus, dass der Wertbeitrag von Organisationen wie Unternehmen für die Gesellschaft ein nachhaltiger Erfolgsfaktor ist. Es stellt nicht den Kapitalismus und die Marktwirtschaft als solche in Frage. Bei der Gemeinwohl-Ökonomie geht es darum, das gesamte Wirtschaftssystem ein Stück weit zu novellieren und in die Märkte einzugreifen.
UD: Vielen Dank für das Gespräch!
Wer mehr über den Ansatz des Long Term Value Reportings erfahren möchte, sollte den ersten Teil unseres Gesprächs mit Jan-Menko Grummer lesen.