„Investoren haben ein hohes Interesse daran, dass nachhaltige Investitionen erkennbar sind“
Unser Wirtschaftssystem steht in der Kritik. Selbst seine ehemaligen Profiteure fordern ein Umdenken und sprechen sich dafür aus, dass Unternehmen langfristige Werte zum Nutzen aller Stakeholder generieren sollen. Aber wie kann dieser gesellschaftliche Benefit gemessen und kommuniziert werden? Das weiß Jan-Menko Grummer, Assurance Leader Nord-Ost bei EY Deutschland. Er erklärt uns, was es mit dem „Long Term Value Reporting“ auf sich hat.
18.06.2019
UmweltDialog: CEOs führender internationaler Finanzdienstleister und Konzerne haben dieses Jahr vor der wachsenden sozialen Ungleichheit in der Bevölkerung gewarnt. In diesem Zusammenhang sprachen sie sich unter anderem für einen „inklusiven Kapitalismus“ aus, der nicht nur die Interessen der Aktionäre berücksichtigt, sondern auch die Belegschaft und die Gesellschaft am Erfolg der Unternehmen teilhaben lässt. Klingt für mich nach dem bekannten Modell des Rheinischen Kapitalismus. Hat der Shareholder Value ausgedient?
Jan-Menko Grummer: Sicherlich nicht. So viel vorweg. Das kapitalistische und marktwirtschaftliche Modell wird mittlerweile als System fast überall auf der Welt gelebt. Wir müssen die Fehlentwicklungen korrigieren, die dieses Modell in den letzten Jahren zunehmend erkennen lässt. Das heißt, dass Umweltthemen und soziale Aspekte wie Verteilungsgerechtigkeit über Marktmechanismen inkludiert werden müssen. Investoren und andere Stakeholder fühlen sich Unternehmen, die umwelt- und sozialkonform wirtschaften, eher zugetan als Unternehmen und Hedgefonds, die das nicht berücksichtigen. Deswegen ist es für Unternehmen wichtig, nicht nur kurzfristige finanzielle Unternehmensdaten offenzulegen, sondern auch Informationen zu veröffentlichen, die ihren langfristigen gesellschaftlichen Benefit erkennbar machen.
Interessant ist, dass Investoren, die vorher bestimmt auch ein Treiber dieser Fehlentwicklung waren, nun von Unternehmen verlangen, Transparenz über nachhaltige Wirtschaftspraktiken zu schaffen. Machen sie das aus altruistischen Gründen? Wahrscheinlich nicht. Ich denke, dass führende Marktteilnehmer erkannt haben, dass die momentanen Fehlentwicklungen ihre eigenen Geschäftsmodelle auf Dauer gefährden.
UD: In diesem Zusammenhang wird auch davon gesprochen, dass Unternehmen nach ihrem „Purpose“ und nicht nur nach ihren Finanzkennzahlen beurteilt werden sollen. Können Sie das erläutern?
Grummer: „Wir wollen den Cashflow der Aktionäre optimieren“ – so lautet kein Purpose-Statement, das ich kenne. Es geht darum, dass Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit unter ein Leitmotiv stellen, das allen Stakeholdern eine langfristige positive Perspektive bietet. Denn man kann ein Unternehmen nur auf lange Sicht hinweg erfolgreich führen, wenn es neben den Gesellschaftern und Aktionären auch im Einklang mit Kunden, Mitarbeitern und der gesamten Gesellschaft im Einklang steht.
Bei EY beispielweise verfolgen wir den Purpose „Building a better working world“. Unser Ziel ist es, durch unsere Services die Welt nachhaltig mitzugestalten.
UD: Sie kooperieren mit internationalen Versicherungen, Vermögensverwaltern und Unternehmen in dem sogenannten „Embankment Project for Inclusive Capitalism“. Was ist das denn?
Grummer: Dieses Projekt ist zusammen mit der Coalition for Inclusive Capitalism von Lynn Forester de Rothschild und unserem CEO vor zwei Jahren ins Leben gerufen worden. Gemeinsam mit mehr als 30 globalen Unternehmen haben wir ein Framework entwickelt, das Firmen ermöglicht, über ihre langfristigen Werttreiber und damit über ihren langfristigen Unternehmenswert zu berichten. Es wurde im November 2018 veröffentlicht. Zu diesen Werten gehören Aspekte in den Bereichen Human Capital, Consumer Value und Socialtal Value. Der Einfluss von Trust, Governance und Innovation auf den langfristigen Wert des Geschäftsmodells soll gemessen und transparent gemacht werden. Auf diese Weise sollen alle relevanten Stakeholder-Gruppen einen besseren Einblick in die nachhaltige Wirtschaftsweise von Unternehmen erlangen.
Investoren, Asset-Manager oder Asset-Owner, die langfristig Geld anlegen, haben ein hohes Interesse daran, dass nachhaltige Investitionen erkennbar sind.
UD: Sie helfen also Unternehmen dabei, Werte zu kommunizieren, die sie auf langfristige Sicht kreieren. Dafür muss man diese Werte aber zunächst messen können. Das ist kompliziert. Welche Methode haben Sie dazu entwickelt?
Grummer: Wir sind mit der Entwicklung noch lange nicht am Ende. Wir haben ein Konzept erstellt, das versucht, Messmethoden in Form von unterschiedlichen Metriken (Kennzahlensystemen) eine einheitliche Struktur zu geben. Nehmen wir etwa ein technisches Unternehmen wie einen Automobilhersteller. In diesem Fall ist „Innovation“ eine kritische Größe für den langfristigen Unternehmenserfolg. Investitionen in diesem Bereich, beispielsweise in neue Techniken, führen nach heutigem Bilanzrecht dazu, dass sie im Berichtsjahr das Ergebnis mindern. Dabei ist an keiner Stelle in der Finanzberichterstattung erkennbar, ob man erfolgreiche Innovationen bezogen auf künftige Technologien und damit auf Zukunftsfähigkeit getätigt hat. Unsere Metriken versuchen genau das abzubilden.
So messen wir etwa die Leistungsfähigkeit eines betrieblichen Innovationsprozesses ausgehend von der Strategie wie viele Ideen und Entwicklungen in einem Segment umgesetzt worden sind. Wenn ein Autohersteller seine Strategie auf Elektromobilität ausrichtet, kann man seinen Erfolg beispielsweise anhand der darin entwickelten Patente messen (Outcome). Innovationsausgaben alleine besagen ja noch nicht, ob man erfolgreich etwas erforscht oder entworfen hat.
Oder im Bereich Human Capital: Wenn man in die Ausbildung seiner Mitarbeiter investiert, kostet das Geld, was wiederum das Ergebnis mindert. Das taucht aber im bisherigen Unternehmensbericht bestenfalls unsystematisch auf. Hier kann man Kennzahlensysteme entwickeln, die das Knowledge der Mitarbeiter über einen definierten Zeitablauf abbilden. Auf diese Weise bekommt jeder einen Eindruck davon, wie erfolgreich hier Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter betrieben wird.
UD: Vielen Dank für das Gespräch!
Erfahren Sie mehr zum Long Term Value Reporting in unserem zweiten Teil des Interviews, der in Kürze erscheinen wird.