Klimawandel

Städte und Quartiere im (Klima-) Wandel

Immer mehr Menschen leben weltweit in Städten. Wie lässt sich das Leben dort in Zukunft unter den Bedingungen des Klimawandels nachhaltig gestalten? Wir stellen wichtige Herausforderungen und Chancen, Pioniere und Akteure vor.

13.08.2021

Städte und Quartiere im (Klima-) Wandel

Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen haben uns vor Augen geführt, was wir an unseren Städten so schätzen – und was uns fehlt, wenn wir gezwungen sind, darauf zu verzichten: das Schlendern durch belebte Fußgängerzonen oder über den Markt, der Popcorngeruch im Kinosaal, die Spielplatzbesuche mit den Kindern oder der Spaß im Schwimmbad. Was vermutlich die Wenigsten vermisst haben: den Stau in der Rushhour auf dem Weg zum Büro in die Stadt oder den Gestank der Abgase an der Fußgängerampel, den Baustellenlärm oder die Erkältung, die wir uns im Gedränge des Stadtbusses eingefangen hätten.

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Wie wollen wir in Zukunft leben?

Diese Frage drängt sich im Rückblick auf die vergangenen Monate auf. Fest steht: Es zieht immer mehr Menschen in die Stadt. Schon jetzt lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in urbanen Ballungsräumen – Tendenz steigend. Hier konzentrieren sich Gebäude, Verkehr und wirtschaftliche Aktivitäten – und damit ein hoher Energie- und Ressourcenverbrauch sowie ein hoher Treibhausgasausstoß. Städte treiben den Klimawandel an und sind gleichzeitig von dessen Folgen wie Hitzeperioden oder Starkregen und Überschwemmungen besonders stark betroffen. Wie gestalten wir unsere Städte nachhaltig und widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel, damit sie auch in Zukunft lebenswert sind? Wie werden unsere Städte grüner und gesünder? Und wie gelingt es, dass Wohnraum trotzdem für alle bezahlbar ist, alle am städtischen Leben teilhaben und es mitgestalten können?

Ohne Reduktion geht es nicht

An einer Absenkung der Treibhausgasemissionen führt kein Weg vorbei, wie Expertinnen und Experten im Vorfeld des neuen Sachstandsberichts des Weltklimarats jetzt erneut unterstrichen. Deshalb sieht das im Juni durch den Bundestag überarbeitete Klimaschutzgesetz auch vor, dass Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral werden soll. Gebäude, die laut Bundesregierung derzeit für bis zu 30 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich sind, spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Das Klimaschutzgesetz gibt hier ein ambitioniertes Ziel vor: Bis 2030 sollen die Emissionen im Gebäudebereich nahezu halbiert und auf 67 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduziert werden. Maßnahmen zur Energieeffizienz und CO2-Reduktion im Betrieb sind hierbei wichtige Hebel. Sie allein reichen aber nicht aus, denn mehr als die Hälfte der Treibhausgasemissionen fallen bereits in der Bauphase an. Viele Zulieferer wollen inzwischen die Umweltbelastungen durch ihre Produkte verringern und mit nachhaltigeren Produkten diese „verbauten Emissionen“ reduzieren. Lesen Sie hier mehr zum beispielhaften Engagement des Bodenbelagsherstellers Interface!

Rolf Buch, Vorstandsvorsitzender von Vonovia, hat im April die Energiezentrale der Zukunft (EZZ) in Bochum-Weitmar eröffnet.
Rolf Buch, Vorstandsvorsitzender von Vonovia, hat im April die Energiezentrale der Zukunft (EZZ) in Bochum-Weitmar eröffnet.

Wie in Quartieren und Reallaboren die urbane Zukunft erforscht wird

Über den Gebäudebereich hinaus werden deutschlandweit in verschiedenen Quartieren bereits Strategien einer sozial- und umweltverträglichen, klimaresilienten sowie energie- und ressourceneffizienten Stadtentwicklung erprobt. Ein Beispiel für klima- und umweltfreundliches Wohnen im Bestand: das „Innovationsquartier“ in Bochum-Weitmar. In dem Quartier mit 1.540 Wohnungen aus den 1950er-Jahren eröffnete das Wohnungsunternehmen Vonovia im Frühjahr eine „Energiezentrale der Zukunft“, sprich eine Technikzentrale zur Erforschung verschiedener Energiesysteme. Diese liefert für 81 Wohnungen Energie. Künftig sollen hier jährlich bis zu 25 Prozent des Stroms und 60 Prozent des Wärmebedarfs erneuerbar und lokal erzeugt werden. Wie das funktioniert? Mit eigenen Photovoltaikanlagen auf den Hausdächern und mit Technologien wie dem Elektrolyseur zur Produktion von Wasserstoff aus Strom, Brennstoffzellen oder Wärmepumpen. Die Umstellung soll nicht nur dem Klima zugutekommen, sondern sich langfristig auch für die Bewohnerinnen und Bewohner auszahlen. Für ein Wohnungsunternehmen wie Vonovia kann das Engagement für eine nachhaltige Quartiersentwicklung einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil darstellen.

Mit der dekarbonisierten Wärmeversorgung der Zukunft befasst sich auch eine von E.ON durchgeführte Analyse. Anhand eines „digitalen Zwillings“ der Stadt Essen wurden verschiedene Energiewendeszenarien durchgespielt: darunter die Umstellung auf Wärmepumpen, die zusätzliche Verdichtung des Fernwärmenetzes, der Einsatz direkter elektrischer Raumheizungen und die Verwendung von Hybridwärmepumpen sowie die allmähliche Umstellung auf Grünes Gas im bestehenden Erdgasnetz. Für E.ON-Vorstand Leonhard Birnbaum steht fest: Die bestehenden Gasnetze zu nutzen, sei „nicht nur am sozialverträglichsten, sondern auch am wirtschaftlichsten.“ Denn das vermeide aufwändige Renovierungen und damit verbundene Mietsteigerungen. E.ON kommt in der Studie zu dem Schluss: Die dekarbonisierte Wärmeversorgung der Zukunft könne nur mit einem Technologiemix erreicht werden. Welche Kombination die beste sei, unterscheide sich von Region zu Region. E.ON hat sich im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsstrategie eigene Klimaziele gesetzt und will unter anderem die Scope-1- und -2-Emissionen bis 2040 um 100 Prozent reduzieren. Damit kommt der Energieversorger auch der steigenden Nachfrage seiner Kunden nach nachhaltigen Energielösungen nach. Mehr zum Engagement von E.ON für eine nachhaltige Stadt- und Quartiersentwicklung erfahren Sie hier.

Das York-Quartier liegt südlich von Münsters Zentrum. Aktuell befindet sich auf dem rund 50 Hektar großen Gelände noch eine Kaserne. Nun sollen dort circa 1.800 Wohneinheiten, soziale Infrastruktur, Gewerbe sowie zahlreiche Grünflächen entstehen.
Das York-Quartier liegt südlich von Münsters Zentrum. Aktuell befindet sich auf dem rund 50 Hektar großen Gelände noch eine Kaserne. Nun sollen dort circa 1.800 Wohneinheiten, soziale Infrastruktur, Gewerbe sowie zahlreiche Grünflächen entstehen.

Ebenfalls in Nordrhein-Westfalen, in Münster, entsteht zurzeit das „York-Quartier“. Die neue nachhaltige „Oase“ ist stadtnah gelegen und wird gleichzeitig viel Grün zum Gärtnern und Erholen zu bieten haben; es soll Gemeinschaftsgärten und Spielplätze, aber auch private Gärten und genug Freiraum für jeden Einzelnen geben; Geschosswohnungen neben Stadthäusern, energieeffiziente Neubauten neben sanierten Bestandsbauten, Wohn- neben Gewerbeeinheiten. Durch Photovoltaikanlagen auf den Dächern und die Anbindung an das Fernwärmenetz wird sich das Quartier autonom und klimaneutral mit Strom versorgen. Auch Konzepte für eine nachhaltigere Mobilität wie Carsharing- und E-Ladestationen sowie eine fahrradfreundliche Infrastruktur mit Lastenradverleih sind fest eingeplant. Das Quartier soll sich so zu einem „grünen und lebendigen Ort“ entwickeln, „der attraktives, urbanes Wohnen ermöglicht und Menschen aller Alters- und Bevölkerungsgruppen ein Zuhause bietet“, so die Vision der KonvOY GmbH, die für die Entwicklung und Vermarktung verantwortlich ist.

Die Stadt der Zukunft ist digital und „intelligent“

Nicht weit von den Bauarbeiten für das neue York-Quartier entfernt, befindet sich ein „Labor“ für smarte Technologien. An einem Park+Ride-Parkplatz testet die Stadt Münster gemeinsam mit den Stadtwerken unter realen Bedingungen, wie digitale Technologien für den Klimaschutz und eine nachhaltige Mobilität nutzbar gemacht werden können. Zum Einsatz könnten sie unter anderem im neuen York-Quartier kommen. Als erste Anwendung sollen Sensoren installiert werden, die erfassen, ob Parkplätze frei oder belegt sind. Das soll Autofahrern, die von außerhalb kommen, die Parkplatzsuche und den Umstieg auf umweltfreundlichere Alternativen erleichtern. Zusätzlich sind weitere Sensoren geplant, die zum Beispiel die Bodenfeuchtigkeit überwachen und so im Winter vor Glatteis warnen und im Sommer für eine ausreichende Bewässerung sorgen können. Auch die Mülleimer sollen ihren Füllstand künftig automatisch an die Abfallwirtschaftsbetriebe melden. Getestet werden zudem „intelligente“ Straßenlaternen: Sie sollen nicht nur Licht aus energiesparenden LED-Leuchten spenden, sondern auch darüber informieren können, ob eine nahegelegene E-Ladestation frei ist.

Projekte zur Erprobung digitaler Technologien und Strategien für eine nachhaltige Stadtentwicklung wie in Münster werden vom Bund gefördert: Zum dritten Mal hat etwa das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat das Förderprogramm „Modellprojekte Smart Cities“ ausgeschrieben. Auch Münster wird neben 27 weiteren Kommunen, Kooperationen und Landkreisen einen Förderzuschlag erhalten. Welche deutschen Großstädte in Sachen Digitalisierung gut aufgestellt sind und wo Nachholbedarf besteht, lässt sich am Smart-City-Ranking des BITKOM-Verbands ablesen. 2020 wurde Hamburg dort als smarteste Stadt Deutschlands vor München und Köln gelistet.  Bewertet wurden unter anderem die Bereiche Verwaltung, Umwelt, Energie und Mobilität. Dabei stellte sich etwa heraus, dass Elektrofahrzeuge insgesamt betrachtet nur einen sehr geringen Anteil der zugelassenen Fahrzeuge ausmachen, die Ladeinfrastruktur deutschlandweit jedoch kräftig ausgebaut wurde. Große Unterschiede zeigten sich beim Thema alternative Antriebe im ÖPNV. Während die Busse mancherorts noch ausschließlich mit Diesel fahren, ist Oldenburg zum Beispiel bereits beinah klimaneutral unterwegs. Vor allem in Hamburg gibt es zudem viele Möglichkeiten, Autos, Fahrräder und Co. geteilt zu nutzen. Eine App ermöglicht es außerdem, die schnellste Verkehrsroute zu ermitteln und die Tickets dafür zu buchen.

Mit dem Projekt „Zukunftstaxi“ beabsichtigt Hamburg außerdem, künftig noch mehr E-Taxen auf die Straßen zu bringen. Ab Oktober können Unternehmerinnen und Unternehmer erneut Fördermittel beantragen. Zu den Partnern gehört unter anderem die Deutsche Telekom, die das Projekt mit ihren Services rund um die Installation und Wartung von Schnelladesäulen und Wallboxen sowie einem vergünstigten Tarif für die Taxibranche unterstützt. Über das Laden hinaus unterstützt die Telekom die Taxibetreiber unter anderem mit Mobilfunkausstattung und entwickelt Lösungen zur CO2-Reduzierung – zum Beispiel über die „intelligente“ Steuerung und Optimierung der Verkehrsströme.

memo und memolife Kunden innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings werden emissions- und lärmfrei durch das Rad-Logistik-Unternehmen Velogista GmbH beliefert.

Schon gewusst?

Als Alternative zum privaten Pkw oder Dienstwagen und als Lösung für den zunehmenden Verkehr in den Städten werden immer häufiger Lastenfahrräder mit Elektroantrieb eingesetzt. Dass sich diese nicht nur für den Transport des Wocheneinkaufs oder der Kinder zum Kindergarten eignen, sondern auch zum Warentransport verwendet werden können, hat sich bereits in einigen Modellprojekten gezeigt. Für Unternehmen wie den Versandhändler memo oder Kyocera Document Solutions ist das Paket-Pedelec inzwischen zur Normalität geworden. Lesen Sie hier mehr darüber!

Seien es globale oder nationale Zielvorgaben, städtische, kommunale oder gesellschaftliche Initiativen und Projekte von Bewohnerinnen und Bewohnern oder auch Ansätze von Wohnungs-, Energie- oder Verkehrsunternehmen: Mit Blick auf eine nachhaltige Entwicklung unserer Städte wird deutlich, dass diese von ganz unterschiedlichen Akteuren und Partnern gemeinsam vorangetrieben und umgesetzt wird. Nur so erwächst in der Zukunft aus vielen kleinen Oasen eine große, vernetzte, vielfältige Oase für alle.

Quelle: UmweltDialog
 

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