Lebensmittel

In vitro: Fleisch ohne Tierleid?

Fleisch aus der Petrischale klang lange nach Zukunftsvision. Die Behörden in Singapur ließen jetzt Chicken Nuggets, die im Labor gezüchtet wurden, zum Verkauf für Verbraucher zu. Aber wie wird sogenanntes Clean Meat hergestellt? Und wo liegen derzeit die Probleme?

18.01.2021

In vitro: Fleisch ohne Tierleid?

Können Sie sich vorstellen, Fleisch zu essen, das im Labor hergestellt wurde? In Singapur ist das jetzt Realität. Wie mehrere Zeitungen, darunter die Rheinpfalz, berichten, genehmigte der Stadtstaat Ende 2020 den Verkauf von im Labor erzeugten Chicken Nuggets. Produziert wird das In-vitro-Hähnchenfleisch vom US-amerikanischen Unternehmen Eat Just. Die Herstellung sei gründlich getestet worden und das Produkt erfülle alle Anforderungen an Lebensmittel, erklärte das Unternehmen. „Ich bin sicher, dass die behördliche Genehmigung für Laborfleisch in Singapur nur die erste von vielen sein wird“, zitiert die Rheinpfalz Josh Tetrick, CEO von Eat Just. Das Unternehmen könne gemeinsam mit der Agrarbranche und der Politik dabei helfen, „die wachsende Nachfrage nach tierischem Eiweiß zu bedienen“.

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Laborfleisch gilt als nachhaltigere Alternative zu herkömmlichem Fleisch. Es „benötigt im Vergleich zur konventionellen Fleischgewinnung viel weniger Ressourcen – wie etwa Wasser oder Landflächen – und produziert weniger Treibhausgase“, sagt Professorin Petra Kluger von der Hochschule Reutlingen, die in ihrem Forschungsgebiet an In-vitro-Fleisch arbeitet. Außerdem komme Clean Meat dem Tierwohl zugute und berge weniger gesundheitliche Risiken als Fleisch aus Massentierhaltung.

Von einzelnen Zellen zu Muskelfasern

Aber wie funktioniert die künstliche Herstellung von Fleisch im Labor? Das Magazin Elements vom Spezialchemieunternehmen Evonik erklärt es: Zuerst werden einem gesunden Tier nach lokaler Betäubung einige Zellen entnommen. Aus den Muskelzellen isoliert man sogenannte Satellitenzellen, die normalerweise beschädigte Muskeln reparieren. Diese werden in eine Nährlösung (derzeit häufig noch aus Kälberserum) aufgebracht, wo sie sich vermehren können. Wenn man in dieser Nährlösung bestimmte Proteine reduziert, bilden sich die Satellitenzellen zu Muskelzellen – Myoblasten – aus. Sie ordnen sich zu sogenannten Myotuben an, die bei richtiger Anordnung Muskelfasern bilden. Durch Kontraktion dieser Fasern baut der Muskel schließlich Masse auf. Um etwa einen Burger-Patty daraus herzustellen, benötigt man rund 20.000 dieser Muskeln.

Das ist eine ganze Menge und zeigt eines der Probleme, vor denen die Hersteller von Laborfleisch derzeit noch stehen: die kostengünstige Produktion in großem Maßstab. „Einer der Hauptkostentreiber für kultivierte Fleischerzeugnisse sind Zellkulturmedien, die derzeit rund 50 Prozent bis 80 Prozent der Marginalkosten in der Produktion ausmachen“, heißt es von Merck. Das Wissenschafts- und Technologieunternehmen arbeitet daran, Alternativen zur Nährlösung aus fötalem Rinderserum zu entwickeln. Denn das ist nicht nur sehr teuer, sondern auch aus ethischer Sicht problematisch: Kälberserum wird aus dem Blut ungeborener Kälber gewonnen, schreibt das Magazin Quarks. Dafür müssten trächtige Kühe geschlachtet und der Fötus noch lebend herausgeschnitten werden. „Anschließend wird dessen Blut aus dem noch schlagenden Herzen abgenommen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Föten dabei Schmerzen empfinden.“

Weiterentwicklung nur gemeinsam

Das Ziel von Merck ist es daher, Zellkulturmedien zu entwickeln und zu kommerzialisieren, die ganz ohne tierische Produkte auskommen. Dabei greift das Unternehmen auf seine Erfahrungen als Rohstofflieferant für die biopharmazeutische Industrie zurück und kooperiert außerdem mit Start-ups. Darüber hinaus sucht Merck Lösungen für andere Herausforderungen im Bereich Cultured Meat. Dazu gehört es zum Beispiel, Bioprozesse zu automatisieren, die das Wachstum und die Differenzierung von mehreren Zelltypen gleichzeitig ermöglichen.

„Ich glaube, Zusammenarbeit beschleunigt die Entwicklung immens. Fachleute verschiedenster Disziplinen aus Wissenschaft und Industrie müssen sich zusammensetzen und gemeinsam neuartige Lösungen finden, um die vielversprechende Idee marktfähig zu machen“, meint Lavanya Anandan, Head of Innovation im Bereich Cultured Meat bei Merck. „Universitäre Labore mit Expertise im Bereich Gewebekonstruktion oder Biomanufacturing zum Beispiel könnten sich wissenschaftlichen Fragestellungen widmen. In ähnlicher Weise könnten Industriepartner mit Erfahrung im Anlagenbau und der Lebensmittelproduktion dazu beitragen, Herausforderungen der Hochskalierung zu meistern.“

Wann Fleisch aus der Petrischale auch in Europa und Deutschland kommen wird, ist noch unklar. „Denn der Genehmigungsprozess für In-vitro-Fleisch in der EU könnte mehrere Jahre dauern“, heißt es beim Südwestrundfunk. Zulassungsanträge gebe es bisher keine.

Ein Burger für 250.000 Euro?

Der Erste, der Fleisch aus dem Labor erfolgreich herstellte, ist der niederländische Forscher Mark Post. 2013 präsentierte er den ersten Kunstfleisch-Burger – für 250.000 Euro. Um In-vitro-Fleisch markttauglich zu machen, gründete Post das Start-up Mosa Meat. Einem Blogbeitrag des Unternehmens zufolge verzichtet Mosa Meat seit 2019 auf eine Nährlösung, die auf Kälberserum basiert und setzt stattdessen auf eine Lösung ohne tierische Bestandteile. Dadurch konnten die Kosten um das 88-Fache gesenkt werden. Derzeit arbeitet das Start-up daran, den Herstellungsprozess hoch zu skalieren und die Kosten noch weiter zu senken.

Quelle: UmweltDialog
 

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