„Qualität muss bei der Kakao-Preisbildung eine stärkere Rolle spielen“
Diversifizierung und höhere Weltmarktpreise für Kakao sind Möglichkeiten, um die Armut der Kakaobauern in Westafrika zu bekämpfen. Dieser Ansicht ist Friedel Hütz-Adams, Rohstoffexperte beim Forschungsinstitut Südwind. Achim Drewes, Public Affairs Manager vom Schokoladenhersteller Nestlé, fordert hingegen eine stärkere Professionalisierung im Kakaoanbau, so dass durch höhere Erträge und bessere Qualität das Einkommen der Farmer steigt. UmweltDialog sprach mit beiden über die Situation im westafrikanischen Kakaosektor.
19.02.2013
UmweltDialog:Herr Hütz-Adams, Sie sprechen sich für eine Diversifizierung der Produktion aus. Lohnt sich der Kakaoanbau für die Bauern in der Elfenbeinküste und Ghana nicht mehr?
Friedel Hütz-Adams: Viele Bauern sind in den 1950er bis 1970er Jahren in den Kakaoanbau eingestiegen, weil es ein lukratives Geschäft war. Das hat sich ab Ende der 1980er Jahre durch den massiven Preisverfall mit einem Tiefpunkt um die Jahrtausendwende verändert. Inflationsbereinigt kostet heute eine Tonne Kakao auf dem Weltmarkt nur halb so viel wie vor 30 Jahren. Es ist naheliegend, den Bauern zu empfehlen, nicht nur auf Kakao zu setzen.
Achim Drewes: Das ist nicht nur eine Frage des Preises. Wir haben in Westafrika vor allem ein strukturelles Problem, das mit der mangelnden Professionalität im Kakaoanbau zusammenhängt. In der Elfenbeinküste etwa wurde der Kakaoanbau in den letzten 20 Jahren vernachlässigt. Der Bürgerkrieg ab 2002 hat das verschlimmert: Durch die Landflucht der Bauern ist viel Fachwissen verloren gegangen. Aufgrund der andauernden politischen Instabilität investierten die Kakaobauern nach ihrer Rückkehr nicht in die Kakaopflanzen. Diese sind jetzt veraltet. Dadurch sind heute die Kakaoerträge pro Hektar zu gering. Hier haben wir einen Ansatzpunkt, um die Einkommenssituation der Bauern zu verbessern. Steigern wir die Erträge durch bessere Anbaumethoden, wächst auch der Erlös. So hätte der Kakaoanbau in Westafrika wieder eine Zukunft.
UD: Inwieweit unterscheidet sich die Einkommenssituation der ghanaischen Kakaobauern von denen in der Elfenbeinküste?
Hütz-Adams: Die ghanaische Regierung hat zur Stabilisierung der Einkommen das sogenannte Cocobod aufgebaut. Diese Institution funktioniert mittlerweile ganz gut. Um das Einkommen der Kakaobauern für eine Erntesession zu garantieren, sichert ihnen das Cocobod einen Festpreis zu. Wenn der Weltmarktpreis fällt, haben die Bauern eine Absicherung nach unten. Das Cocobod kann dies finanzieren, weil es vor Erntebeginn bereits einen erheblichen Teil der Ware an Händler oder über die Börsen verkauft hat. Der Nachteil ist bisher gewesen, dass bei einem steigenden Weltmarkpreis hundertausende von Tonnen Kakao aus Ghana herausgeschmuggelt werden. Deswegen hat das Cocobod angekündigt, die Preise während einer Erntesession künftig anzupassen. Die ivorische Regierung versucht nun, mit dem Conseil du Café-Cacao (CCC) einen ähnlichen Weg zu gehen. Für die diesjährige Erntesession wurde bereits ein Teil der Ernte vorab verkauft. Viele Beobachter sind allerdings gespannt, ob das CCC die Lieferverträge erfüllen kann.
UD: Herr Drewes, was halten Sie von einem Festpreissystem für Kakao?
Drewes: Eine Struktur, die Transparenz und Planungssicherheit mit sich bringt, hat Vorteile. Ob ein Festpreissystem wie in Ghana die beste Lösung ist, um die Einkommenssituation der Bauern zu verbessern, lassen wir mal dahin gestellt sein. Wir sind als Schokoladenhersteller auf hochwertigen Kakao angewiesen. Deswegen ist es wichtig, dass bei der Preisbildung der Faktor Qualität eine Rolle spielt. So zahlen wir zu den Marktpreisen zusätzliche Prämien, die wir mit unseren Partnerkooperativen aushandeln. Die Prämien schaffen gezielt Anreize für die Bauern, bessere Anbaumethoden einzuführen und vereinbarte Qualitätsstandards einzuhalten. Wir unterstützen dies mit Beratung, Mikrokrediten und leistungsfähigen Pflanzen. Dadurch können die Bauern aus eigener Kraft ihre Einkommen verbessern.
UD: Da die Pflanzen so empfindlich sind, tragen die Bauern nicht trotzdem ein großes Risiko, wenn sie nur Kakao anpflanzen?
Hütz-Adams: Genau. Wenn die Bauern auf einem Teil ihrer Flächen auch andere Produkte zum Verkauf anbauen, sind sie weniger von der Kakaoernte abhängig. Außerdem ist einer niederländischen Studie zufolge mehr als ein Viertel der westafrikanischen Bevölkerung in Kakaoanbaugebieten unterernährt. Auch aus diesem Grund müssen die Bauern noch zusätzlich Nahrungsmittel für sich anpflanzen, die weniger regenanfällig sind.
Drewes: Diversifizierung ist ein Ansatz, den wir in einem begrenzten Rahmen auch bei Nestlé verfolgen. Wir empfehlen den Bauern beispielsweise, zusammen mit den Kakaosetzlingen Bananenstauden auszubringen. Diese spenden den Kakaosetzlingen Schatten, und die Bananen können entweder verkauft werden oder dienen dem Eigenverzehr.
UD: Wo setzt dabei genau der Cocoa Plan von Nestlé an? Wie hilft er den Kakaobauern?
Drewes: Der Cocoa Plan hat mehrere Standbeine. Die Ausgangsbasis bilden straffe, transparente Lieferketten, die eine Rückverfolgung der Ware ermöglichen. Dazu müssen wir vor allem in der Elfenbeinküste die Zwischenhändler anders einbinden - und wer keinen Beitrag zur Wertschöpfung und Transparenz leistet, hat zukünftig keinen Platz mehr in der Lieferkette. Um die Anbaumethoden im Kakaosektor zu verbessern und die Erträge zu steigern, bilden wir die Bauern unserer Partner-Kooperativen in sogenannten Farmer Field Schools fort. Parallel versorgen wir sie mit leistungsfähigen und ertragsreichen Setzlingen, die gleichzeitig eine natürliche Resistenz gegenüber Schädlingen und Pilzbefall aufweisen. Dadurch werden systematisch die alten Bestände aufgefrischt und verjüngt. Durch die neuen Setzlinge können die Bauern bei richtigem Anbau ihre Ernte auf über 800 Kilogramm pro Hektar verdoppeln - im Idealfall sind Erträge von bis zu 1200 Kilogramm pro Hektar möglich. Darüber hinaus investieren wir mit dem Cocoa Plan auch in die soziale Infrastruktur der Anbaugebiete. Momentan unterhalten wir 18 Projekte zur Wasser- und Sanitätsversorgung in den Partner-Kooperativen. Um mehr Kindern einen Bildungszugang zu ermöglichen und damit gleichzeitig die Arbeit auf den elterlichen Farmen zu begrenzen, unterstützen wir zusammen mit der World Cocoa Foundation den Bau von Schulen. Zehn Schulen sind bereits im Betrieb. Außerdem sind in den nächsten drei Jahren erst einmal 30 weitere Einrichtungen geplant und teilweise in der Entstehung.
UD:Herr Hütz-Adams, was halten Sie von dem Cocoa Plan?
Hütz-Adams: Ich finde es wichtig, dass es dieses Engagement gibt. Allerdings kritisiere ich, dass es nicht schon vor zehn bis 15 Jahren begonnen hat. Meine Kritik richtet sich hier nicht nur an Nestlé, sondern an die gesamte Branche. Es ist nicht verwunderlich, dass die ersten Gerüchte über Kinderarbeit im Kakaosektor zur Jahrtausendwende eingesetzt haben. Damals lag der Weltmarktpreis inflationsbereinigt bei knapp über 1.000 Dollar pro Tonne. Die Bauern reagierten, indem sie verzweifelt versucht haben, Kosten zu senken. So stellten sie keine erwachsenen Erntehelfer mehr ein, sondern haben auf Kinder zurückgegriffen. Das ändert sich nur, wenn sich die Situation für die Kakaobauern verbessert. Der Cocoa Plan hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt. Man muss jetzt abwarten, wie schnell Nestlé und andere Unternehmen ihre Initiativen in die breite Fläche getragen bekommen, um möglichst viele Bauern mit den Programmen zu erreichen.
UD: Letztes Jahr hat die Fair Labor Association (FLA) den Cocoa Plan in der Elfenbeinküste evaluiert. Dabei wurde unter anderem festgestellt, dass Kinderarbeit auf den Kakaofarmen immer noch ein akutes Problem darstellt. Was hat Nestlé vorher falsch gemacht?
Drewes: Die gesamte Branche hat sich in der Vergangenheit zu stark darauf verlassen, dass die Kakaolieferanten und Regierungen ihren Teil dazu beitragen. Das hat nicht funktioniert. Für uns bedeutet dies, dass wir für die gesamte Lieferkette eine größere Verantwortung übernehmen. Dafür haben wir den Cocoa Plan ins Leben gerufen. Ein wichtiger Schritt war für uns die Zusammenarbeit mit der FLA. Diese hat unsere Lieferkette für Kakao untersucht und entsprechende Empfehlungen ausgesprochen. Dazu gehört die Einrichtung eines effektiven Kontrollsystems zur Überwachung von Sozial- und Arbeitsstandards, insbesondere zur Beseitigung von Kinderarbeit, in der gesamten Lieferkette. Eine Probephase mit zwei Kooperativen und 40 Dörfern läuft momentan in der Elfenbeinküste. Dabei müssen wir unsere Lieferanten und Partner vor Ort stärker in unser Programm mit einbeziehen. Durch gemeinsame Schulungen verdeutlichen wir, welche Standards Nestlé erwartet und wie diese gemeinsam umgesetzt werden können. Eine Herausforderung dabei ist auch die geringe Alphabetisierung der ivorischen Kakaobauern: Unser Lieferantenstandard lag bisher nur in Textform vor. Damit jeder ihn verstehen kann, haben wir ihn nun auch in bebilderter Form an die Bauern verteilt und unter anderem in den Sammelstellen aufhängen lassen.
Die FLA wird die Umsetzung des Maßnahmenplans in den Dörfern evaluieren, so dass wir für die nächste Stufe eventuell noch Anpassungen vornehmen können. Bis 2016 soll das Kontrollsystem der Lieferkette flächendeckend in allen unseren Partner-Kooperativen umgesetzt werden.
UD: Im Dezember vergangenes Jahr wurde die Dokumentation „Schmutzige Schokolade II“ des dänischen Journalisten Miki Mistrati im Fernsehen ausgestrahlt. Dort wurden Jugendliche gezeigt, die auf ghanaischen Kakaoplantagen gearbeitet haben. In der Elfenbeinküste sah der Zuschauer Kinder, die Macheten in die Schule mitgenommen haben. Auch verwies der Film dort auf nicht beendete Schulbauprojekte der International Cocoa Initiative (ICI). Wie beurteilen Sie die Aufnahmen?
Drewes: Der Film geht sehr einseitig auf die Themen Kinderarbeit und Sklaverei ein. Wichtig ist, dass über dieses Thema gesprochen und dadurch die Öffentlichkeit sensibilisiert wird. Allerdings vermittelt der Film kein Bild der komplexen Gesamtsituation und der Ursachen der Probleme. Das zahlenmäßig weit größere Problem ist die Mitarbeit der Kinder auf den Farmen der Eltern und die unsichere, teilweise für Kinder gefährliche Arbeit. Auch haben diese in vielen Fällen keine Möglichkeit, zur Schule zu gehen. Die Ursachen dafür analysiert der Film aber nicht.
Hütz-Adams: Der Film sagt zu wenig über die gängigen Verhältnisse in Westafrika aus, als dass ich beurteilen könnte, ob er sie richtig schildert oder nicht. Die Aufnahmen sind teilweise zusammenhangslos. Was hat beispielsweise ein verletzter Junge auf einem Schulhof mit dem Kakaoanbau zu tun? Wer hat ihm die Machete gegeben, um dort Gras zu roden? Warum wurde das Schulprojekt von der ICI nicht zu Ende gebaut? Mich hätte interessiert, wer hier der staatliche Partner gewesen ist. Das kann ja nicht nur die Dorfgemeinschaft gewesen sein.
Drewes: Das ist eine gute Frage - die ICI hat aber selber hierzu ausführlich Stellung genommen. Wir waren nicht an diesem Projekt beteiligt. In unserem Schulprogramm arbeiten wir aber auch nicht mit der ICI zusammen, sondern mit der World Cocoa Foundation. Diese arbeitet gut mit den staatlichen Stellen in der Elfenbeinküste zusammen, was ein wichtiger Erfolgsfaktor ist.
Hütz-Adams: In diesem Zusammenhang stellt sich aber eine viel grundsätzlichere Frage: Kann es die Aufgabe von Unternehmen oder von Unternehmen finanzierten Stiftungen sein, Schulen zu bauen? Ganz klar, nein! Es muss möglich sein, dass durch den Handel mit einem wertvollen Rohstoff wie Kakao Steuereinnahmen in dem Anbauland erwirtschaftet werden, die für den Schulausbau reichen. Hier hätte der Film in seiner Kritik viel weiter gehen können. Der Vorwurf, es werde von unternehmerischer Seite in der Elfenbeinküste nichts gegen Kinderarbeit getan, weil dort Schulen nicht zu Ende gebaut worden seien, setzt an der falschen Stelle an und ist darüber hinaus sehr strittig.
UD: Wenn bisher nicht ausreichend Schulen auf dem Land gebaut worden sind, warum sollen sich die Bauern in der Elfenbeinküste jetzt auf den Staat verlassen?
Hütz-Adams: Das kann man auch anders formulieren: Vor dem ersten Bürgerkrieg 2002 hatte die Elfenbeinküste ein relativ gut funktionierendes Schulsystem, obwohl ein großer Teil der Erlöse aus dem Kakaosektor veruntreut wurden. Unternehmen können bei Bedarf Schulprojekte auf Distrikt-Ebene unterstützen und in bestehende Infrastrukturen hinein bauen, die spätere Schulaufsicht gewährleisten. Aber genau hier lag oftmals das Problem. Unternehmen haben Schulen errichtet, ohne die Lokalverwaltung ausreichend zu informieren. Außerdem können Unternehmen den dafür zuständigen Regierungs-Kommissaren nicht vorschreiben, in welchem Dorf die nächste Schule gebaut werden muss. Das sind komplexe Angelegenheiten, die nur auf einer entwicklungspolitischen Ebene zu lösen sind.
Drewes: Ich gebe Herrn Hütz-Adams Recht. Es ist natürlich nicht die Aufgabe von Unternehmen, hoheitliche Aufgaben wie das Betreiben von Schulen und die inhaltliche Gestaltung des Lehrplans zu übernehmen. Wir können aber die Finanzierung von Gebäuden und Ausstattung dort anbieten, wo die Dorfgemeinschaft und Partner-Kooperative eine fehlende Schule als Problem sehen. Die Schulen sind nur erfolgreich, wenn sie nach einem gemeinsamen Plan mit den Lokalregierungen erbaut und in das staatliche Schulsystem integriert werden. Wichtig ist, dass die Dorfgemeinschaften die Schulen als ein Teil von sich übernehmen.
UD: Warum lassen sich missbräuchliche Kinderarbeit- und handel im Kakaosektor so schwer beseitigen?
Hütz-Adams: Das hat verschiedene Ursachen. Zuerst muss innerhalb der öffentlichen Debatte eine Differenzierung zwischen Kinderarbeit und missbräuchlicher Kinderarbeit vorgenommen werden. Auf den Kakaofarmen in Westafrika haben wir die Situation, dass das Gros der Kinder in einer Form mitarbeitet, die weder nach lokalen oder internationalen Standards verboten ist. Wenn es in einer Kultur verankert ist, dass elfjährige Kinder schon mit gefährlichen Macheten umgehen dürfen, erfordern Veränderungen einen langen Prozess bei den Eltern. Einfache Verbote reichen hier nicht aus. Darüber hinaus gibt es vor allem in der Elfenbeinküste arbeitende Kinder, die beispielsweise aus Mali stammen. Dort herrscht eine sechsjährige Schulpflicht. Haben die Eltern nicht das Geld, ihre Kinder auf entferntere weiterführende Schulen zu schicken, gehen die Kinder und Jugendlichen ab dem Alter von zwölf auf Wanderschaft, um - teilweise bei ivorischen Verwandten - zu arbeiten. Andere Jugendliche wiederum werden von Kinderhändlern auf die Kakaoplantagen verkauft. Insofern ist Kinderarbeit immer ein Symptom für die schlechte wirtschaftliche Lage der Bauern. Um die Kinderarbeit zu beseitigen, muss an der Situation der gesamten Familie gearbeitet werden.
Drewes: Bildung ist letztendlich der wichtigste Hebel, um Armut und damit die Kinderarbeit effektiv zu bekämpfen. Das bezieht sich sowohl auf die Kakaoanbaugebiete als auch auf jene Länder, in denen die Familien darauf angewiesen sind, ihre Kinder zum Arbeiten wegzuschicken.
UD: Wir bedanken uns bei Ihnen für das ausführliche Gespräch.