Lieferkette

Kinderrechtsrisiken in globalen Lieferketten

Kinderrechtsrisiken gibt es fast überall. Zu diesem Ergebnis kommt die neue Studie „Kinderrechtsrisiken in globalen Lieferketten: Warum ein Null-Toleranz-Ansatz nicht genug ist“ von Save the Children und deren gemeinnütziger Tochterorganisation The Centre for Child Rights and Business (The Centre).

31.05.2023

Kinderrechtsrisiken in globalen Lieferketten
Junge Mädchen pflücken Baumwolle.

In einer Meta-Analyse von 20 Kinderrechtsanalysen, die zwischen 2019 und 2022 entstanden, werden Risikofaktoren und unternehmerische Geschäftspraktiken in den Sektoren Produktion, Landwirtschaft und Bergbau in acht Beschaffungsländern beleuchtet. So existiert Kinderarbeit vor allem in vorgelagerten, unteren Ebenen der Lieferketten und informellen Sektoren. Das Monitoring seitens internationaler Unternehmen führt oftmals nur zu einer Verlagerung von Kinderarbeit. Niedrige Einkommen und hohe Bildungskosten aber auch eine mangelnde Formalisierung der lokalen Wirtschaft begünstigen sie. Ein Problem ist zudem die Ausgrenzung von jungen Menschen, Jugendlichen, die legal arbeiten dürften, durch eine Null-Toleranz-Politik. Die Studie benennt auch weitere Problemfelder, wie mangelnde Kinderbetreuung und die Situation von Familien in der Landwirtschaft, die auf die Mitarbeit ihrer Kinder angewiesen sind. Ein großes Problemfeld sind der artisanale und Kleinbergbau (Artisanal and Small-Scale Mining, ASM), in dem die schlimmste Form der Kinderarbeit vorkommt. Auf Grundlage der Ergebnisse gibt die Studie Unternehmen mit globalen Lieferketten eine Reihe zentraler Empfehlungen an die Hand, um den Kinderrechtsansatz als Teil der Geschäfts- und Nachhaltigkeitspraktiken stärker zu verankern. Erhältlich ist sie auf savethechildren.de

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Aktuelle Studie: 20 Analysen und eine Meta-Analyse 

Laut einem Bericht des Global Child Forum aus dem Jahr 2021 wissen die wenigsten Unternehmen genau, wie sich ihre Geschäftsaktivitäten auf Kinder und lokale Gemeinschaften auswirken. Um die Situation von Kindern unter dem Einfluss globaler Lieferketten genauer zu beleuchten, hat The Centre for Child Rights and Business (The Centre), eine gemeinnützige Tochterorganisation von Save the Children mit Sitz in Hongkong, seit 2019 im Auftrag öffentlicher und privater Partner insgesamt 20 Kinderrechtsanalysen in Lieferketten in Asien, dem Nahen Osten, Afrika und Südamerika durchgeführt. 

Diese Analysen konzentrieren sich auf Themenfelder, in denen Kinderrechte in besonderem Maße gefährdet sind, beispielsweise bei Kinderarbeit, Bildung, Kinderbetreuung oder dem Schutz jugendlicher Arbeitskräfte. Um ein möglichst umfassendes Bild zu zeichnen, wurden auch weitere Aspekte wie Arbeitsbedingungen von Eltern, Gender, Menschenhandel und Zwangsarbeit einbezogen. Jede Analyse umfasste eine Datenerhebung vor Ort durch persönliche Gespräche mit Betroffenen. Im Rahmen der 20 Analysen wurden so insgesamt 2.751 Väter und Mütter und 1.799 Kindern interviewt. Zudem fanden Gespräche mit verschiedenen weiteren relevanten Stakeholdern in Lieferketten und Gemeinschaften statt.

Die vorliegende Studie beruht auf einer Auswertung aller 20 Analysen. Diese liefert umfassende Daten zur Kinderrechtssituation in Lieferketten aus den Bereichen Produktion, Landwirtschaft und Bergbau in den acht Beschaffungsländern Äthiopien, Brasilien, Demokratische Republik Kongo (DRK), Indien, Indonesien, Sri Lanka, Türkei und Vietnam. Dabei werden nicht nur übergreifende Kinderrechtsverletzungen und sektorspezifische Herausforderungen, sondern auch Defizite in generellen Praktiken des Lieferkettenmanagements von Unternehmen untersucht. 

Kinderarbeit existiert fast überall – vor allem „unter der Oberfläche“ Zehn von 20 Analysen fanden unmittelbare Belege für Kinderarbeit. In acht der übrigen zehn Analysen wurde ein sehr hohes Risiko dafür beobachtet. Ausnahmen bildeten lediglich der Natursteinabbau in Vietnam und die Tier-1-Bekleidungsfabriken in Äthiopien. Insgesamt kommt die Analyse zu dem Schluss: Die meisten Fälle von Kinderarbeit finden „unter der Oberfläche“ statt, also in den vorgelagerten, unteren Ebenen der Lieferketten und im informellen Sektor der Wirtschaft. Kinder, die außerhalb des eigenen Zuhauses informelle Arbeit leisten, sind besonders durch Ausbeutung durch schlechte Bezahlung und lange Arbeitszeiten gefährdet.

Kinderarbeit

Monitoring verlagert Kinderarbeit 

Deutlich wird daraus, dass die derzeitigen Monitoring-Mechanismen der meisten Unternehmen Kinderarbeit insgesamt nur wenig verringern. Im Gegenteil, sie verlagern diese in die unsichtbaren, informellen Bereiche der Lieferketten. In Fällen, in denen Kinderarbeit gemeldet wird, haben nur wenige Unternehmen Systeme eingerichtet, die Kindern Zugang zu Abhilfe ermöglichen. 

Niedrige Einkommen und hohe Bildungskosten begünstigen Kinderarbeit Ein unzureichendes Einkommen der Eltern und hohe Bildungskosten haben direkten Einfluss darauf, ob Kinder arbeiten müssen: In sämtlichen Sektoren liegen die tatsächlichen Löhne beziehungsweise Einkommen der Arbeiter:innen und Landwirt:innen in den untersuchten Ländern deutlich unter dem Niveau des existenzsichernden Minimums einer Durchschnittsfamilie. Je größer die Kluft, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Familien kaum für ihren Lebensunterhalt, die Kosten für Essen, Schule oder Gesundheitsversorgung, aufkommen können. Auffällig ist, dass dort, wo die Kluft geringer ist, Kinder auch einen besseren Zugang zu Bildung haben. 

Ist die Kluft zwischen realem Einkommen und dem existenzsichernden Minimum hingegen verhältnismäßig größer, brechen mehr Kinder die Schule ab. Diese Situation wird durch hohe Kosten für Bildung weiter verschärft. Häufig nehmen Kinder eine Arbeit auf, um die eigene Schulbildung oder die ihrer Geschwister zu finanzieren.

Mangelnde Formalisierung verschärft das Kinderarbeitsrisiko Alle Lieferketten sind in hohem Maße von informeller Arbeit abhängig: In der Landwirtschaft gilt dies insbesondere für kurzzeitige Beschäftigung während der Erntezeiten. Auch im produzierenden Gewerbe konnte beobachtet werden, dass semi-informelle Strukturen Arbeitskräfte temporär oder ad-hoc als Aushilfskräfte beschäftigen. Problematisch ist diese Beschäftigung, da sie häufig mit niedrigen Löhnen einher gehen, keinen Zugang zu sozialer Absicherung sowie mangelnden Arbeitsschutz bieten. Dadurch wird ein Umfeld geschaffen, in dem Jugendliche bei der Arbeit nicht geschützt sind und das Risiko von Kinderarbeit hoch ist.

Die Studienergebnisse zeigen zudem, dass Tagelöhner:innen in der Regel weniger Lohn erhalten, aber länger arbeiten als regulär Beschäftigte. Unter ihnen verdienen Frauen deutlich weniger als jede andere Gruppe, obwohl sie im Vergleich am längsten arbeiten.

Teepflücker arbeiten mit ihren Körben auf dem Feld.

Null-Toleranz-Politik grenzt junge Menschen aus 

Jugendliche Arbeitskräfte, die das gesetzliche Mindestalter für eine Beschäftigung erreicht haben, aber noch keine 18 Jahre alt sind, werden in den Tier-1-Betrieben häufig gar nicht berücksichtigt. Grund dafür ist, dass Fabriken das „Keine Kinderarbeit“-Prinzip ihrer Auftraggeber so interpretieren, dass sie niemanden unter 18 Jahren beschäftigen dürfen. Dadurch werden junge Menschen jedoch in Sektoren mit gefährlichen Tätigkeiten gedrängt, die weniger stark reguliert sind. Werden Jugendliche auf diese Weise aus dem formellen Sektor ausgeschlossen, erhöht dies das Risiko, dass sie Tätigkeiten ausüben müssen, die aufgrund der Bedingungen als Kinderarbeit klassifiziert werden. In den seltenen Fällen, in denen sie doch von direkten Zulieferern eingestellt werden, sind dort kaum Wissen und Kompetenzen für ihren Schutz vorhanden. 

Generelle Problemfelder 

Die Studie bezieht aber auch Beobachtungen zentraler Problemfelder ein, die in der Folge Kinderrechtsrisiken bergen. Sie treffen auf alle Sektoren zu, treten in manchen aber häufiger als in anderen auf. Dazu gehören beispielsweise das Problem der mangelnden Kinderbetreuung, aber auch die Abhängigkeit der Familien von der Mitarbeit ihrer Kinder in der Landwirtschaft. Die größten Risiken und schlimmsten Formen der Kinderarbeit sind im Bergbau und hier insbesondere im artisanalen und Kleinbergbau (Artisanal and Small-Scale Mining, ASM) zu finden. 

Produktion: Problem der mangelnden Kinderbetreuung 

Das Thema Kinderbetreuung stellt für arbeitende Frauen in allen Sektoren eine Herausforderung dar. Allerdings ist es für Fabrikarbeiterinnen eine deutlich größere als für Frauen, die in der Landwirtschaft oder in Heimarbeit tätig sind. Können hier die Kinder während der Arbeitszeit der Mütter bei diesen bleiben, ist dies in Fabriken in der Regel nicht möglich. In der Folge müssen Arbeiterinnen Kinder sich selbst überlassen. Andere Mütter und insbesondere Wanderarbeiterinnen sind gezwungen, ihre Kinder in der Obhut der Großfamilie zu lassen. Die Auswertungen von Studien zeigen, dass diese Kinder mit erhöhter Wahrscheinlichkeit Opfer von ausbeuterischer Arbeit und Menschenhandel werden. Durch die Trennung erhalten diese Kinder oft nicht die nötige elterliche Unterstützung und Fürsorge, sodass sie oft verfrüht die Schule abbrechen und in den Arbeitsmarkt eintreten.

Problemfeld Landwirtschaft: Familien sind von der Mitarbeit ihrer Kinder abhängig 

In den meisten landwirtschaftlich geprägten Regionen sind die kleinbäuerlichen Farmen und Familienbetriebe stark von der Mitarbeit der Kinder abhängig. Problematisch ist dabei, dass viele Kinder während der Erntezeit nicht die Schule besuchen. Zudem ist das Risiko, gefährliche Arbeiten auszuüben, umso größer, je älter sie werden. Kinder saisonaler Wanderarbeiter:innen sind hier besonders gefährdet, unter anderem, da sie ihren Eltern an ständig wechselnde Orte folgen und ein Schulbesuch so kaum möglich ist. 

Die Mitarbeit von Kindern begründen zwar viele Familien mit ihrer Tradition, die Studie zeigt jedoch einen engen Zusammenhang zwischen Armut und Kinderarbeit auf. Um das Problem anzugehen, gilt es daher, die finanzielle Situation von durch Landwirtschaft geprägte Gemeinschaften zu verbessern

In Afrika werden Menschenrechte werden beim Kohleabbau verletzt.

Bergbau: Schlimmste Formen von Kinderarbeit 

Die größten Kinderrechtsrisiken, einschließlich der schlimmsten Formen von Kinderarbeit gemäß ILO- Definition, konnten im Bergbausektor festgestellt werden. Insbesondere im artisanalen und Kleinbergbau (Artisanal and Small-Scale Mining, ASM), wie im Abbau von Kobalt in der Demokratischen Republik Kongo (DRK), herrscht extreme Armut. Es gibt nur wenige alternative Möglichkeiten, um Geld zu verdienen. Kinder verrichten gefährliche Tätigkeiten, beispielsweise unter Tage in einer unsicheren Arbeitsumgebung mit hoher Luftverschmutzung.

Wie Unternehmen von der Studie profitieren können 

Die Studie zeigt Unternehmen Wege und Strategien auf, wie Kinderrechtsverletzungen in globalen Lieferketten identifiziert, bekämpft und vermieden werden können. Da globale Lieferketten eng miteinander verflochten sind und viele Unternehmen dieselben Beschaffungsquellen nutzen, lassen sich Empfehlungen, die auf der Bewertung der Lieferkette eines bestimmten Unternehmens beruhen, auch auf viele weitere Unternehmen übertragen. 

So ist es zunächst wichtig, Missstände und Lücken in den Geschäftspraktiken offenzulegen und wirksame Mechanismen zur Bekämpfung zu etablieren. Im ersten Schritt gilt es, die Sichtbarkeit von Kinderrechtsrisiken innerhalb und außerhalb des Unternehmens zu erhöhen und anzuerkennen. Noch wichtiger ist es, Transparenz und verantwortungsvolle Beschaffungspraktiken zu fördern und zu honorieren. Im nächsten Schritt müssen Unternehmen kinderrechtsbasierte Abhilfesysteme einrichten. Es ist im Rahmen einer unternehmerischen Sorgfaltspflicht unerlässlich, dass sie sich ganz konkret für die Kinder einsetzen und sich nicht zurückzuziehen, wenn Kinderrechtsverletzungen auftreten. 

Um nachhaltig Veränderungen zu bewirken, müssen Unternehmen allerdings noch mehr tun: Sie sollten in die Gemeinschaften investieren, die ihnen die Rohstoffe und Produkte liefern. Dies bedeutet beispielsweise, regelmäßige Schulungen zu organisieren, um Wissen und Sicherheit beim Thema Kinderrechte zu fördern. Ebenso gehört dazu, sicherzustellen, dass Familien eine bezahlbare Kinderbetreuung und gute Bildungsangebote nutzen können und dass sie Zugang zu sozialer Absicherung und Gesundheitsversorgung haben. Darüber hinaus sollten Unternehmen sich aktiv dafür einsetzen, weitere Ursachen für Kinderarbeit zu bekämpfen, etwa Armut oder mangelnde Infrastruktur.

Quelle: UD/pm
 

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