„Bei Tchibo setzen wir deswegen auf Angebote und Anreize“
Warum ist zunächst der wirtschaftliche Erfolg von Kaffeefarmen entscheidend, um dann nachhaltige Praktiken in Kaffeeanbau-Regionen zu etablieren? Das weiß Pablo von Waldenfels. Er ist für die nachhaltige Ausrichtung des Kaffeesortiments bei Tchibo verantwortlich. In einem Gespräch mit UmweltDialog erklärt er, warum in dem Kaffee-Nachhaltigkeitsprogramm des Unternehmens ein System von Angeboten und Anreizen eine entscheidende Rolle spielt.
18.03.2025

Herr von Waldenfels, wir haben uns letzte Woche über das Nachhaltigkeitsprogramm von Tchibo im Kaffeesektor unterhalten. Dieses basiert im Wesentlichen auf den Säulen Qualität und Anbautechniken. Maßnahmen wie die Optimierung der Anbautechniken sind aber nicht neu, sondern werden schon seit vielen Jahren umgesetzt.
Pablo von Waldenfels: Ja, da haben Sie Recht. Dennoch müssen wir zum Teil in diesen Bereichen immer noch Grundlagenarbeit leisten. Welche Obstsorten wachsen in den jeweiligen Regionen am besten? Welche Märkte sind hier interessant und bieten für die Farmerinnen und Farmer wirtschaftliche Vorteile? Außerdem unterscheiden wir uns in der Art und Weise, wie wir Schulungen durchführen.
Wie meinen Sie das?
von Waldenfels: Wir arbeiten eng mit den Menschen zusammen, die auf den Farmen leben und arbeiten, und stellen sie in den Mittelpunkt. Gemeinsam mit unseren lokalen Partnern entwickeln wir die Schulungen und passen sie an die Bedürfnisse der Farmer und Farmerinnen an. Das hat nur noch wenig mit Frontalunterricht zu tun. Die Farmer lernen auch voneinander, beispielsweise auf „Demofarmen“, auf denen das Wissen „erlebbar“ gemacht und praxisnah vermittelt wird. Auch können die Menschen das Programm zum Teil mitgestalten. Im Rahmen des Kaffeeanbaukalenders und der Pflanzenfolge entscheiden sie, welche Themen gerade relevant sind. Dabei bieten wir natürlich ein gewisses Rahmenprogramm an, aber die finale Ausgestaltung ist individuell. Dadurch dauert der Prozess zwar länger, ist aber viel effektiver, als wenn die „Langnase“ aus Europa kommt und ihnen erzählt, wie Kaffeeanbau funktioniert.
Haben Sie schon ein Feedback zu Ihren Schulungen von den Farmern bekommen?
von Waldenfels: Die ersten Rückmeldungen, die wir aus den Programmregionen bekommen haben, sind sehr positiv. Die Farmerinnen und Farmer fühlen sich wertgeschätzt und nehmen die Themen besser an. Und mal ganz ehrlich: Ob Sie nun Landwirte aus Rheinlandpfalz haben, oder aus Brasilien – wenn ich ihnen als Hamburger Großstädter erzähle, was sie zu tun haben, weil ich das in Lehrbüchern gelesen haben, zeigen sie mir doch einen Vogel und drehen sich um. Dann kann ich bleiben, wo der Pfeffer wächst.

Was haben Sie aus den Schulungen mitgenommen und gelernt?
von Waldenfels: Wer macht eigentlich die Arbeit auf einer Farm? Mit wem müssen wir sprechen? Es gibt die eingetragenen Besitzer und diejenigen, die die Arbeit machen. Das ist nicht immer deckungsgleich, und dementsprechend müssen wir die Schulungen danach ausrichten. Meistens handelt es sich dabei um kleine Familienbetriebe. Wie und wann müssen wir die Trainings durchführen, damit die ganze Familie teilnehmen kann, die Kinder gleichzeitig versorgt sind und andere Arbeiten wie Hausarbeit nicht liegen bleiben? Welche Bedürfnisse müssen wir noch beachten? Nicht alle Kaffeefarmer arbeiten ausschließlich auf der Farm, sondern gehen noch einer anderen geregelten Arbeit nach, die das Einkommen der Familie mit sichert. Und wenn wir dann bestimmte Vorschläge unterbreiten, müssen wir bedenken, dass eventuell gar nicht die Zeit für Qualitätsmanagement vorhanden ist. Deswegen sind partizipative Dialogformate wichtig. Nur so können wir sicherstellen, dass die Schulungen auch zu den Lebensrealitäten der Menschen vor Ort passen.
Sie sagen, dass es im Kaffeesektor schwierig ist, dauerhaft stabile Lieferbeziehungen aufzubauen. Wie kann man denn überhaupt gewährleisten, dass der Kaffeeanbau tatsächlich nachhaltig ist?
von Waldenfels: Die Vorstellung, dass wir von hier aus sagen, wir richten den gesamten Kaffeeanbau nachhaltig aus, und alle machen das dann so und setzen dementsprechende ökologische und soziale Maßnahmen um, führt in die Irre. So funktioniert es nicht, weil es auch nie eine hundertprozentige Kontrolle geben kann. Unabhängig davon, wie gut ein jeweiliges Kontrollsystem ist. Jeder, der das Gegenteil behauptet, kann unserer Meinung nach nicht richtig liegen. Denn die Anzahl an Kaffeefarmen und die damit einhergehende Komplexität ist einfach viel zu hoch. Außerdem können bestimmte Missstände während einer Kontrolle auch verdeckt werden.
Was ist das Ihrer Erfahrung nach?
von Waldenfels: Natürlich der ökonomische Aspekt. Die Farm muss wirtschaftlich gesehen auf sicheren Füßen stehen. Im Laufe der Zeit sind die Menschen dann bereit, in Maßnahmen zu investieren, die beispielsweise die Biodiversität fördern. Mir ist ein Gespräch gut in Erinnerung geblieben, das ich mit einem Farmer hierzu führte. Er sagte zu mir, „solange wir nicht genug Essen auf dem Tisch haben, ist der Affe auf meinem Land mein Feind. Ist unser Bauch hingegen gefüllt, ist er mein Freund, und ich teile gern meine Ernte mit ihm.“
Konsumentinnen und Konsumenten, die auf Nachhaltigkeit achten, brauchen aber Sicherheit beim Einkauf. Diese wird über Siegel gegeben. Kann es sein, dass wir hier in zu starren Kontroll- und Bewertungs-Kategorien denken, die durch Zertifizierungssysteme begünstigt werden?
von Waldenfels: Sie sprechen mir da aus der Seele. Am Ende des Tages ist es genau das. Ich bin ja selbst schon viele Jahre im Nachhaltigkeitsbereich tätig und habe auch an Zertifizierungssystemen mitgearbeitet. Die Idee war gut, und sie hatten ihre Zeit und ihren Wert. Außerdem sorgten sie dafür, bestimmte Themen überhaupt erst bekannt zu machen und Probleme strukturiert zu bearbeiten. Aber: Solange wir nicht intensiv an den Ursachen arbeiten, die zum Beispiel im Bereich Armut liegen und Einkommen sichern, ist eine Zertifizierung nur ein Stück Papier und trägt wenig zu einer langfristigen Lösung bei. Und unser Anspruch ist es, genau an diesen Ursachen mit unserem Nachhaltigkeitsprogramm zu arbeiten!
Vielen Dank für das Gespräch!
Lesen Sie in der kommenden Woche im dritten Teil des Interviews, wie sich das Nachhaltigkeitsprogramm von Tchibo von herkömmlichen Zertifizierungen unterscheidet.