Die Ängste der Deutschen 2014
Die Deutschen sind 2014 so entspannt wie lange nicht mehr. Nie zuvor in der R+V-Langzeitstudie "Die Ängste der Deutschen" befürchteten so wenige Bundesbürger, dass es mit der Wirtschaft bergab geht und die Arbeitslosenzahlen steigen. Auf ein Rekordtief fiel auch die Sorge um die Überforderung der Politiker. Und noch wichtiger: Der Angstindex, der Durchschnitt aller langjährig abgefragten Ängste, sank um zwei Prozentpunkte auf 39 Prozent - und damit auf den niedrigsten Wert seit 20 Jahren.
30.09.2014
2014 liegen nur vier Ängste über der 50-Prozent-Marke. "Am meisten Sorgen machen sich die Bundesbürger ums Geld, die Umwelt und ihre eigene Gesundheit", so Rita Jakli, Leiterin des R+V-Infocenters, auf der heutigen Pressekonferenz in Berlin. "Die Mehrheit der Deutschen befürchtet, dass die Euro-Schuldenkrise die Steuerzahler teuer zu stehen kommt und die Lebenshaltungskosten weiter steigen." Mehr als jeder zweite Bundesbürger hat Angst vor zunehmenden Naturkatastrophen und davor, im Alter auf Pflege angewiesen zu sein.
Seit mehr als 20 Jahren befragt das R+V-Infocenter in einer repräsentativen Studie rund 2.400 Bürger nach ihren größten wirtschaftlichen, politischen und persönlichen Ängsten. Bei den 16 langjährig abgefragten Ängsten steht 2014 die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten mit 58 Prozent an der Spitze (Vorjahr: 61 Prozent) und ist damit seit dem Start der Studie im Jahr 1992 bereits zum 15. Mal auf Platz eins. "Die Bürger registrieren sehr aufmerksam, dass nicht nur die steigenden Nahrungsmittelpreise zu den hohen Lebenshaltungskosten beitragen", so Professor Dr. Manfred G. Schmidt, Politologe an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. "Der weit ausgebaute Sozialstaat und der anspruchsvolle Umweltschutz in Deutschland fordern ihren Tribut und verknappen das verfügbare Einkommen vor allem durch hohe Sozialabgaben und Steuern sowie durch steigende Gebühren für Strom, Gas, Wasser und Abfallbeseitigung."
Große Angst vor Naturkatastrophen - Bewusstsein für eigenes Risiko gering
Überschwemmungen durch Starkregen, Hagel, Stürme: Nach dem verheerenden Unwetterjahr 2013 vergeht auch in diesem Jahr kaum ein Monat ohne schwere Unwetterschäden. Mit 51 Prozent (Vorjahr: 56 Prozent) liegt die Furcht vor zunehmenden Naturkatastrophen wie im vergangenen Jahr auf Platz zwei der Ängste-Skala - dieses Jahr gleichauf mit der Angst vor Pflegebedürftigkeit. Erstaunlich: Trotz der großen Angst vor Naturkatastrophen befürchtet nur knapp jeder fünfte Bundesbürger (19 Prozent), dass sein eigenes Haus durch Hochwasser, Hagel oder Sturm schwer beschädigt werden könnte. Das zeigt eine Sonderbefragung der diesjährigen Ängste-Studie. Offensichtlich sind sich die meisten Bundesbürger des hohen Unwetterrisikos durchaus bewusst, hoffen aber, dass sie und ihr Eigentum verschont bleiben.
Auf fremde Hilfe angewiesen: Pflegerisiko im Alter schreckt die Deutschen
Rund 2,5 Millionen Pflegebedürftige gibt es inzwischen in Deutschland - Tendenz steigend. Dementsprechend hoch ist auch die Besorgnis der Deutschen, im Alter anderen als Pflegefall zur Last zu fallen. Mit 51 Prozent liegt dieses Thema im Ranking der langjährig abgefragten Ängste gemeinsam mit der Furcht vor Naturkatastrophen auf Platz zwei (Vorjahr: Rang drei). Frauen (58 Prozent) sind in dieser Frage wesentlich besorgter als Männer (45 Prozent). "Frauen haben aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung ein viel größeres Pflegerisiko", sagte Rita Jakli. "Außerdem tragen sie bei der häuslichen Pflege in der Regel die Hauptlast und wissen deshalb, wie nervenaufreibend und kostspielig die Situation ist." Und so verwundert es kaum, dass Frauen mit 54 Prozent auch vor einer schweren Erkrankung mehr Angst haben als Männer (40 Prozent).
Euro-Schuldenkrise bleibt die Top-Angst
Seit vier Jahren ergänzt das R+V-Infocenter die 16 Standardfragen der Langzeitstudie um Sonderfragen zur Euro-Schuldenkrise. Und seither überflügelt die Sorge, dass die deutschen Steuerzahler die Kosten der Schuldenkrise in der Euro-Zone schultern müssen, alle anderen Ängste. Obwohl diese Angst gegenüber dem Vorjahr um acht Prozentpunkte zurückgegangen ist, bleibt sie mit 60 Prozent noch immer auf hohem Niveau. Laut Professor Schmidt ist die Befürchtung der deutschen Bevölkerung wohlbegründet: "Deutschland gehört zu den Ländern, die in großem, überproportionalem Umfang haften und zur Kasse gebeten werden, wenn überschuldete EU-Mitgliedstaaten Unterstützung bekommen." An Schrecken verloren hat dagegen die Befürchtung, dass die Schuldenkrise den Euro gefährden könnte (45 Prozent, Vorjahr: 53 Prozent).
Wirtschaftlich-politische Sorgen auf Rekordtief
Auch wenn sich die gesamtwirtschaftliche Leistung der deutschen Wirtschaft im zweiten Quartal etwas abgeschwächt hat, ist die Grundtendenz nach wie vor eher positiv. Das spiegelt sich auch in den wirtschaftlich-politischen Sorgen der R+V-Ängste-Studie wider. Mit neun Prozentpunkten am stärksten gesunken ist die Angst vor einer Verschlechterung der Wirtschaftslage. Sie liegt mit 41 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit 15 Jahren. Auf Rekordtief ist auch die Sorge, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland zunehmen könnte (33 Prozent, Vorjahr: 39 Prozent). Und ebenfalls nur noch jeder dritte Deutsche sorgt sich um die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes.
Überwiegend skeptisch bewerteten die Bundesbürger bisher die Qualifikation von Politikern. Seit zwei Jahren zeigt die Studie hier eine Änderung: Während 2012 noch eine Mehrheit von 55 Prozent aller Deutschen befürchtete, dass die Volksvertreter von ihren Aufgaben überfordert seien, sind es 2014 nur noch 44 Prozent (Vorjahr: 45 Prozent). Laut Politikexperte Professor Schmidt könnte das insbesondere drei Ursachen haben: "Erstens das allgemeine Stimmungshoch im Land. Zweitens die im Vergleich zu anderen Ländern stabile politische und wirtschaftliche Entwicklung. Und drittens ist das auch ein Effekt der Großen Koalition im Bund: Die Deutschen reagieren auf harte öffentliche Debatten sehr sensibel. Ein scharfer und polarisierender Parteienstreit schürt die politischen und wirtschaftlichen Ängste, während der gedämpfte, überwiegend koalitionsintern geführte Wettbewerb wie in der Großen Koalition eher beruhigt."
Ostdeutsche fürchten drohenden Jobverlust und höhere Ausgaben mehr
Im vergangenen Jahr mit 41 Prozent erstmals seit Beginn der Studie auf gleichem Niveau, driftet das durchschnittliche Angstniveau in Ost und West 25 Jahre nach dem Mauerfall wieder leicht auseinander. Während im Osten 43 Prozent der Bevölkerung sorgenvoll in die Zukunft blicken, sind es im Westen nur 38 Prozent. Der größte Unterschied: Das Risiko, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren, schreckt 43 Prozent der Ostdeutschen, im Westen sind es 30 Prozent. Dazu Rita Jakli: "Ein Blick in die Arbeitslosenstatistik vom Juli zeigt, dass diese Angst durchaus begründet ist: Während im Osten mit 9,4 Prozent fast jeder Zehnte arbeitslos ist, liegt die Quote im Westen mit 5,9 Prozent deutlich niedriger." Seit Jahren beständig größer ist in den neuen Bundesländern die Angst vor höheren Ausgaben: Zwei Drittel aller Ostdeutschen (66 Prozent) befürchten, dass die Lebenshaltungskosten steigen. Im Westen ist diese Furcht um zehn Prozentpunkte geringer. Und auch aufs Alter und eine mögliche Pflegebedürftigkeit blicken die Menschen im Osten deutlich pessimistischer (Ost: 59 Prozent, West: 50 Prozent). Nur eine einzige Angst ist im Verlaufe der R+V-Studie in den alten Bundesländern schon immer höher: Im Westen, wo Umweltthemen traditionell stärker verankert sind, sorgen sich 53 Prozent der Bürger um zunehmende Naturkatastrophen, im Osten sind es dagegen 46 Prozent.