Festung Europa weder denk- noch machbar
Offene Grenzen schaden Europa nicht. Sie sichern dem Kontinent sogar das wirtschaftliche Überleben. Politik und Wirtschaft sind deshalb in der Pflicht, den EU-Bürgern politische Entscheidungen und Prozesse besser näherzubringen. Bestandteil sei auch die anhaltende Migration aus Afrika und Asien, ohne die es - bedingt durch den Arbeitskräftemangel - nicht gehen wird. Darauf haben sich Europa-Experten am Freitag im Kärntner Bergdorf Fresach im Rahmen der Europäischen Toleranzgespräche 2018 verständigt.
29.05.2018
"Ich war immer ein Befürworter der Europäischen Union und offener Grenzen", erklärte Claus Raidl, Präsident der Österreichischen Nationalbank. "Die Menschen wissen häufig nicht mehr, dass Österreich ohne die EU wirtschaftlich nicht überlebensfähig wäre. Sie ist unser großer Heimatmarkt." Damit das Projekt Europa Zukunft hat, müssten die Bürger überzeugt werden, dass die EU-Leistungen positive Auswirkungen haben. Dass innereuropäische Gräben überwunden werden müssen, steht für Raidl außer Frage: "Wir haben ein Nord-Süd- und ein Ost-West-Gefälle. Genau das muss beseitigt werden."
Offene Grenzen oder Grenzsicherung?
Die Frage, ob offene Grenzen für Europa ein falsch verstandenes liberales Konzept waren, wurde einhellig verneint. Doch war es auch so, sagte die ORF-Moderatorin Sonja Sagmeister, dass die von Italien jahrelang geforderte Unterstützung zur Sicherung der Außengrenzen gegen den illegalen Zuzug aus Afrika von vielen EU-Staaten lange abgelehnt wurde. Erst seit 2015, mit der Flüchtlingswelle, sei die Grenzsicherung wieder ein Thema geworden.
"Das Schengen-Abkommen und offene Grenzen für EU-Bürger, auch nach außen, sind für mich ein gutes Konzept", sagte die Wiener Autorin Dorothea Nürnberg. "Geöffnete Grenzen sichern Chancengleichheit für alle Europäer. Gleichzeitig sind sie aus Menschenrechtssicht ein Muss, das haben wir bei der Flüchtlingskrise gesehen." Diese sei nur durch innereuropäische Abkommen zu bewältigen.
Starkes Afrika gut für Europa
Die Beziehungen zu Afrika und damit einhergehende Migrations- und Fluchtbewegungen bestimmten die Podiumsdiskussion. "Das liberale Konzept der EU war richtig. Die Rahmenbedingungen haben sich allerdings durch Globalisierung, Digitalisierung und Connectivität verändert. Der Migrationsdruck wird sicherlich nicht abnehmen, wir müssen nur lernen, damit umzugehen, ohne die Grenzen dichtzumachen", so der Unternehmer Hans Stoisser. Der Afrika-Experte forderte zugleich ein neues Denken ein, da sich der afrikanische Kontinent wirtschaftlich im Aufschwung befindet. "Wir glauben, es wird dort immer schlechter, aber es wird besser."
Arbeitskräfte aus den Ländern des Südens seien unverzichtbar, erläuterte der deutsche Buchautor Franz Alt: "Allein Deutschland benötigt jährlich 500.000 zusätzliche Arbeitskräfte. Woher sollen die sonst kommen, wenn nicht durch Migration?" Jochen Ressel, Geschäftsführer des österreichischen Senats der Wirtschaft, sieht positive Beziehungen zu Afrika als unabdingbare Notwendigkeit. Der Senat entwickelte daher einen "Marshallplan mit Afrika", der eine praxisbezogene und nachhaltige Entwicklung der afrikanischen Wirtschaft sicherstellen kann. "Der Mitteleinsatz des Marshallplans 1945 für die deutsche Wiedervereinigung oder für die Bewältigung der Lehman-Pleite übersteigen bei weitem, was wir heute für die Entwicklung Afrikas einsetzen. Das muss sich mit dem Einsatz moderner Finanzierungskonzepte ändern und auf aufrichtigem Interesse an diesem Kontinent basieren", so der Experte. Vom wechselseitigem Handel profitieren beide Seiten.