Politik

Non-Profit-Organisationen in Osteuropa

Gerade das Jahr 1989 sehen viele Menschen bis heute als den Startpunkt des Aufbruchs, des Systemwandels und der Stärkung der Zivilgesellschaft in Zentral- und Osteuropa. Die aktuellen politischen Gegebenheiten in vielen dieser Länder lassen allerdings nur mehr wenig von der positiven Aufbruchsstimmung spüren.

16.05.2018

Non-Profit-Organisationen in Osteuropa

Während sich Anfang der 1990er-Jahre Bürgerbewegungen formierten und Lieder vom „Wind of Change“ durch Europa gingen, sehen heute viele Regierungen Zentral- und Osteuropas zivilgesellschaftliches Engagement als unerwünschte Opposition. Ein aktuelles Beispiel ist die umstrittene Kampagne gegen die Central European University und Organisationen im Bereich der Flüchtlingshilfe in Ungarn. Ähnliche Probleme existieren in Polen, Mazedonien und anderen Ländern. „Eingriffe in die Finanzierungsmöglichkeiten von Non-Profit-Organisationen sind keine Seltenheit“, erklärt Prof. Michael Meyer, Leiter des Institutes für Nonprofit Management an der WU, „Besonders schwer wiegen die Vorwürfe von Politik und staatsnaher Medien, die Zivilgesellschaft sei aus dem Ausland gesteuert. Sie stellen die lokale Verankerung und Legitimität von Zivilgesellschaft in Frage.“ Meyer untersuchte gemeinsam mit den WU-Kollegen Peter Vandor, Nicole Traxler, Michaela Neumayr, Clara Moder und Reinhard Millner sowie einem internationalen Forscherteam und Unterstützung der ERSTE Stiftung, wie sich Zivilgesellschaften seit dem Fall des Eisernen Vorhangs entwickelt haben.

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Steigende Beschäftigungszahlen

Vergleicht man die aktuellen Beschäftigungszahlen im NPO-Bereich laut Studie mit jenen, die im Rahmen der John-Hopkins-Studie 1995 für Ungarn, Tschechien, Rumänien, Slowakei und Österreich erhoben wurden, zeichnet sich seither ein positives Bild: Trotz teils schwieriger Bedingungen stiegen die Zahlen in den letzten 20 Jahren deutlich an. Während 1995 im Schnitt 1,8 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung in Non-Profit-Organisationen beschäftigt war, sind es nach den aktuellen Daten aktuell 3 Prozent - im Vergleich zu 1990 also 80 Prozent mehr. Ohne Berücksichtigung von Österreich liegt der Wert sogar bei 90 Prozent.

Sport, Kunst und Kultur

Hinsichtlich der Tätigkeitsfelder zeigt sich in vielen Ländern ein klares Muster: Der Anteil an Organisationen im Bereich Sport und Kultur ist wesentlich höher als in Westeuropa. Das ist insbesondere in den Visegrád-Ländern, Bulgarien, Rumänien und Kroatien der Fall, in denen über 40 Prozent aller Organisationen in Kunst, Sport und Kultur tätig sind – in Westeuropa sind es üblicherweise eher 10-15 Prozent. „Ein Erklärungsansatz für diese Häufung bietet die kommunistische bzw. sozialistische Vergangenheit der Länder. Während die meisten Formen zivilgesellschaftlichen Engagements unter kommunistischer Herrschaft unterdrückt wurden, gehörten Kunst, Kultur und Sport zu den Bereichen, in denen Engagement toleriert oder sogar gefördert wurde“, ergänzt WU-Wissenschafter Peter Vandor, einer der Autoren und Herausgeber der Studie.

Internationale Geldgeber auf dem Rückzug

Deutlich wird in der Studie auch, dass viele der ehemaligen Oststaaten, deren Non-Profit-Organisationen bislang stark von ausländischen Unterstützern finanziert wurden, zunehmend genau auf diese Unterstützung verzichten müssen. „Die Länder des Westbalkans beispielsweise –nach den Kriegen und dem Zerfalls Jugoslawiens das Ziel westlicher Unterstützung – gelten vielfach als stabilisiert, internationale staatliche und private Förderungen laufen aus oder werden in andere Krisengebiete umgeleitet“, erklärt Vandor. Der Rückgang der Finanzierung ist für viele Organisationen schwer zu ersetzen, denn staatliche Unterstützung ist oft nur eingeschränkt verfügbar: Während in Westeuropa der Anteil direkter staatlicher Finanzierung im Schnitt zwischen rund 35-55 Prozent variiert , liegt der Anteil in den Visegrád-Ländern, Slowenien und Kroatien bei rund 20-30 Prozent, am West-Balkan noch weiter darunter. Umso wichtiger sind ausländische Geldgeber. Extrembeispiel ist dabei der Kosovo, bei dem aktuell über 70 Prozent aller Einnahmen von Non-Profit-Organisationen aus dem Ausland erfolgen. „Dennoch bietet gerade die EU neue Finanzierungsinstrumente, die trotz ihrer Komplexität für viele Organisationen eine Perspektive bringen“, so Vandor, „Zugleich gilt sie als Unterstützerin gegen autoritäre und illiberale Staatsentwürfe. Paradoxerweise wird die EU ganz besonders in jenen Ländern geschätzt, die ihr noch nicht beigetreten sind: Hier bringt die EU Regierungen und Zivilgesellschaft an den Verhandlungstisch, wenn neue Gesetze erarbeitet werden.“

Die „Ursuppe“ der Zivilgesellschaft

Schließlich zeigt sich in der Studie, dass auch die Zivilgesellschaft selbst neue Antworten auf diese Herausforderungen findet. Viele Organisationen in Zentral- und Osteuropa erfinden sich als Sozialunternehmen neu und stellen durch Markteinkommen ihre Unabhängigkeit und Finanzierung sicher. Zugleich bilden sich immer wieder neue, lose organisierte Bewegungen, die für bestimmte Anliegen und Themen eintreten. So versammelten sich in Bukarest Anfang letzten Jahres über Wochen zehn- und schließlich hunderttausende Menschen, um mit Erfolg gegen ein Amnestiegesetz für korrupte Politiker zu protestieren. „Andere Protestbewegungen wie die vielerorts populäre Critical Mass sind seit Jahren aktiv“, erklärt Meyer, „Sie gruppieren sich um konkrete Anliegen und nicht um Einzelpersonen oder bestehende Parteien. Nicht zuletzt die Erfahrung aus 1989 zeigt, dass solche Bewegungen eine ‚Ursuppe‘ darstellen, aus der gesellschaftlicher Dialog, Reform, breit verankerte politische Parteien und erfolgreiche NPOs und Sozialunternehmen entstehen können.“

Quelle: UD/pm
 

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