Amazonas: Überstimmen globale Interessen nationale Souveränität?
Brasiliens Regenwälder werden in rasendem Tempo zerstört. Die Regierung Bolsonaro will dagegen nichts unternehmen. Welche Möglichkeiten hat Deutschland, Druck auf Brasilien auszuüben? UmweltDialog sprach darüber mit dem entwicklungspolitischen Sprecher der FDP, Dr. Christoph Hoffmann.
09.07.2020
Hallo Herr Hoffmann, Brasiliens Präsident Bolsonaro räumt dem Schutz der Regenwälder keine Priorität ein. Welche politischen Instrumente haben wir eigentlich, um Brasilien zum Einlenken zu drängen?
Dr. Christoph Hoffmann: Wir fordern die Aussetzung der staatlichen bilateralen Zusammenarbeit. Aktuell macht es keinen Sinn, mit Steuergeldern Waldaufbau zu finanzieren, während zeitgleich der Regenwald immer weiter abgeholzt wird. Die Zahlen sprechen da eine eindeutige Sprache. Die monetäre Bestrafung ist der erste Schritt, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Norwegen, ein großer Finanzier des Amazonas-Fonds, verfolgt konsequent diesen Weg und die sinnvolle Linie, kein Geld zur Verfügung zu stellen, wenn der Regenwald auf brasilianische Bestrebungen hin abgeholzt wird. Ein weiterer Schritt wäre, brasilianische Verpflichtungen zum Umweltschutz einzuklagen. Diese Möglichkeit gäben uns völkerrechtliche Verträge wie das Mercosur-Abkommen. Bis die EU-Staaten es ratifiziert haben, bleiben uns die Hände gebunden.
Bolsonaro pocht auf die Souveränitat Brasiliens, die EU auf ein vitales Interesse der Weltgemeinschaft an intakten Wäldern. Beides ist berechtigt. Wie lösen wir den Konflikt zwischen diesen beiden Governance-Ansprüchen?
Hoffmann: Jeder Staat ist souverän und hat damit die Entscheidungshoheit über sein Territorium. Das Problem ist, dass wir uns keine weiteren Verluste an Waldfläche leisten können, weil das Klima sonst den befürchteten und irreversiblen turning-point erreichen wird. Wir setzten uns daher für eine UN-weite Ächtung negativer Waldbilanzen ein. Das Lebensrecht aller Menschen steht jedoch über der Souveränität eines einzelnen Staates, auch wenn das eine juristische Debatte miteinschließt. Vorbild könnte die Schutzverantwortung der Weltgemeinschaft sein, die responsibility to protect, auf die sich nach den Völkermorden in den 1990er-Jahren verständigt wurde. Praktisch gesehen, müssen die historischen Klimasünder die Waldbesitzer schützen und mit allen Mitteln ihrer Schutzverantwortung nachkommen. Es braucht finanzielle Unterstützung für den Walderhalt und für die Intensivierung der Landwirtschaft, sodass die Menschheit ernährt und CO2 gebündelt werden kann.
Was wären weitere effektive Instrumente, außer das Streichen monetärer Transferleistungen?
Hoffmann: Wir müssen Aufforstungsprojekte unterstützen. Mit Blick auf Brasilien vor allem regierungsferne und solche in den unmittelbaren Nachbarländern. Bolsonaro ist es egal, ob die Bauern ihr Geld mit Aufforstung oder Viehzucht verdienen: Hauptsache es gibt Einkommen. Wenn wir die Aufforstungen von Brachflächen über CO2-Kompensationsmittel finanzieren und den Bauern damit ein regelmäßiges und absehbares Einkommen in vergleichbarer Höhe garantieren, macht das Sinn. Natürlich kann eine Kompensation nur für alte Brachflächen oder ehemalige Weiden stattfinden. Nach 15 Jahren gibt es dann Einkommen aus dem Holzertrag, sodass dann weitere, neue Flächen realisiert werden können und die Waldfläche sich insgesamt vergrößert. Holz ist eine gute Basis für die Kreislaufwirtschaft und verringert den Druck, Wälder zu Brennholznutzung freizugeben.
Welche Rolle spielt das Mercosur Abkommen?
Hoffmann: Das Mercosur-Abkommen ist sinnvoll, da es weltweite Arbeitsteilung und Handel ermöglicht. Das dient allen Menschen. Allerdings müssen die Nachhaltigkeitsziele des Abkommens operationalisiert werden beziehungsweise Sanktionen für Verstöße darin verankert werden. Es ist daher elementar wichtig, dass alle EU-Mitgliedstaaten das Abkommen ratifizieren.
Mit diesem Abkommen haben sich die EU und der Mercosur zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzübereinkommens verpflichtet, aber wie wird es geprüft, welche Konsequenzen drohen Brasilien bei Verstößen?
Hoffmann: Bevor wir den Zeigefinger gegenüber Brasilien erheben dürfen, sollten wir vor der eigenen Tür kehren. Das Mercosur-Abkommen erlaubt keine Sanktionen, wenn ein Vertragsstaat die Bestimmungen des Nachhaltigkeitskapitels bricht. Denn das Nachhaltigkeitskapitel ist vom Streitschlichtungsmechanismus ausgenommen. Anders als bei allen anderen Vereinbarungen des Abkommens, kann bei Verstößen gegen die Umwelt- und Menschenrechtsbestimmungen nicht der Staat-Staat-Streitschlichtungsmechanismus angerufen werden, der wirksame Sanktionen, wie beispielsweise Strafzahlungen oder Handelssanktionen, verhängen könnte. Das muss geändert werden, sodass das Freihandelsabkommen ein Druckmittel zum Klimaschutz wird und dennoch freier Handel ermöglicht wird, wovon die Menschen auch langfristig profitieren.
Wie weit reicht die Schutzverantwortung Deutschlands zum Erhalt des Regenwaldes? Gibt es eine Responsibility to protect?
Hoffmann: Ob es eine rechtliche gibt, ist wohl stark umstritten. Eine moralische gibt es auf jeden Fall: Wenn wir alle auf unserer Erde überleben wollen, macht es Sinn, das Klima und die Biodiversität zu erhalten. Die genetischen Ressourcen und Informationen in den Regenwäldern sind unersetzlich. Unsere eigene Geschichte, mit einem überproportional Ressourcenverbrauch, und unser Reichtum bedingen sie aber - die moralische Verpflichtung Deutschlands zum Schutz des Regenwalds.
Vielen Dank für das Gespräch!