Gefährliches Spiel – was Fake Science anrichten kann
Fake science besteht wie «fake news» aus bewusst gefälschten Nachrichten, die erzeugt werden, um einer bestimmten Entität oder spezifischen Personen zu schaden. Wie gefährlich die absichtliche Verbreitung von falschen Informationen sein kann, erfahren Sie in diesem Beitrag.
28.02.2020
von Lars Jaeger
Im September 1986 publizierte der ostdeutsche Biologe Jakob Segal zusammen mit seiner Frau und Kollegen eine 47-seitige Broschüre mit dem Titel AIDS: its nature and origin. Darin behauptete er, dass das HIV/AIDS-Virus eine Erschaffung der US-Regierung sei. Seine Publikation war Teil einer grossangelegten Kampagne des sowjetischen Geheimdienstes mit dem Titel Operation Infektion, die das öffentliche Vertrauen in die US-Regierung zu untergraben anstrebte. Der «Segal-Bericht» informierte über zahlreiche sachlich korrekte Aspekte der Krankheit, wich dann aber von der Realität ab, indem er die Ursprünge von AIDS auf Experimente des US-Militärs an Häftlingen in Fort Detrick, Maryland, zurückführte. Gen-Ingenieure hätten den Erreger-Virus 1979 erschaffen, der dann durch einen Laborunfall in Umlauf geraten sei. Nur zwei Jahre nach der Veröffentlichung hatte der Bericht zu Artikeln und Berichterstattungen in der Presse von mehr als 80 Ländern geführt. Diese trugen maßgeblich zu dem langen, teils bis heute anhaltenden Glauben in zahlreichen Verschwörungstheoretiker-Zirkeln bei, dass die US-Regierung AIDS hergestellt habe. Noch im Oktober 2014 behauptete Louis Farrakahn, der prominente wie umstrittene Anführer der Nation of Islam, AIDS sei wie Ebola eine Bio-Waffe der US-Regierung, um die schwarze Bevölkerung auszurotten.
Negative Auswirkungen von «fake science»
Auch wenn die wissenschaftliche Community die Segal-These von den Anfängen des HIV-Virus längst ad acta gelegt hat, erhält die Operation Infektion unterdessen neue Aufmerksamkeit - und zwar als Beispiel für «fake science». Fake science besteht wie «fake news» aus bewusst gefälschten Nachrichten, die erzeugt werden, um einer bestimmten Entität oder spezifischen Personen zu schaden. In diesem Fall passiert dies innerhalb der akademischen Welt, einerseits als Teil einer staatlichen Strategie, mit der sich das jeweilige Land einen Vorteil gegenüber einem technologischen, politischen oder wirtschaftlichen Konkurrenten verschaffen will, andererseits um wissenschaftliche Theorien oder gar den Ruf der Wissenschaft insgesamt zu untergraben, weil sie als störend für eigene Ideologien, Machtinteressen oder ökonomische Gewinne empfunden werden. Fake Science kann neben der Rufschädigung seriöser Wissenschaftler und Wissenschaften weitere sehr negative Auswirkungen haben:
- Fake Science kann erhebliche Verwirrung in der akademischen Gemeinschaft säen und Misstrauen gegen die wissenschaftliche Methode in der breiteren Bevölkerung wecken. Dies könnte zuletzt die Forschung verlangsamen und die offene wissenschaftliche Zusammenarbeit erheblich beeinträchtigen.
- Unentdeckte wissenschaftliche Fälschungen können zu fruchtlosen und verschwenderischen Anschlussbemühungen führen, die auf betrügerische Ergebnisse aufzubauen versuchen.
- Wenn wissenschaftlicher Betrug entdeckt wird, kann er ein ganzes Forschungsgebiet kontaminieren. So führt die Angst der Wissenschaftler vor einer eigenen Rufschädigung durch den aufgedeckten Betrug zu massiven Spillover-Effekten.
- Die Aufdeckung von Betrug in einem Bereich eines Fachgebietes kann institutionelle Skepsis gegenüber diesem Gebiet als Ganzem bewirken. So haben Forscher in einem von Betrug heimgesuchten Bereich wahrscheinlich grössere Schwierigkeiten, Zuschüsse zu erhalten oder veröffentlicht zu werden.
Formen von Fake Science
Die grösste Menge an Fake Science kommt heute aus China. Aber auch andere Länder wie Russland, der Iran und auch Indien produzieren massiv Fake Science. Doch anders als Chinas gezielte staatliche Hacking-Aktionen und der Diebstahl von Geschäftsgeheimnissen könnte akademischer Betrug auch eine unbeabsichtigte Folge der aggressiven chinesischen Innovationspolitik sein. Die nahezu existenzielle Ausrichtung des Landes auf technologische Innovation prägt den staatlichen Wunsch nach wissenschaftlichen Veröffentlichungen besonders stark. Viele chinesische Universitäten vergeben hohe Geldpreise an Professoren für Veröffentlichungen in renommierten Journalen. Andererseits verlieren Forscher ohne entsprechende Veröffentlichungen schnell ihre Stelle und soziale Anerkennung. Natürlich ist diese Mischung aus Druck und Anreizen auch im Westen vorhanden, aber in China sicherlich in weit höherem Ausmass. Sie hat gerade dort einen beträchtlichen Schwarzmarkt für gefälschte Peer-Reviews, manipulierte Daten und falsche empirische Tests entstehen lassen. Der deutsche Biologe und Wissenschaftsjournalist Leonid Schneider sammelt systematisch Studien von chinesischen Medizinern, die offensichtlich nicht auf echter Forschungsarbeit basieren, sondern im Auftrag von Wissenschaftlern von Agenturen erstellt und zur Veröffentlichung eingereicht wurden (Blog: www.forbetterscience.com, vom 24. Januar 2020, Bericht in Spiegel Online vom 11. Februar). Unterdessen hat sich dort eine große Menge gefälschter Artikel angesammelt, die es in renommierte Journale geschafft haben. Dies haben nun auch die Journale selbst erkannt und Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Standards versprochen.
Auch die Entwicklung, dass immer mehr „selbsterklärte Experten“ versuchen, ihre eigenen, oft völlig abstrusen Theorien öffentlich zu machen, sei an dieser Stelle erwähnt. Hier handelt es sich ebenfalls um Fake Science. So gibt es eine erstaunliche laute Gruppe von Menschen ohne auch nur annähernd die dafür notwendige physikalische Bildung, die die Relativitätstheorie widerlegt zu haben glauben oder die scheinbaren Widersprüche der Quantentheorie dazu verwenden, um das Weltbild der modernen Physik grundlegend zu verdammen. Die digitalen Medien ermöglichen es diesen Menschen, jeden auch noch so abstrusen Unsinn herauszulassen. Aber auch selbsternannte Klimaexperten, die bar jeglicher wissenschaftlicher Grundlage ihre eigenen Theorien zum Klimawandel vertreten, oft mit der Absicht politisch zu punkten, spielen mit Fake Science ein gefährliches Spiel.
Und noch eine dritte Form von Fake Science muss erwähnt werden: die gekaufte Wissenschaft. Gerade in diesen Tagen ist viel von den «Shell Papers» die Rede. Darin wird klar, dass Dutzende internationale Unternehmen wie der Ölkonzern Shell, die holländische Bank ING und die Fluggesellschaft KLM jahrelang den prominenten Klimawandel-Skeptiker Frits Böttcher finanziell unterstützt haben. Dieser hat in de 1990er Jahre Millionen (damals noch Gulden) dafür kassiert, Zweifel am menschengemachten Klimawandel zu säen.
Fazit
So wünschenswert und wichtig die Integrität der Wissenschaften ist, so klar ist auch, dass diese weder automatisch gegeben ist noch, dass sie sich ganz von allein erhält. Wir müssen stets ums sie kämpfen.
Über den Autor
Lars Jaeger hat Physik, Mathematik, Philosophie und Geschichte studiert und mehrere Jahre in der Quantenphysik sowie Chaostheorie geforscht. Er lebt in der Nähe von Zürich, wo er – als umtriebiger Querdenker – zwei eigene Unternehmen aufgebaut hat, die institutionelle Finanzanleger beraten, und zugleich regelmäßige Blogs zum Thema Wissenschaft und Zeitgeschehen unterhält. Überdies unterrichtet er unter anderem an der European Business School im Rheingau. Die Begeisterung für die Naturwissenschaften und die Philosophie hat ihn nie losgelassen. Sein Denken und Schreiben kreist immer wieder um die Einflüsse der Naturwissenschaften auf unser Denken und Leben. Im September 2019 erschien sein neuestes Buch „Mehr Zukunft wagen!“ beim Gütersloher Verlagshaus.