Industrie 4.0 verstärkt gesellschaftliche Ungleichheit
Die Automatisierung wird künftig zu mehr wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit führen – und das werden vor allem die Menschen mit geringer Qualifikation zu spüren bekommen. Das zeigt ein neues Rechenmodell, das Wirtschaftswissenschaftler der Universität Hohenheim in Stuttgart zusammen mit Kollegen der Universität Göttingen entwickelt haben.
04.03.2020
Das Thema Industrie 4.0 weckt ebenso Hoffnungen wie Ängste. „Viele Menschen befürchten zum Beispiel, dass Industrieroboter Arbeitsplätze wegnehmen könnten“, erklärt Prof. Dr. Klaus Prettner, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Hohenheim. „Ob das tatsächlich zutrifft und wie sich Maßnahmen der Politik auswirken können, darüber geben uns Modellrechnungen klarere Einsichten.“
Um Wirtschaftswachstum und langfristige Entwicklungen zu erklären, verwenden die Forscher Rechenmodelle, in die sie Eckdaten einspeisen. Wenn sie wissen wollen wie sich Maßnahmen oder Änderungen auswirken, ändern sie die entsprechenden Parameter in ihrem Modell – und können so einen Blick in die Zukunft werfen. „Die Basis-Modelle sind allerdings in den 1990er Jahren entstanden – und da steckte die Automatisierung noch in den Kinderschuhen“, gibt Prof. Dr. Prettner zu bedenken. „Daher haben wir die Automatisierung nun in diese Wachstumsmodelle eingebaut.“
Das heißt, dass es nicht wie bisher im Modell nur Maschinen und Arbeitskräfte gibt, welche in einem relativ starken Ausmaß komplementär sind, sondern jetzt auch die Automatisierung als Substitut für Arbeit mit einberechnet wird.
„Außerdem haben wir Bildungsentscheidungen modelliert, welche bisher vernachlässigt waren“, so Prof. Dr. Prettner. „Ob man sich für eine Hochschulausbildung entscheidet oder nicht, hängt beispielsweise vom künftigen Einkommen ab. Doch ob man sich für ein Hochschulstudium entscheidet, hängt auch von der Intelligenz einer Person ab – je höher sie ist, desto geringer ist der eigene Aufwand für ein Studium, so dass man sich eher dafür entscheidet.“
Durchschnittlicher Bildungsstand steigt – Geringqualifizierte werden abgehängt
Als Ergebnis sagt das modifizierte Modell voraus, dass die Automatisierung zu einem steigenden Anteil an Hochschulabsolventen führt. „Sie zwingt gewissermaßen die klügeren Köpfe, mehr in ihre eigene Bildung zu investieren“, erläutert Prof. Dr. Prettner. „Die anderen werden so jedoch immer mehr abgehängt. Dadurch klafft die Einkommensschere zwischen den Hochqualifizierten und den gering Qualifizierten immer weiter auseinander, und die Arbeitslosigkeit bei Geringqualifizierten nimmt zu.“
Um zu testen wie sich wirtschaftspolitische Gegenmaßnahmen auswirken, haben die Forscher auch eine Robotersteuer und eine progressive Einkommenssteuer in ihr Modell eingebaut, und berechnet was geschieht, wenn man mit den Steuereinnahmen unterschiedliche Maßnahmen finanziert.
Politische Maßnahmen führen oft zu unerwarteten Effekten
„Betrachtet haben wir eine direkte Umverteilung an jene Menschen mit niedrigem Einkommen und eine Bildungssubvention“, so Prof. Dr. Prettner. „Die Ergebnisse zeigen Wirkungen dieser Maßnahmen, die man nicht erwarten würde.“
Ein Beispiel: Eine Robotersteuer senkt die Innovationsbereitschaft in den Unternehmen. Dadurch sinken die Löhne der Hochqualifizierten im Vergleich zum Basisszenario, was wiederum die Investition in eine Hochschulausbildung uninteressanter macht. Zudem gibt es mehr Konkurrenz um die Arbeitsplätze für gering Qualifizierte, was deren Löhne senkt und potenziell deren Arbeitslosigkeit erhöht. „Mit einer Robotersteuer kann man Ungleichheit daher weniger wirksam bekämpfen als bisher gedacht“, fasst Prof. Dr. Prettner zusammen.
Durch eine Bildungssubvention wiederum lässt sich zwar der durchschnittliche Lohn steigern, sie führt jedoch zu höherer Ungleichheit: „Sie wird von den Steuern aller bezahlt, es profitieren jedoch nur die gut Ausgebildeten.“
„Das Modell zeigt, dass einfache Lösungen nicht immer zu den gewünschten Effekten führen“, warnt Prof. Dr. Prettner. Seine Empfehlung: „Alle Politikmaßnahmen sollte man vorab genau überlegen und modellbasiert betrachten.“