Politik

„Die Demokratie hängt nicht von Twitter ab“

Aus Protest gegen die Übernahme von Twitter durch Elon Musk drohen Prominente damit, die Plattform zu verlassen. Die Bundesregierung möchte ihre Präsenz bei Twitter von der weiteren Entwicklung der Plattform abhängig machen. Für die Verifizierung von Accounts will der neue Eigentümer künftig Geld verlangen. Wohin steuert Twitter? Kann Twitter zur Gefahr für unsere Demokratie werden? Oder will Musk Twitter einfach nur profitabler machen? Fragen an Prof. Dr. Christian Pieter Hoffmann, Professor für Kommunikationsmagement an der Universität Leipzig.

07.11.2022

„Die Demokratie hängt nicht von Twitter ab“

Herr Professor Hoffmann, die Übernahme von Twitter durch Elon Musk hatte sich schon länger angedeutet, seine Motive dafür waren aber lange unklar. Seit vergangenen Freitag hat er den Vorstandsvorsitzenden und weitere Führungspersonen sowie den kompletten Verwaltungsrat entlassen und kündigte an, viele Mitarbeitende müssten ebenfalls geben. Sind das aus Ihrer Sicht nur ökonomische Gründe, um die Rendite zu steigern?

Prof. Dr. Christian P. Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement an der Universität Leipzig
Prof. Dr. Christian P. Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement an der Universität Leipzig

Prof. Dr. Christian Pieter Hoffmann: Musk begründete die Übernahme eingangs vor allem politisch. Demnach wolle er auf Twitter einen offenen Marktplatz der Ideen garantieren. Das kann man vor allem als eine Kritik an den bisherigen Moderationspraktiken der Plattform verstehen. Allerdings brach in der Folge aufgrund des aktuellen ökonomischen Umfelds der Kurs der Twitter-Aktie massiv ein. Musk war in seinem ursprünglichen Angebot geradezu gefangen. Um seine Geldgeber bei der Stange zu halten, wechselte er verstärkt zu einer ökonomischen Argumentation und betonte zuletzt das Entwicklungspotenzial der App.

Musk und andere Silicon-Valley-Größen, darunter auch der Twitter-Gründer Jack Dorsey, kritisieren schon lange den Twitter-Verwaltungsrat und -Vorstand. Aus ihrer Sicht ist das Unternehmen schlecht geführt. Im Vergleich zu anderen Social-Media-Plattformen ist es wenig profitabel. Im Übernahmekampf zerstritt sich Musk dann weiter mit dem Twitter-Vorstand. Es ist daher nicht überraschend, dass Musk die Führung des Unternehmens nun austauscht. Die tatsächlichen Motive für die Übernahme sind letztlich nicht transparent. Angesichts der enorm hohen – viele würden sagen: zu hohen – Kosten der Übernahme kann davon ausgegangen werden, dass es sich nicht um ein rein oder auch nur primär politisches Projekt handelt.

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Musk hatte bereits lange vor seinem Kauf angekündigt, Donald Trump seinen einst durch Twitter gesperrten Account wieder entsperren zu wollen. Ihm wird unter anderem attestiert, sich durch die Geschäfte Teslas mit China erpressbar zu machen. Die Bundesregierung möchte ihre weitere Präsenz auf Twitter von der weiteren Entwicklung der Plattform abhängig machen. Ist die Meinungsfreiheit, gar die Demokratie, weltweit durch diese Übernahme in Gefahr?

Prof. Hoffmann: Diese stark übertriebenen und bisweilen fast hysterischen Reaktionen zeigen interessanterweise vor allem, wie sehr sich gewisse Personen mit Twitter emotional verbunden fühlen. In Politik, Medien und zunehmend auch Wissenschaft gilt vielen Twitter als die Plattform für Vernetzung und öffentliche Kommunikation, eine Art digitale Heimat. Solche Intensiv-Nutzer scheinen sich durch Musks Übernahme geradezu persönlich verletzt zu fühlen. Dabei wird gerne übersehen, dass nur eine deutliche Minderheit der Bürger Twitter nutzen – hier sind Facebook, YouTube oder Instagram deutlich weiter verbreitet. Und: Nur eine kleine Minderheit der Twitter-Nutzer befasst sich auf dieser Plattform intensiv mit Politik. Für die meisten Nutzer ist Twitter eine unpolitische Plattform, die etwa der Unterhaltung dient. Für alle die nun besorgt sind, gilt: es gibt viele Alternativen zu Twitter. Die Demokratie hängt sicher nicht von dieser Plattform ab.

Twitter plötzlich als eine Art Bedrohung für die Demokratie zu betrachten, weil nun diese Tech-Größen und -Financiers Twitter besitzen, ist wenig überzeugend. Wenn die Eigentumsverhältnisse an einer breit genutzten Social-Media-Plattform problematisch sind, dann ist das wohl TikTok, nicht Twitter. Musk mag geschäftliche Beziehungen zu China unterhalten, aber TikTok ist eine chinesische Plattform. Besonders eigenwillig ist es, nun die Meinungsfreiheit für bedroht zu halten. Nicht nur gibt es unzählige Plattformen neben Twitter, auf der wir unsere Meinung kundtun können. Hinzu kommt, dass Musk nach eigener Aussage weniger intensiv kontrollieren möchte, was auf Twitter veröffentlicht wird, nicht mehr.

Sind Musks Ankündigungen, bestimmte Funktionen demnächst als Bezahlfunktion zur Verfügung stellen zu wollen, allein kommerziell geleitet?

Prof. Hoffmann: Ich bin mir nicht sicher, ob Musk selbst schon weiß, was er mit der Plattform genau vorhat. Erschwerend kommt sein eigenwilliger Humor hinzu, der seine Ankündigungen wenig zuverlässig macht. Noch traue ich kaum einer seiner aktuellen Ankündigungen. Mir scheint der Versuch, das blaue Verifizierungshäkchen kostenpflichtig zu machen, auf den ersten Blick wenig sinnvoll. Die damit erzielbaren Umsätze sind gering. Zudem steht dies in einem Widerspruch zu Musks Ankündigung, eine Art generelle Nutzerauthentifizierung einzuführen. Sinnvoller könnte die Maßnahme als Teil eines Pakets sein, das neben einer erleichterten und transparenteren Nutzerauthentifizierung weitere Vorteile umfasst, wie etwa weniger Werbeeinblendungen oder eine größere Reichweite. Aber es ist durchaus nicht auszuschließen, dass Musk mit seiner Ankündigung auch jene Intensiv-Nutzer mit blauem Häkchen piesacken will, die sich nun besonders über seine Übernahme der Plattform ärgern.

Wohin wird Twitter in den kommenden Monaten Ihrer Meinung nach steuern?

Prof. Hoffmann: Ich würde eine gewisse Lockerung der bisher eher strikten Moderationsregeln auf Twitter erwarten. Das scheint mir vor allem für den Diskurs zu Gender-Themen zu gelten, denn hier äußerte sich Musk tatsächlich wiederholt kritisch. Er empörte sich über die Löschung oder Blockierung von Tweets und Profilen, die sich kritisch oder satirisch mit Gender-Themen befassten. Es ist also durchaus möglich, dass einige von der Plattform verbannte Nutzer zurückkehren – bis hin zu Trump. Das bedeutet aber nicht, dass es gar keine Moderationsregeln mehr auf der Plattform geben wird. Zu laxe Moderationsregeln würden Werbekunden vergraulen.

Es gibt einen breiten Konsens, dass Twitter ein nicht besonders gut geführtes Unternehmen ist, das bisher unter seinen finanziellen Möglichkeiten bleibt. Eine springende Idee für eine bessere Monetarisierung der Plattform gibt es aber bisher nicht. Und auch Musk hat noch nicht erklärt, wie er die enorme Summe, die er für die Plattform bezahlt hat, nun zurückverdienen will. Letztlich wäre die Summe wohl nur zu rechtfertigen, wenn die Plattform von mehr Menschen genutzt wird. Das spricht aus meiner Sicht eher für eine Entwicklung hin zu mehr Unterhaltung und Kommerz. Dazu passt die Andeutung, dass Kurzvideos künftig eine größere Rolle auf Twitter spielen sollen.

Quelle: UD/fo
 

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