Klimaschutz: Elitenprojekt mit Kommunikationskrise?
Die Debatte um Klimaschutz wird stark von Eliten geprägt, wie eine Studie der Soziologin Sarah Kessler von der WU Wien zeigt. Ihre Forschung enthüllt eine deutliche Kluft zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen hinsichtlich ihrer Sprache und Ansichten zum Klimawandel, was die Frage aufwirft, ob Klimaschutz als Elitenprojekt wahrgenommen wird.
21.06.2024
Obwohl die Erderwärmung seit Jahren die Medien beherrscht und es immer wieder zu großen Protesten kommt, sind wirksame Klimaschutzmaßnahmen und ein gesellschaftlicher Wandel hin zu einem nachhaltigen Lebensstil bisher ausgeblieben. Dies spiegelt sich auch in den politischen Ergebnissen wider.
„Wir können unsere Klimaziele nur erreichen, wenn weite Teile der Bevölkerung die Maßnahmen mittragen – aber das ist nicht der Fall“, sagt Sarah Kessler vom WU Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit. Nach vierjähriger Forschung zur Klimadiskussion in Deutschland stellt die Soziologin fest, dass kein einheitlicher Konsens zum Klimaschutz in der Bevölkerung besteht. Ihre Ergebnisse zeigen, dass Appelle zu klimaschonendem Verhalten nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen erreichen.
In ihrem aktuellen Buch „Competing Climate Cultures in Germany“ beschreibt Sarah Kessler verschiedene Klimakulturen in Deutschland, die sich nicht nur in ihren Ansichten zum Klimawandel, sondern auch in ihrer Sprache deutlich unterscheiden. „Will man diese verschiedenen Kulturen von der Sinnhaftigkeit der Klima-Maßnahmen überzeugen, muss man sie auf verschiedene Arten ansprechen“, sagt Sarah Kessler. Bei ihren Untersuchungen sei aber aufgefallen: „Weite Teile der Gesellschaft denken anders und sind wohl auch anders zu überzeugen, als man in akademischen Kreisen, Politik und Medien annimmt, da sich deren Lebensrealitäten eklatant von denen solcher Entscheidungsträger:innen unterscheiden.“
Tiefe Gräben in der Klimakommunikation
Um ein umfassendes Bild der Diskussion über den Klimawandel zu zeichnen, führte die Soziologin Expert:innen- und Fokusgruppen-Interviews in diversen Berufsbereichen durch. Von NGOs und „grünen“ Start-ups über Industrie und Mobilität bis hin zu Lehrer:innen, Handwerker:innen und Landwirt:innen wurden verschiedene Perspektiven erfasst. Ergänzend analysierte sie Medienberichte, Fernsehdebatten und Social-Media-Kommentare.
Dabei offenbarte sich eine deutliche Trennline: „Meine Untersuchungen zeigen eine tiefe Kluft zwischen den Klima-(Sub)kulturen der Elite, deren Mitglieder die ‚offiziellen‘ Botschaften zum Klimawandel anerkennen und verinnerlichen – und denjenigen, bei denen diese Botschaften überhaupt nicht ankommen.“
Innerhalb der Elite identifizierte Kessler zwei unterschiedliche Klimakulturen: eine individualistische, die Eigenverantwortung und Konsumentenmacht betont, und eine kollektivistische, die politische Interventionen fordert und Änderungen des Lebensstils als Verlagerung von Verantwortung sieht. Beide vertrauen auf die Wissenschaft und glauben, die Katastrophe durch ihre jeweiligen (gegensätzlichen) Lösungsansätze abwenden zu können.
„Bemerkenswert ist, dass es keinen klaren Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu diesen Eliten-Klimakulturen und klimaschonendem Verhalten gibt“, räumt Sarah Kessler ein. „Die Angehörigen dieser Eliten haben keineswegs den kleineren ökologischen Fußabdruck.“
Die Eliten-Klimakultur prägt die mediale Berichterstattung in Talkshows, Magazinen und YouTube-Videos von Influencer:innen, während die heterogeneren Klimakulturen „von unten“ Kommentarspalten und Social-Media-Plattformen dominieren. Diese reichen von traditionellen „Ökos“, die den Klimawandel als Gefahr sehen und Konsumismus kritisieren, über Gruppen, die Klimamaßnahmen als nutzlos empfinden, bis hin zu Skeptiker:innen der „Klima-Hysterie“ und Klimawandel-Leugner:innen.
„Die Daten zeigen, dass innerhalb dieser Klimakulturen die skeptischen und leugnenden Stimmen die lautesten sind“, sagt Sarah Kessler. „Dadurch ergibt sich oft ein extremer Kontrast zwischen den Botschaften in den Medien und den Online-Kommentaren darunter.“
Aus ihrer Forschungsarbeit leitet die Soziologin vor allem die Erkenntnis ab, „dass man die Bevölkerung nicht als Einheit betrachten darf, die nur darauf wartet, mit rationalen Argumenten überzeugt zu werden.“ Alarmistische Botschaften würden bei weiten Teilen der Bevölkerung eher zu Verunsicherung und einer Abwehrhaltung – einer Art „aktivem Wegschauen“ – führen. Um Klimaschutz in der Bevölkerung zu verankern, sollte man diese soziale Komponente stärker in den Blick nehmen, resümiert Sarah Kessler: „Wer effektive Klima-Maßnahmen entwickeln will, muss genauer untersuchen, wie Menschen wirklich leben und denken – und wie sie Klimaschutz sinnvoll in ihre Lebenswelt integrieren können.“