Politik

Rüstungswahn bedroht weltweite Sicherheit

In ihrem neunten Jahrbuch, dem Conversion Survey 2004 fordern die Wissenschaftler des BICC (Internationales Konversionszentrum Bonn) die Rückkehr zu einer internationalen Politik, bei der eine reformierte UNO den Mittelpunkt des multilateralen Handelns bildet. Militärische Mittel müssen durch zivile Instrumente der Konfliktverhütung und -bearbeitung ersetzt werden.

02.06.2004

Das Jahr 2003 war durch den Irak Krieg und seine Nachwirkungen gekennzeichnet. Während die Invasion US-amerikanischer und britischer Truppen rasch erfolgreich schien, hat sich die Schaffung einer stabilen Nachkriegsordnung als außerordentlich schwierig erwiesen. Gravierend waren auch die internationalen Auswirkungen. So wurden die Vereinten Nationen schwer geschädigt. Die Wahrnehmung nationaler Sicherheit gewann den Vorrang vor globaler menschlicher Sicherheit. Der Konsens der Millenniums-Versammlung der Vereinten Nationen, weltweit die Verbesserung der Situation der besonders armen Menschen anzugehen, wird durch diese neue Prioritätensetzung auf nationale Sicherheit grundsätzlich in Frage gestellt.

Die weltweiten Ausgaben für Militär und Rüstung sind weiter gestiegen und dürften 2003 ein Niveau von ca. 900 Milliarden US-Dollar erreicht haben. Im Jahre 2002, dem letzten, für das vollständige Zahlen vorhanden sind, lagen sie bei über 850 Milliarden US-Dollar (jeweils in laufenden Preisen). Damit wuchsen sie weltweit um vier Prozent gegenüber 2001. Für diesen Anstieg um über 32 Milliarden US-Dollar waren allerdings nur wenige Staaten verantwortlich. Allein die USA steigerten ihre Militärausgaben um 26 Milliarden US-Dollar. Sieben weitere Staaten - China, Russland, Iran, Brasilien und Indien - gaben 2002 insgesamt sieben Milliarden US-Dollar mehr für Militär und Rüstung aus als im Vorjahr. Im Rest der Welt hingegen gingen die Militärausgaben sogar um eine Milliarde US-Dollar zurück.

Der Anteil der USA an den weltweiten Militärausgaben übersteigt 40 Prozent, der aller NATO-Mitgliedsstaaten 64 Prozent. Die Dominanz der USA im gegenwärtigen Aufrüstungsprozess zeigt sich auch in anderen Indikatoren. Während weltweit die Zahl der in der Rüstungsindustrie Beschäftigten auf nunmehr 7,7 Millionen Personen leicht zurückgegangen ist, wuchs sie in den USA um 3,6 Prozent auf 2,6 Millionen. Erstmals seit Mitte der 1990er Jahre ist die US-amerikanische Rüstungsindustrie nicht nur in Bezug auf die Produktion, sondern auch die Zahl der Beschäftigten weltweit die Nummer eins und hat China auf Platz zwei verwiesen. Im Bereich der militärischen Forschung und Entwicklung übersteigen die US-amerikanischen Ausgaben inzwischen 55 Milliarden US-Dollar (in laufenden Preisen); ihr Anteil an den weltweiten Aufwendungen liegt hier bei knapp 60 Prozent.

Im aktuellen Sicherheitsdenken spielen Massenvernichtungswaffen, insbesondere Nuklearwaffen, eine herausragende Rolle. Die 2002 erstellte Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten misst der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen besonderes Gewicht bei und beinhaltet eine Doktrin der Prävention gegen ihre Weiterverbreitung, die auch Militärschläge einschließt. Was im Irak geschah, war die Anwendung dieser Strategie in der Praxis.

Die im Dezember 2003 verabschiedete Europäische Sicherheitsstrategie stellt sich widersprüchlich dar. Einerseits setzt die europäische Strategie bei der Konfliktprävention und -bearbeitung eher auf militärische denn auf zivile Mittel und unterscheidet sich in dieser Hinsicht wenig von der US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsstrategie von 2002. So sieht der Entwurf der EU-Verfassung zwar ein Amt für Rüstung, aber keine entsprechende Institution für zivile Konfliktbearbeitung vor. Andererseits wird in der Europaeischen Sicherheitsstrategie militärischen Präventivmassnahmen, wie sie im entsprechenden US-Dokument angekündigt werden, eine klare Absage erteilt.

"Die nunmehr 25 Mitglieder der EU haben 2,2 Millionen Soldaten unter Waffen und einen Anteil von 22 Prozent an den weltweiten Militärausgaben. Durch Rationalisierung und stärkere Zusammenarbeit lassen sich die in der Europaeischen Sicherheitsstrategie vorgegebenen Ziele auch ohne weitere Ausgaben erreichen," warnt Michael Brzoska vor einer zusätzlichen Militarisierung Europas. Durch verstärkte Rüstungskooperation, auch mit Russland, könnten Mittel in erheblichem Umfang gespart werden. Zusätzlich sollte die EU den neuen Mitgliedsstaaten Unterstützung beim Abbau und der Konversion von überschüssigen Liegenschaften und Kapazitäten in der Rüstungsindustrie anbieten.

Die derzeitige vorrangig militärische Prioritätensetzung in der internationalen Sicherheitspolitik wirkt sich besonders im Bereich Gesundheit verheerend aus. Dabei ist, besonders wenn es um die Bedrohung durch HIV/AIDS geht, der Handlungsbedarf enorm. HIV/AIDS ist weltweit die häufigste Todesursache in der Altersgruppe zwischen 15 und 59 Jahren. Fast drei Millionen Menschen starben im Jahr 2002 an AIDS. Die größte Zahl an Opfern ist in Afrika zu beklagen, die größten Zuwachsraten von HIV-Infektionen werden gegenwärtig in Osteuropa verzeichnet. In einer Reihe afrikanischer Länder hat HIV/AIDS zu einer drastischen Verkürzung der Lebenserwartung geführt, in Sambia z. B. von 50 Jahren Anfang der 1970er Jahre auf jetzt 32 Jahre. Besonders in Konfliktgebieten und Nachkriegssituationen wird HIV/AIDS rasch verbreitet. In einigen Staaten Afrikas ist die Infektionsrate so hoch, dass einige Experten den Zusammenbruch staatlicher Ordnungsfunktionen - und damit weitere Konfliktherde - fürchten.

Neben HIV/AIDS sind Tuberkulose mit 1,7 Millionen und Malaria mit 1,3 Millionen Todesopfern (Zahlen für 2002) Pandemien, deren Bekämpfung hohe internationale Priorität verdient. Ca. 27 Milliarden US-Dollar jährlich müssten nach Einschätzung einer internationalen Expertenkommission der Weltgesundheitsorganisation (WHO) investiert werden, um präventive Gesundheitspolitik und medizinische Forschung effektiv zu betreiben. "Diese Summe ist niedriger als der Anstieg der Militärausgaben im Jahre 2002 und deutlich geringer als die Kosten des Irakkrieges im Jahre 2003 von über 80 Milliarden US-Dollar," kritisiert Peter Croll, Direktor des BICC, das Missverhältnis in der Prioritätensetzung.
Quelle: UD
 
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