Politik

Köhler: "Unsere Lebenswelt ist größer als die Welt der Waren"

Der Deutsche Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) ist zum 17. Male vergeben. Der mit 500.000 Euro höchst dotierte Umweltpreis Europas wird 2009 gedrittelt zwischen dem Unternehmer-Duo Petra Bültmann-Steffin (39, Neuenrade) und Dr. Carsten Bührer (39, Rheinbach), dem Wissenschaftler Prof. Dr. Bo Barker Jørgensen (63, Bremen) sowie der Ehrenvorsitzenden des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), Dr. Angelika Zahrnt (65, Neckargemünd). Anlässlich der Preisverleihung in der Kongresshalle Augsburg betonte Bundespräsident Horst Köhler, die Preisträger 2009 stünden beispielhaft für drei Schlüsselbereiche, auf die es in den nächsten Jahrzehnten entscheidend ankomme: Wissenschaft, Technologie und gesellschaftliche Veränderung.

28.10.2009

Horst Köhler bei seiner Rede anlässlich der Verleihung des Deutschen Umweltpreises 2009, Foto: DBU
Horst Köhler bei seiner Rede anlässlich der Verleihung des Deutschen Umweltpreises 2009, Foto: DBU
Köhler: "Wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter im Zeichen von Ökologie und Nachhaltigkeit. Wir stellen heute die Weichen für unser Wohlergehen von morgen. Keine Nation kann mehr auf Kosten anderer ihr Glück machen, alle müssen auf das Gleichgewicht der Welt achten. Ich hoffe sehr, dass sich die Verhandlungsdelegationen, die Anfang Dezember in Kopenhagen zur Weltklimakonferenz zusammentreffen, dieser Verantwortung bewusst sind."

Köhler wies vor 1.200 Gästen darauf hin, dass der Deutsche Umweltpreis, der zu den "ganz wichtigen" Preisen gehöre, ein Schlaglicht darauf werfe, dass alle Menschen in der Verantwortung stünden, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten: "Und die Preisträger machen uns immer wieder zuversichtlich, dass wir diese Herausforderung bestehen können." Sie zeigten wie Petra Bültmann-Steffin und Dr. Carsten Bührer, welche Effizienzsprünge möglich seien, wenn technisches Können und unternehmerischer Mut zusammen kämen. Sie sorgten durch wegweisende Forschungsarbeiten wie die von Prof. Jørgensen für ein besseres Verständnis des Einflusses der Weltmeere auf das Klimageschehen. Und sie bewiesen wie Angelika Zahrnt, dass man "mit unermüdlichem Engagement, intellektueller Brillanz und persönlicher Überzeugungskraft die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit aus den Expertenzirkeln heraus in die Mitte der Gesellschaft und an die Spitze der politischen Agenda bringt".

Köhler betonte in Augsburg die Notwendigkeit, einen neuen Antriebsstoff für die Volkswirtschaften jenseits des Öls zu suchen und sich erneuerbaren Energien und Ressourceneffizienz zuzuwenden. Dieser Wandel sei "ökologisch nötig und wirtschaftlich chancenreich". Dabei gehe es nicht um das Drehen an einigen kleinen Stellschrauben, und beliebig viel Zeit sei auch nicht vorhanden. Köhler: "Es geht um nichts weniger als um die Transformation in eine 'postkarbone Gesellschaft'. Das wird für uns alle Veränderung und Umstellung bedeuten müssen." Aber diese Transformation werde zu einer neuen, einer besseren Lebensqualität führen.

Schon mit der heute verfügbaren Technik lasse sich der Energieverbrauch bis 2050 halbieren, zitierte das Staatsoberhaupt Experten: wenn es mehr Passivhäuser gäbe, die keine Heizung im alten Sinne mehr brauchten; wenn mehr Elektrogeräte der höchsten Energiesparklasse benutzt würden, Stand-by-Schaltungen Vergangenheit wären und Glühbirnen mehr leuchteten als heizten. Köhler prophezeite im Zeitverlauf einer Generation nicht nur eine Revolution der Material- und Energiewirtschaft, sondern auch das Entstehen ganz neuer Mobilitätskonzepte in Stadt und Land.

Eine klimafreundliche Zukunft sei machbar - und Deutschland habe alle Voraussetzungen, sie für sich zu gewinnen, weil es das Potenzial für eine ökologische industrielle Revolution habe. Mit den Regeln der Marktwirtschaft müsse in den Preis einer jeden Sache und Dienstleistung eingerechnet werden, was sie die Allgemeinheit koste - an sauberer Luft, an endlichen Rohstoffen, an Abfall, Lärm und Staus.  Dazu müsse der Emissionshandel fortentwickelt, müssten umweltschädliche Subventionen abgebaut werden, sei eine Steuerpolitik notwendig, die mehr ökologische Anreize setze.

Aber es bedürfe nicht nur eines technologischen Wandels. Es sei auch Zeit, darüber nachzudenken, ob ein schlichtes "immer mehr"-Denken die Zukunft wirklich gewinnen könne. Zwar wolle er nicht den "Verzichtsaposteln, Technikfeinden und Schwarzsehern" das Wort  reden - und in dieser Ecke habe Umweltpolitik auch nichts verloren. Aber auch unser heutiger Lebensstil fordere von uns ja schon jede Menge Verzicht: auf belebte und lebenswerte Innenstädte, für die wir Einkaufszentren auf ehemals grünen Wiesen eintauschten; auf Ruhe für die Menschen, die an Hauptverkehrsstraßen wohnten; auf kostbare Zeit mit Familien und Freunden, die Pendler verlören, während sie mit Tausenden anderen im Stau stünden - gemeinsam allein. Köhler: "Wenn wir es begriffen, würden wir erkennen, dass zum Beispiel ein komfortabler, preiswerter und flächendeckender öffentlicher Verkehr mehr Lebensqualität bedeutet, mit weniger Lärm und Landschaftsverbrauch und mit weniger Zeitverschwendung im Auto, das eben nicht mobil ist."

Doch der Wandel sei bereits im Gange, machte Köhler Mut. Es sei "cool", mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren, nicht mit dem Geländewagen. Und das Energiesparhaus werde zum neuen Statussymbol. Viele kleine und große Projekte in Kindergärten, Schulen und Universitäten, Kirchengemeinden, Umwelt- und Naturschutzgruppen, Gewerkschaften und Unternehmen - nicht wenige von der DBU unterstützt - trieben den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer Kultur der Nachhaltigkeit voran. Köhler: "Noch sind sie eine Minderheit. Doch schon manche Minderheit wurde zur Mehrheit und hat Geschichte gemacht." Die Politik müsse den Kulturwandel durch eine Bildung befördern, die einen nachhaltigen Lebensstil vermittele, durch mehr Transparenz für Verbraucher und eine größere Wertschätzung bürgerschaftlichen Engagements. Das Sozialprodukt allein sei nicht das Maß für eine gute Gesellschaft, "denn unsere Lebenswelt ist größer als die Welt der Waren, der Mensch mehr als nur Konsument oder Produzent". An der Gestaltung einer neueren, besseren Welt könne jeder mitwirken. Köhler: "Wir haben unsere Zukunft zum großen, zum größten Teil selbst in der Hand. Nutzen wir diese Chance - in Verantwortung vor der Schöpfung und zum Wohle unserer Kinder und Enkel."

Quelle: UD / na
 
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