Der "SDG Compass" in einer sich rasant verändernden Welt
Ob Bevölkerungswachstum, Wohlstandsverteilung, Ressourcenverbrauch oder Klimawandel − die Welt steht vor gewaltigen globalen Herausforderungen. Die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (UN Sustainable Development Goals − SDGs) setzen hierzu klare Ziele auf globaler, regionaler und lokaler Ebene, um den größten dieser Risiken entgegenzuwirken. Für Unternehmen bedeuten diese globalen Veränderungen zunächst einen enormen Anpassungsdruck. Aber sie können auch neue Aktionsfelder und Chancen beinhalten: In den Megatrends stecken für Unternehmen zahlreiche Möglichkeiten, sich zu positionieren und zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen.
17.02.2017
Arbeiten mit dem SDG Compass
Um Firmen die Integration der SDGs in ihre Strukturen und die Umsetzung zielführender Maßnahmen zu erleichtern, hat der UN Global Compact in Zusammenarbeit mit der Global Reporting Initiative (GRI) und dem World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) einen Leitfaden erstellt, der in fünf Schritten Ansätze zur Ausrichtung unternehmerischen Handelns sowie Hilfestellungen zum Reporting bietet: Der „SDG Compass“ hilft, die UN-Entwicklungsziele anhand der unternehmensspezifischen Handlungsspielräume zu priorisieren und entsprechende Maßnahmen daraus abzuleiten. Der Leitfaden ist in fünf kurze Kapitel gegliedert, in denen er Wissen über die SDGs liefert und Instrumente zur Umsetzung bietet. Die fünf Kapitel sind gleichzeitig fünf aufeinander auf bauende Aktionsschritte:
- SDGs verstehen,
- Die tatsächlichen Auswirkungen des Unternehmens priorisieren und den SDGs zuordnen,
- Konkrete Ziele sowie KPIs bestimmen, denen jeweils auch ein zeitlicher Rahmen zugeordnet wird und Bekenntnis zu den SDGs,
- Nachhaltigkeit im Kerngeschäft integrieren und dabei über die reine Funktionalität für das Unternehmen hinaus gehen sowie Partnerschaften mit anderen Organisationen eingehen,
- Über den Erfolg und die Herausforderungen berichten.
Schritt 1: Die SDGs verstehen
Die SDGs sind letztendlich nicht philanthropisch, sondern auch im Eigeninteresse: Kein Unternehmen kann in einem Umfeld gut funktionieren, in dem die Probleme ungelöst bleiben. Im Umkehrschluss wird daraus der Business-Case für die SDGs: Diejenigen Unternehmen, die zur Umsetzung der SDGs beitragen, können sich durch Innovationen neue Marktfelder erschließen − etwa in der Erschließung neuer Gesundheitsversorgung. Sie erfüllen die Erwartungen, die von verschiedenen Seiten an sie gestellt werden und minimieren damit Risiken, denen andere Unternehmen sich aussetzen. Sie nutzen die Potenziale erneuerbarer Energien und eines geringeren Ressourcenverbrauchs. Letztlich tragen sie durch stabilere Gesellschaften, mehr Marktteilnehmer und größere Märkte sowie Marktregelungen zur wirtschaftlichen Stabilität bei.
Schritt 2: Prioritäten definieren
Nachdem sich die Unternehmen in Schritt 1 mit den SDGs vertraut gemacht haben, geht es in Schritt 2 und 3 des „SDG Compass“ darum, die jeweiligen Handlungsprioritäten der Unternehmen zu identifizieren und diese mit Zielen zu versehen. Dazu sollten die Unternehmen zuerst eine Analyse ihrer positiven und negativen Auswirkungen auf die SDGs entlang der gesamten Wertschöpfungskette vornehmen. Die größten Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf die SDGs fallen meist in der Lieferkette (Rohmaterialien oder Produktion), der Logistik, dem Vertrieb oder der Nutzung der Produkte an. Eine Analyse der eigenen Wertschöpfungskette stellt sicher, dass die wichtigsten Möglichkeiten, aber auch Risiken, die sich aus den SDGs ergeben, wahrgenommen werden.
Unternehmen wählen dazu für jeden identifizierten Bereich mit (potenziell) großen Auswirkungen geeignete Indikatoren. Wenn möglich sollten hierbei Inputs (aufgewendete Ressourcen), Outputs (Resultat einer Aktivität wie Anzahl erreichter Menschen), Outcomes (Ergebnisse wie z. B. Änderungen im Leben der durch die Unternehmensaktivitäten erreichten Menschen) und Impacts (langfristige Auswirkungen der Unternehmensaktivitäten) gemessen werden. Allerdings sind Impacts schwierig zu messen, weil sie langfristig auftreten oder die Messbasis derzeit noch diskutiert wird. Falls die Auswirkungen tatsächlich zu schwierig zu messen sind, können Outputs oder Outcomes als Indikatoren nützlich sein.
Darauf auf bauend können die Unternehmen unter Einbeziehung der Stakeholder dann ihre Handlungsprioritäten definieren. Dabei ist es wichtig, auch marginalisierte Bevölkerungsgruppen wie etwa Frauen oder beeinträchtigte Personen zu berücksichtigen. Außerdem müssen die Unternehmen den jeweiligen (länderspezifischen) Kontext beachten, in dem sie die Geschäftstätigkeit ausüben. Einerseits könnte das Unternehmen beispielsweise arbeitsintensive Aktivitäten in einem Land unterhalten, in dem die Löhne niedrig sind oder Arbeitsrechte nicht durchgesetzt werden. Andererseits können aber auch hergestellte Produkte oder angebotene Dienstleistungen die Lebensbedingungen von Menschen verbessern.
Schritt 3: Ziele setzen
Jetzt kann sich das Unternehmen Ziele setzen, die zur Erreichung der SDGs beitragen. Ein Bekenntnis des Unternehmens zur Nachhaltigkeit und zu den SDGs ist glaubhafter, wenn entsprechende spezifische, messbare und zeitlich begrenzte Unternehmensziele vorliegen. Die ausgewählten KPIs, anhand derer der Fortschritt oder der Erfüllungsgrad der Ziele bestimmt wird, müssen die Outcomes und Impacts der Unternehmensaktivitäten abbilden. Die Auswahl von Output- oder Outcome-Indikatoren als Ersatz für Impact-KPIs kann durch Stakeholder-Engagement verbessert oder gestärkt werden.
Schritt 4: Integration der SDGs in die Unternehmensstrategie
Laut einer Befragung der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC sind 71 Prozent der Unternehmen bereits dabei, ihren Umgang mit den SDGs zu planen, und 34 Prozent der Unternehmen haben bereits konkrete Pläne beschlossen und/oder sind dabei, diese umzusetzen. 37 Prozent der Unternehmen, die an der Befragung teilgenommen haben, arbeiten zurzeit an einer Strategie.
Um Unternehmen den Einstieg in die Umsetzung der SDGs zu erleichtern, hat der UN Global Compact gemeinsam mit Partnern verschiedene Tools wie die „SDG Industry Matrix“ entwickelt. Ziel der „SDG Industry Matrix“ ist es, über Maßnahmen zum Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele zu informieren und zu Umsetzungsideen anzuregen. Die Matrix wurde in dem Bewusstsein erstellt, dass die Möglichkeiten für Unternehmen, zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen, je nach Branche variieren. Sie enthält deshalb mehrere Publikationen mit Beispielen für die besten und effektivsten Möglichkeiten zur Umsetzung der SDGs aus spezifischer Branchenperspektive. Bislang sind Praxisbeispiele aus folgenden Branchen erhältlich:
- Financial Services
- Food, Beverage & Consumer Goods
- Climate Extract
- Healthcare and Life Sciences
- Industrial Manufacturing
- Energy, Natural Resources, Chemicals (Consultation Draft)
Schritt 5: SDGs kommunizieren
Die Qualität und Quantität der globalen Nachhaltigkeitsberichterstattung hat sich in den letzten Jahren stark verbessert. Das ist freiwilligen Initiativen wie dem Global Compact und vor allem der Global Reporting Initiative (GRI) zu verdanken. Aber auch verstärkte Gesetzgebung wie die EU-CSR-Berichtspflicht tragen in großem Maße dazu bei.
Die klassische Nachhaltigkeitsberichterstattung ist nicht 1:1 auf eine SDG-Berichterstattung übertragbar. Hierfür sind Transferschritte notwendig. So haben sich UN Global Compact
und GRI Ende September 2016 darauf verständigt, im Rahmen der Initiative „SDG Leadership through Reporting“ klare Regeln für das SDG-Reporting aufzustellen.
Was macht einen SDG-Report aus?
Der zentrale Unterschied beim SDG-Reporting zu anderen Nachhaltigkeitsberichtsformaten ist die deutlich erkennbare Kontextualisierung des eigenen Engagements mit relevanten globalen Entwicklungen und Zielen. So kann ein Unternehmen beispielsweise beim Thema Wasser seine eigenen Aktivitäten und die in seinen Lieferketten in den Verständnis- und Handlungskontext der SDGs „Zugang zu Wasser“ bzw. „Sanitäre Grundversorgung“ einbringen. Anhand dieser Ziele lassen sich die unternehmerischen Auswirkungen dann ganz konkret identifizieren und messen.
Was ist die beste Ausgangslage für einen SDG-Report?
Nach Ansicht des „SDG Compass“ sind besonders hilfreich für die SDG-Berichterstattung:
- Wesentlichkeit: Der Materialitätsansatz ermöglicht schon in der Grundausrichtung eine Einbindung der Themen, die im SDG-Prozess identifiziert wurden.
- Anschlussfähigkeit: Die Anknüpfung an GRI erlaubt, bestehende Managementstrukturen weiter zu nutzen, die Einbeziehung von Stakeholdern (stakeholder inclusiveness) sowie die gemeinsame Kommunikation der Ergebnisse.
- Messbarkeit: Darüber hinaus bieten verschiedene ISO-Standards die Möglichkeit, die SDGs klar in den Geschäftsprozess zu integrieren. Dazu zählen etwa ISO 14064 (Treibhausgase / GHGProtokoll), ISO 50001 (Energie Management), ISO 14001 (Umwelt-Management). Mittelständische Unternehmen, die eine umfangreiche ISO-Implementierung scheuen, sollten die nicht-zertifizierbare ISO-Norm 26000 in Betracht ziehen: Sie bietet ergänzend oder sogar alternativ zu GRI gute Möglichkeiten, die SDGs thematisch und auf Prozessebene einzufangen.
Im Original ist der Text im Jahrbuch "Global Compact Deutschland 2016" erschienen.
Tipps zur Integration der SDGs in Ihrem Unternehmen
Unternehmen, die die SDGs umsetzen wollen, sollten folgende Schritte beachten:
- Entdecken Sie die Möglichkeiten, die sich für Ihr Unternehmen aus den SDGs ergeben. Verbinden Sie diese mit Ihrer CSR- oder Nachhaltigkeitsstrategie!
- Nutzen Sie die Wesentlichkeitsanalyse Ihrer tatsächlichen Unternehmensauswirkungen als wichtige Voraussetzung für die Priorisierung der SDGs.
- Identifizieren Sie aufbauend auf den zehn Prinzipien des UN Global Compact die Möglichkeiten, die sich aus den SDGs für Ihr Unternehmen ergeben. Analysieren Sie, welche Ziele für Ihr Unternehmen relevant sind.
- Leiten Sie daraus ein strategisches Konzept und unternehmerische Maßnahmen ab. Mit welchen Kompetenzen und Maßnahmen kann Ihr Unternehmen zur Lösung der globalen Herausforderungen beitragen?
- Diese Maßnahmen haben sich bewährt: die SDGs als wichtig kommunizieren; die SD Gs explizit in die Wesentlichkeitsanalyse einbinden; die SDGs als Leitbild verwenden für spezifische und messbare langfristige Unternehmensziele; regelmäßige Berichterstattung über Fortschritte zu jedem Ziel sowie über weitere Schritte.
- Schulen Sie sich und Ihr Team! Die SDGs sind weniger abstrakt, wenn man sich z. B. die 169 Unterziele (Targets) anschaut. Mit Schulungsangeboten und dem SDG Compass zur Erstorientierung sowie Best Practices von großen Unternehmen werden Sie schnell herausfinden, welche konkreten Handlungsfelder sich für Sie ergeben.
- Seien Sie kreativ und innovativ! Die Umsetzung der SDGs erfordert neue Wirtschaftsweisen, die für Sie ein neues und lohnenswertes Geschäftsfeld bedeuten können.