Neue Akteure für eine neue Entwicklungsagenda
Die weltwirtschaftliche Dominanz der Industrieländer geht seit mehr als 20 Jahren kontinuierlich zurück. Mit zum Teil beeindruckenden Wachstumsraten haben einige Schwellen- und Entwicklungsländer, insbesondere in Asien, ihren Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt (BIP) von einem Drittel im Jahr 1990 auf mehr als 50 Prozent im Jahr 2014 erhöht und werden – so die Meinung einiger ExpertInnen – bis zum Jahr 2020 mit knapp 60 Prozent zum weltweiten BIP beitragen.
05.03.2015
Asiatische Länder erlebten in den letzten Jahren eine erstaunliche Wirtschaftsdynamik. Der Löwenanteil des Wirtschaftswachstums geht auf das Konto der Volksrepublik China, die nach Einschätzung der renommierten Fachzeitschrift Economist bereits im Jahr 2016 die USA als größte Wirtschaftsmacht überholen soll. Der Anteil Chinas am Welthandel hat sich von 3,6 Prozent im Jahr 2000 auf 9,5 Prozent im Jahr 2010 verdreifacht. Die Exportzahlen der Entwicklungs- und Schwellenländer sind sowohl in Bezug auf Rohstoffe und Industriegüter als auch im Bereich der Dienstleistungen beträchtlich gestiegen. Trotz der spektakulären Erfolge bleibt der Nord-Nord-Handel immer noch dominant und soll mit der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) weiter ausgebaut werden.
Süd-Süd-Kooperation
Noch nie war der Austausch von Waren, Dienstleistungen und Investitionen unter den Entwicklungsländern, die sogenannte Süd-Süd-Wirtschaftskooperation (SSK), so intensiv wie heute. Die beiden letzten Dekaden sind gezeichnet von einer explosionsartigen Entwicklung in der SSK. Der Handel zwischen Brasilien und Subsahara-Afrika ist beispielsweise von vier Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 auf 28 Milliarden US-Dollar im Jahr 2012 angestiegen. Inzwischen ist China der wichtigste Handelspartner Afrikas geworden, noch vor Europa und den USA. Inzwischen exportieren Entwicklungsländer sogar knapp mehr Waren und Dienstleistungen in andere Entwicklungsländer als in reichere OECD-Länder (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Diese Kennzahlen lassen jedoch aus, dass es sich dabei um einen Differenzierungsprozess mit großen nationalen und regionalen Ungleichheiten handelt. Asiatische Länder vereinnahmen derzeit ein Viertel des Welthandels. Das ist eindeutig mehr als Lateinamerika (vier Prozent) und Afrika (1,8 Prozent). Unter diesen Voraussetzungen ist die Frage berechtigt: Auf welchen Grundsätzen basiert die SSK und inwieweit unterscheiden sich diese von den traditionellen Prinzipien der Nord-Süd-Kooperation? Ähnlich wie die traditionellen Geber, die ihre Vorstellungen und Prinzipien von Entwicklungszusammenarbeit sowohl in der G8, als auch und vor allem im Entwicklungsausschuss der OECD (DAC) gemeinsam definieren, bemühten sich die Entwicklungsländer im Rahmen der Gruppe der 77 bereits im Jahr 2009, die Prinzipien der Süd-Süd-Kooperation weiter zu entwickeln. Die Süd-Süd-Kooperation basiert demnach auf den Prinzipien der Gleichheit, Solidarität und gegenseitiger Entwicklung und Ergänzung. Die Intensität dieser Koordinierung unterscheidet sich allerdings von der der traditionellen Geber.
Die Rolle der BRICS
Aufstrebende Schwellenländer wie Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika (BRICS) spielen heute eine größere Rolle in der Weltwirtschaft und bringen sich aktiv in multilaterale und internationale Verhandlungen ein. Insbesondere China und Brasilien scheinen sich in den internationalen Institutionen der Global Governance (Internationaler Währungsfonds, Weltbank etc.) verankern zu wollen. Diese Länder haben ihre Beiträge zum Budget der Vereinten Nationen in den letzten 10 Jahren stark angehoben und damit an Einfluss bei der Politikgestaltung verschiedener UN-Institutionen gewonnen. Somit haben die USA und andere westliche Mächte in den letzten Jahren an Einfluss im System der Vereinten Nationen verloren.
Mehr als 60 Jahre lang wurde die internationale Entwicklungspolitik nach den Vorstellungen der Industrieländer gestaltet. Sie haben bereits in den 1960er-Jahren innerhalb der OECD einen Sonderausschuss für Entwicklungsfragen gegründet (DAC). Allerdings hat sich die traditionelle entwicklungspolitische Landschaft mit der zunehmenden Rolle von aufstrebenden Gebern („Emerging Donors“) stark verändert. Die Interessenkonstellation, die dahinter steckt, beeinflusst schon jetzt die Diskussionen über eine neue Entwicklungsagenda (Post-2015) und deren Finanzierung ebenso wie die Klimaverhandlungen. Die aufstrebenden Geber haben sich zwar aktiv an der Formulierung einer „Entwicklungsagenda“ für die G20 beteiligt, aber die Bereitschaft der „Neuen“, sich auf die Standards der traditionellen Geber einzulassen, variiert von Land zu Land. Der Grund dafür ist, dass nicht alle „Emerging Donors“ auch „Emerging Powers“ sind. Nicht alle stellen die westliche Dominanz in wichtigen Institutionen der Global Governance in Frage und erheben den Anspruch, als Wortführer des globalen Südens in formellen sowie in informellen Institutionen der internationalen Regulierungsstrukturen aufzutreten.
Die BRICS-Entwicklungsbank
Im Juni 2014 haben die BRICS eine Entwicklungsbank ins Leben gerufen. Diese Entwicklungsbank hat ihren Sitz in Shanghai und wird momentan von Indien geleitet. Die Einrichtung einer BRICS-Entwicklungsbank hat eine enorme historische Relevanz aus mehreren Gründen:
- Eine solche Bank kann die informelle Struktur der BRICS zu mehr Verbindlichkeit führen.
- Eine solche Bank kann aufgrund der enormen Liquidität der BRICS-Länder eine Hebelfunktion für die Mobilisierung von bestehenden Finanzquellen aus den Industrieländern (Pensions- und Rentenfonds) haben.
- Den Entwicklungsländern kann eine BRICS-Bank einen schnelleren Zugang zu Finanzressourcen in Bereichen wie Energie und produktiver Infrastruktur ermöglichen, die derzeit von multilateralen und bilateralen Entwicklungsbanken stark vernachlässigt werden.
ExpertInnen gehen davon aus, dass diese Idee auch anderen Schwellenländern als Inspiration dienen könnte, ähnliche Initiativen zu ergreifen, wie zum Beispiel die Koalition MIST (Mexico, Indonesien, Süd Korea und die Türkei). Damit würde sich das Gravitationszentrum der Entwicklungsfinanzierung und die Entwicklungshilfe immer weiter weg von den traditionellen Industrieländern und den von ihnen dominierten Institutionen Weltbank und IWF bewegen. Der Kapitalfluss aus den BRICS-Ländern in Länder mit niedrigem Einkommen ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Nach Einschätzungen des IWF geht ein großer Teil dieser Ressourcen in arme Länder mit schwachen Institutionen und schlechter Regierungsführung. Auf der anderen Seite sind die Kredite an diese Länder weniger entgegenkommend als Kredite an Länder mit stärkeren Institutionen. Handel und Investitionen aus den Schwellenländern bieten sowohl Chancen als auch Risiken für Entwicklungsländer.
IBSA: Chancen und Grenzen einer Süd-Süd-Kooperation
Drei der fünf BRICS-Länder haben bereits im Jahr 2003 ein Dialogforum unter dem Namen IBSA (Indien, Brasilien, Südafrika) gegründet. Das IBSA-Dialogforum hat eine große Bedeutung für die Post-2015-Agenda, denn es bringt drei große, pluralistische, multikulturelle und demokratische Gesellschaften von drei Kontinenten zusammen. Aufgrund ihrer Rolle im jeweiligen regionalen Kontext und ihrem Anspruch auf mehr Mitsprache in den Gremien der Global Governance, verstehen sich diese drei Länder als Gleichgesinnte. Ihnen geht es im Kern darum, ihre Rolle in den internationalen Institutionen zu stärken und damit bestehende Ungleichgewichte zu überwinden. Mit Stolz stellen die RegierungsvertreterInnen der IBSA fest, dass sich das Forum nach zehn Jahren konsolidiert hat. Die IBSA hat inzwischen eine internationale Routine entwickelt. Es besteht eine starke politische Koordination in internationalen Fragen bezüglich der Vereinten Nationen, der Welthandelsorganisation, der G20, der BRICS etc. Die IBSA hat eine große Bedeutung sowohl für die SSK zwischen den drei Ländern, als auch für die Vernetzung mit anderen Entwicklungsländern. Der Handel zwischen den drei Ländern ist von anfänglich 3,9 Milliarden US-Dollar (2003) auf ca. 12 Milliarden US-Dollar (2009) angestiegen. Im Jahr 2013 betrug der Handel 23 Milliarden US-Dollar und wird bis 2015 das erklärte Ziel von 25 Milliarden US-Dollar übertreffen.
Ist die IBSA eine neue mächtige Struktur, in der die Anhänger der SSK neue Impulse in die internationale EZ und damit in die Post-2015-Agenda einbringen können? Die drei Mitgliedsländer der IBSA haben auf jeden Fall durch den Einsatz innovativer Instrumente im Bildungs- und Gesundheitsbereich Erfolge in der eigenen Entwicklungspolitik verzeichnen können. Insgesamt sind die bisherigen Fortschritte der IBSA, verglichen mit dem Potenzial ihrer Mitgliedsländer, jedoch eher bescheiden. Gerade bezüglich der Global Governance in entwicklungspolitischen Fragen hätte die IBSA große Chancen gehabt, alternative gemeinsame Vorschläge zu entwickeln, die neue Impulse für eine Post-2015-Agenda hätten geben können. Stattdessen wirkt die IBSA manchmal wie ein „Club guter Freunde“, der sich zum regelmäßigen Austausch trifft. Angesichts der bestehenden Herausforderungen für eine globale Post-2015-Agenda und der allgemeinen Krise der traditionellen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) scheint es wichtig, sich mit den Potenzialen der IBSA zu befassen. Allerdings beinhaltet das letzte gemeinsame Kommuniqué der IBSA von der 68. Generalversammlung der Vereinten Nationen außer den üblichen allgemeinen Formulierungen keine neuen substantiellen Vorschläge für eine neue Entwicklungsagenda. Zwar bekennt sich das Forum zu der Formulierung von globalen Zielen, die für alle Länder gelten sollen, macht allerdings keine konkreten Vorschläge über die Reichweite einer solchen Agenda. Das Forum betont das Prinzip der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“, insbesondere bezüglich der Formulierung von Sustainable Development Goals (SDGs).
Ausblick: Eine neue Agenda verlangt neue Partnerschaften
Die Bedeutung aufstrebender Schwellenländer wie der BRICS ist auch in der Entwicklungsfinanzierung spürbar. Deswegen bemühen sich traditionelle Geber, die neuen Akteure in die bestehenden Prozesse für eine Verbesserung der Wirksamkeit der EZ einzubinden. Wichtig ist ebenfalls, dass traditionelle Geber sich bemühen, die neuen Geber an die bestehenden Standards der EZ anzubinden. Da die aufstrebenden Geber jedoch häufig nicht bereit sind, die DAC-Standards für eine Verbesserung der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit zu übernehmen, sollten die traditionellen Geber die Rolle des UN Development Cooperation Forums stärken. Eine Alternative für einen konstruktiven Dialog bietet auch die „Global Partnership for Effective Development“ trotz der Bedenken einiger aufstrebender Geber.
Im Zeitalter der Globalisierung und in Anbetracht der vielfältigen Krisen und Konflikte ist der Multilateralismus unumgänglich geworden. Jedoch befindet er sich in einer strukturellen Krise. Multilaterale Institutionen, wie der UN-Sicherheitsrat, der IWF und die WTO spiegeln veraltete ökonomische und machtpolitische Realitäten wider. Die G8 drohen zu einem Auslaufmodell zu werden, das insbesondere infolge der Ukraine-Krise seine Grenzen aufweist. Noch ist offen, ob die Gestaltungsmacht der G8 von der G20 abgelöst wird.
Bei der Gestaltung einer Post-2015-Agenda werden die BRICS nicht als eine geschlossene Ländergruppe auftreten. Dagegen scheint ein stärkerer Einfluss der IBSA auf die Formulierung von globalen Entwicklungszielen realistischer, vor allem da Brasilien, Indien und Südafrika bereits in Dreieckskooperationen Erfahrungen mit OECD-Ländern gesammelt haben. Eine Agenda, die auf einer globalen Partnerschaft basiert, ist möglich, wenn die Reformen der Global Governance-Strukturen von den OECD-Ländern befürwortet werden und der Fragmentierungsprozess in der internationalen EZ durch eine stärkere Koordination überwunden wird. Die Post-2015-Agenda sollte jedoch nicht überschätzt werden. Andere internationale Foren, wie die WTO oder die UN-Klimarahmenkonvention, haben für den Schutz von globalen Gemeinschaftsgütern und der Armutsbekämpfung ebenso eine sehr große Bedeutung. Die „Global Partnership for Effective Development Cooperation“ entwickelte sich aus einer internationalen Zusammenkunft zum Thema „Wirksamkeit der EZ“ 2011 in Südkorea und bietet eine geeignete Plattform, um die Prinzipien der SSK mit den Erfahrungen der traditionellen EZ zu verbinden.
Die OECD-Länder sollten die unterschiedlichen Sichtweisen und Forderungen der aufstrebenden Geber an eine neue Agenda anerkennen und ihre Initiativen als neue Geberländer ernst nehmen. Noch ist die SSK keine gleichwertige Alternative zur Nord-Süd-Kooperation, aber eine neue globale Partnerschaft bietet das Potenzial, die Prinzipien der SSK mit den Erfahrungen der traditionellen EZ zu verbinden. Bislang zeigen die aufstrebenden Geber ein sehr heterogenes Bild und es mangelt der Ländervereinigung und ihrer Süd-Süd-Kooperation aber noch an einem klaren Profil und einer einheitlichen Orientierung sowie an gemeinsamen Zielen in der Entwicklungszusammenarbeit.
Das Fact-Sheet „Neue Akteure für eine neue Entwicklungsagenda“ von Dr. Pedro Morazán ist im Original beim Südwind-Institut erschienen. Soweit nicht anders angegeben, stammen alle Informationen darin aus der Studie „BRICS als neue Akteure der Entwicklungspolitik. Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika als Geber“, die hier heruntergeladen werden kann.