Schlürfrechte
„Wasser ist flüssiges Gold", lautet eine Redensart. Tatsächlich lässt sich mit kaum einer anderen Ressource so viel Geld verdienen. Tendenz steigend. Weltweit werden über 100 Milliarden Liter Wasser jährlich in Plastikflaschen abgefüllt. Aber: Wasser wird in den nächsten Jahrzehnten durch Klimawandel und wachsenden Weltverbrauch zu einem global knappen Gut werden.
09.01.2020
Es gibt Orte, die jeder von uns kennt, auch wenn kaum einer von uns dort war. Die französische Kleinstadt Vittel ist so ein Ort. Mitte des 19. Jahrhunderts sprach sich die Qualität des Wassers herum, und Vittel wuchs in der Belle Époque zu einem mondänen Heilbad- Ort mit Hotels, Stadtvillen und Casinos heran. Schon früh basierte das Geschäftsmodell der örtlichen Kaufleute nicht nur auf Wasser für reiche Kurgäste, sondern in kleine Mengen abgefüllt sollte es auch den „gemeinen Bürger“ erfreuen. 1882 wurde die Mineralwassergesellschaft „Société Générale des Eaux Minérales de Vittel“ gegründet.
Der Erfolg ist bis heute bahnbrechend – schon 1898 verkaufte Vittel eine Million Flaschen Wasser. Im Jahr. Auch heute wird eine Million Flaschen verkauft. Am Tag. Und genau da beginnt das Problem: In Vittel werden heute 750 Millionen Liter Wasser im Jahr gepumpt. Das bleibt nicht ohne Folgen: Der Wasserspiegel sinkt jährlich um 30 Zentimeter. Die Bewohner sollen deshalb künftig mit Leitungswasser vom Nachbarort versorgt werden.
Die Nutzung des wertvollen Vittel- Wassers bleibt dem Eigner der Mineralwassergesellschaft, und das ist heute der Nestlé-Konzern, vorbehalten.
Dagegen regt sich Widerstand: „Nestlé plündert und trocknet uns aus“, heißt es auf Strohballen am Ortseingang. Großer, böser Konzern gegen kleine, schutzlose Gemeinde? Für viele Aktivisten ist der Fall klar. „Die Ressource Wasser gehört allen“, fordert Jean-Francois Fleck vom regionalen Umweltschutzverband Vosges Nature Environnement in der Tagesschau. Der Bürgermeister von Vittel, Frank Perry, sieht es differenzierter: 900 der 5.000 Einwohner arbeiten für Nestlé. Ohne die berühmte Quelle wäre Vittel so bedeutend wie sein Nachbarort Bulgnéville, nämlich gar nicht.
In Indien boomen Wasserautomaten
Szenenwechsel: Indien erlebt derzeit die schlimmste Wasserknappheit seiner Geschichte. Einem aktuellen Bericht von WaterAid zufolge leiden fast 163 Millionen Inder darunter. Regierungsdaten belegen, dass die durchschnittliche jährliche Wasserverfügbarkeit pro Kopf zwischen 2001 und 2050 von 1,8 Millionen Litern auf 1,1 Millionen Litern absinken wird.
Glücklicherweise haben nicht nur die Regierung, sondern auch indische Sozialunternehmer die Situation erkannt, und ihre Start-ups bieten Lösungen für den zunehmenden Mangel im Land: Ob nun Swajal Water, Piramal Sarvajal, AMRIT oder Waah – alle funktionieren nach dem Prinzip des Getränkeautomaten. Das Wasser hierfür wird solarbetrieben aufbereitet. Sozial werden die Geschäftsmodelle durch die moderaten Preise und begleitende Hilfsprojekte für Schulen und Dorfbewohner.
Was rar ist, hat seinen Preis
Wasser wird in den nächsten Jahrzehnten durch Klimawandel und wachsenden Weltverbrauch zu einem global knappen Gut werden. Für Investoren ergeben sich aus diesem Szenario attraktive Investitionschancen, konstatiert die Fondsgesellschaft Pictet nüchtern. Unternehmen, die im Bereich der Wasserversorgung tätig sind, würden von „überdurchschnittlichen Wachstumsaussichten“ profitieren.
Das ruft viele Akteure auf den Plan: Wasserfonds bescheren Anlegern seit Jahren hohe Renditen. Der Pictet-Wasserfonds brachte in den letzten fünf Jahren über 62 Prozent Rendite. Der RobecoSAM Sustainable Water Fund brachte es auf mehr als 66 Prozent. Und Fonds, die sich am Referenzindex World Water orientieren, brachten mehr als 80 Prozent Rendite in fünf Jahren. Davon kann Otto- Normal- Sparer nur träumen.
Weltweit werden über 100 Milliarden Liter Wasser jährlich in Plastikflaschen abgefüllt.
Und wie wird mit Wasser Geld verdient?
Erstens mit den Versorgern. Peter Hermann schreibt in einem Anleger- Blog: „So ist der Weltmarkt für das kühle Nass längst unter einigen wenigen Konzernen aufgeteilt: Neben den beiden großen französischen Konzernen Veolia und Suez gehören hierzu die US-amerikanischen Unternehmen Xylem und Lindsay.“ Beim Thema Wasser sind die Franzosen stark im Geschäft: Suez und Veolia beliefern 270 Millionen. Kunden weltweit und machen damit annähernd 20 Milliarden Euro Umsatz im Jahr.
In Deutschland, wie in den meisten Teilen Europas, ist der Trend ein anderer: Wasserversorgungs-Unternehmen sind in der Regel in kommunaler Hand. Und das soll nach Verbraucherwunsch auch so bleiben. Eine Bürgerinitiative hat das im letzten Jahr auch auf EU-Ebene durchgesetzt. Der für den Binnenmarkt zuständige EU-Kommissar Michel Barnier versprach, Wasser aus allen Privatisierungs-Richtlinien zu streichen. Zuvor war es vor allem in Berlin zu heftigen Protesten gekommen. 1999 hatte der damalige CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen die Berliner Wasserbetriebe teilprivatisiert. Den neuen Miteignern RWE, Vivendi (später Veolia) und Allianz wurden in einem Konsortialvertrag satte Gewinne versprochen. Bezahlen durften das die Verbraucher. „Nach wenigen Jahren zahlten die Berliner etwa ein Drittel mehr für ihr Wasser als zuvor“, schreibt Patricia Huber im österreichischen Magazin Kontrast. Es folgten jahrelange Proteste und schließlich 2011 ein Volksentscheid mit 98 Prozent Zustimmung für den Rückkauf.
Das ganz große Geld wird mit Flaschenwasser gemacht
Der zweite große Gewinnbringer ist das Geschäft mit abgefülltem Wasser: Weltweit werden weit über 100 Milliarden Liter Wasser jährlich in Plastikflaschen abgefüllt. Vielleicht 20 Prozent von diesen werden später auch recycelt. Verdienen tun daran die bekannten großen Marken im Lebensmittelgeschäft: Nestlé, Danone, Coca-Cola machen schon den Großteil des Weltmarktes unter sich aus. Allein Nestlé erwirtschaftet mit seiner Wassersparte über sieben Milliarden Franken Jahresumsatz. In Deutschland werden Statistiken zufolge etwa 11,5 Milliarden Liter abgefülltes Wasser pro Jahr getrunken. Das entspricht 142 Litern pro Kopf. Damit ist Deutschland nach Mexiko, Thailand und Italien weltweit Spitze beim Verbrauch von abgepacktem Wasser. Davon profitiert auch der Handel: Das Getränkeliefer-Start-up Flaschenpost aus Münster hat unlängst 20 Millionen Euro von Investoren eingesammelt.
Die Triodos Bank sieht den Trend kritisch: „Leitungswasser ist in Deutschland nahezu flächendeckend ohne Bedenken konsumierbar, es wird strenger kontrolliert als abgefülltes Wasser und ist etwa 180 Mal günstiger. Hinzu kommt, dass abgefülltes Wasser überwiegend in Plastikflaschen abgepackt wird, oftmals weit transportiert werden muss und somit einen verheerenden ökologischen Fußabdruck hat.“
Digitale Wassertechnologien sind der absolute Megatrend, sagen Experten.
Digitalisierung liegt auch hier im Trend
Wasser kommt aus dem Hahn oder der Flasche. Das klingt nach altmodischem, analogem Geschäft. Ist es aber längst nicht mehr. Digitale Wassertechnologien sind der absolute Megatrend, sagen Experten: Digitale Lösungen bieten Instrumente zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Infrastruktur der Wasserversorgung, der Effizienz und Effektivität der Infrastrukturreparatur und der Kapitalinvestitionen. Die neuen smarten Systeme nutzen Satellitenbildauswertungen für die kostengünstige Lecksuche oder Vorhersagen der Abwasserbedingungen. Die Anwendungen beinhalten künstliche Intelligenz zur Verwaltung von Infrastrukturanlagen sowie Virtual und Augmented Reality (AR)-Technologien, um den Mitarbeitern eine effizientere Reparatur zu ermöglichen. Ein Unternehmen, das diese Art von Fähigkeiten anbietet, ist das japanische Metawater, das die Instandhaltung von Wasseranlagen mit AR-Technologie von Fujitsu unterstützt.
Der Analyst Will Sarni schreibt über die vernetzten Wasserwege von morgen: „Versorgungsunternehmen können auch die Ressourcenverfügbarkeit durch Satellitenbilder, Daten und Analysen des NASA GRACE-Programms besser verstehen; oder sie könnten die Hochwasservorhersage mit Dienstleistungen von Unternehmen wie Cloud to Street verbessern. Diese Unternehmen können auch eine bessere Verbindung zu ihren Kunden herstellen. Diese Kunden wiederum haben „Smart Home“-Lösungen, um ihren Wasserverbrauch effizient zu steuern.“
Absurd: Wer Wasser spart, zahlt mehr
Zuweilen treiben Investitionen aber auch skurrile Blüten: So ist der Wasserverbrauch pro Kopf in Deutschland in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken. 1990 betrug er 145 Liter täglich, heute sind es dagegen nur noch 127 Liter. Besonders drastisch fallen die Einsparungen übrigens in Ostdeutschland aus: Geburtenrückgänge, Abwanderungen und neue Technologien haben den Pro-Kopf-Verbrauch seit der Wende von 142 Litern auf 90 Liter reduziert. Eine gute Nachricht? Jein, denn der sparsame Verbraucher hat die Rechnung ohne die Politik gemacht: Diese ging nämlich bis weit in die 90er Jahre davon aus, dass der Wasserverbrauch hierzulande steigen werde und plante entsprechend. Vor allem in den neuen Bundesländern entstanden überdimensionierte Wasserwerke, Leitungsnetze und Entsorgungsanlagen, die heute nur mangelhaft ausgelastet sind. Für den Verbraucher bedeutet dies höhere Abgaben, da die Kosten umgelegt werden.
Auch für die Trinkwasserqualität wirkt sich Sparsamkeit negativ aus: Geringere Wasserentnahmen führen in den Leitungsnetzen zu einer langsameren Fließgeschwindigkeit und einer längeren Verweildauer des Wassers in den Leitungen. Folge: Fäkalien werden nicht schnell genug in die Klärwerke gespült, und das schadstoffreiche Wasser wiederum greift die Rohre an. Als Lösung des Problems greifen viele Gemeinden darauf zurück, dass sie zusätzliches, sauberes Trinkwasser in das Kanalnetz pumpen, um so die Fließgeschwindigkeit künstlich zu erhöhen. Die Alternative wären neue, kleinere Rohre, für die aber das Geld fehlt.