Politik

CSR in Japan – Eher spenden als managen

Japaner sind fleißig, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. 98 Prozent aller großen Firmen berichten über ihr Nachhaltigkeitsengagement. Doch was denken sie? Was verstehen sie unter CSR? Eine internationale Konferenz gab dazu interessante Einblicke. Ein Bericht aus Tokio.

26.10.2016

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Japan ist neben China die führende Industrienation Asiens. In Japan ist das Thema Nachhaltigkeit und insbesondere unternehmerische Verantwortung (Corporate Social ResponsibilityCSR) sehr präsent und ausgeprägt. Praktisch alle großen Unternehmen des Landes veröffentlichen Nachhaltigkeitsberichte. Entsprechend groß war mit fast 600 Teilnehmern das 3. internationale Symposium „Sustainability and Corporate Value“, ausgerichtet von der Universität von Venedig (VIU), der Waseda Universität in Tokio, dem Spezial-Textilhersteller Alcantara und dem japanischen Börsenindexes Nikkei.

Japan ist beim Thema CSR weit, die Beschäftigung damit unterscheidet sich aber sehr deutlich von der europäischen Sichtweise. So geht es ihnen vor allem darum, wie man mithilfe von CSR die negativen Auswüchse der industriellen Produktion lindern oder Effizienz- und Ressourcenpotenziale heben kann. Nicht im Fokus scheint dagegen die Frage nach der grundlegenden, nachhaltigen Ausrichtung von Produktionsprozessen zu stehen. Zu dieser Einschätzung kamen die Referenten des diesjährigen Symposiums. Den theoretischen Hintergrund erläuterte Satoshi Nagashima von RolandBerger Japan: Für unternehmerische Verantwortung nutzen Japaner den Begriff shakai kadai. Das heißt soviel wie „soziales Problem“ oder auch „soziale Herausforderung“. CSR ist somit ein Konzept, das in der Beziehung zur Gemeinschaft und Gesellschaft entsteht. Dies schließt die Beziehung zu Stake- und Shareholdern, zu Mitarbeitern, Kunden und Behörden etc. mit ein. Bei Umweltfragen sehen Japaner den Staat als Stimme und Anwalt der Natur.

Zur Modellierung eignet sich nach Ansicht von Nagashima das klassische Pyramidenmodell von Archie Carroll aus den USA. Das ist allerdings schon gut und gerne vier Jahrzehnte alt und gilt für europäische CSR-Akteure als heute eher überholt. Das hat einen guten Grund: Carrolls Pyramide skaliert in ökonomische, ethische und rechtliche Verantwortung. Die Spitze bildet für Nagashima philanthropische Verantwortung. Also nicht die Art, wie eine Firma das Geld verdient, sondern wie sie den Erlös verwendet, bestimmt die gängige CSR-Ausrichtung in Japan.

Dazu passen auch die Ergebnisse einer aktuellen Studie der Tokyo Foundation zu CSR: Demnach engagieren sich 96 Prozent der Unternehmen für Umweltinitiativen, vor allem im Artenschutz und bei Luftverschmutzung. Andere Felder mit hoher Beteiligung sind Spenden für den Erhalt des kulturellen Erbes sowie der Schutz von Müttern und Schwangeren. Im Report der Tokyo Foundation heißt es: „When we look at corporate CSR reports, we find that the examples they cite of initiatives taken overseas in many cases take the form of volunteer activities undertaken by their employees; there is little mention, for example, of attention being given to human rights in the local community.“

Mit der Einführung der freiwilligen CSR-Norm ISO 26000 erhielt CSR einen normierten Berichtsrahmen. Die meisten asiatischen Firmen, die sich mit CSR beschäftigen, berichten nach ISO 26000, erläuterte Hidemitsu Sasaya von der Firma Ito als CSR-Manager aus der Praxis. ISO dient ihm als Kategorisierung der Aufgaben. Dazu sind die sieben ISO-Bereiche ja auch in der Tat gedacht. Hidemitsu Sasaya „bespielt“ diese Themen in der Praxis dann mithilfe entsprechender Sozialprojekte, mit Spenden und der Förderung von Initiativen. Hier bestätigt er das vorher von seinem Kollegen skizzierte Modell der philanthropischen CSR-Pyramide. Auch die neuen nachhaltigen Entwicklungsziele der UN (SDGs) fügen sich aus Sicht von Sasaya nahtlos in die ISO-Norm ein, als dass er die einzelnen SDG-Kacheln den jeweiligen ISO 26000 Handlungsfeldern zuordnet.

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Fukushima hallt nach

Welche Themen im Umweltbereich interessieren Japaner? Nach Ansicht der Referenten sind es nicht vorrangig die Themen Klimaschutz und CO2-Reduzierung. Hier befolge man natürlich globale Trends und Auflagen. Wirklich beschäftigen würden Japaner die Themen Energieversorgung und der Energiemix. Nach dem Atomunfall von Fukushima ist die Atomkraft diskreditiert, aber erneuerbare Energien noch keine tragfähige Alternative. Das Thema Energieversorgung gewinnt zunehmend an Brisanz, denn auch in Japan weiß man, dass die Pariser Klimaschutzvereinbarungen praktisch nur dann umsetzbar sind, wenn die Industrie sich noch viel stärker elektrifiziert – sei es durch Elektromobile, Elektroheizungen oder auch in vielen anderen Bereichen. Aber der Strom muss ja auch irgendwo herkommen. Die Regierung Shinzō Abe will deshalb die Atomkraftwerke wieder ans Netz bringen. Das ist aber umstritten. Gerade jetzt gewann der erklärte Atomkraftgegner und Oppositionspolitiker Ryuichi Yoneyama überraschend deutlich die Gouverneurswahl in der Provinz Niigata. Damit sind zwei Provinzen, in denen die wichtigsten Atomkraftwerke des Landes (still)stehen in der Hand von Atomkraftgegnern.

Im Alltag deutlich konsequenter als wir Deutschen sind die Japaner beim Thema Mülltrennung. Das ist nicht unanstrengend wie Johannes Balve, der als Korrespondent für die Deutsche Welle vor Ort war, berichtet: „Mit unglaublichem Eifer bringen die Japaner fein säuberlich in Plastiktüten verpackte Blechdosen, Flaschen, Plastikbehälter zurück in die Supermärkte und werfen sie in die unterschiedlichen Abfallbehälter.“ Vorschriften verlangen, so Balve weiter, dass Altpapier zu handlichen Päckchen zusammengeschnürt werden muss und gesprungenes Glas oder kaputte Flaschen in Papier eingewickelt und als Gefahrgut beschriftet werden müssen. Nicht ganz so konsequent ist man allerdings beim Thema Müllvermeidung: Landeskenner bescheinigen den Japanern einen ausgeprägten „Sauberkeitsfimmel“. Deshalb wird im Supermarkt beispielsweise alles in Plastik verpackt – ob nun die Serviette, das Obst (Äpfel und Apfelsinen stückweise) oder auch jeder einzelne Fisch. Die Einkäufe selber kommen dann natürlich auch noch mal in eine Plastiktüte. Und auch bei der finalen Entsorgung des Mülls ist noch Luft nach oben: Der Müll wird in Japan nämlich verbrannt. Aus hygienischen Gründen.

Eine Arbeitsgruppe mit Japanerin und Japaner

Das zentrale Thema der Japaner ist die Arbeit

Uichiro Niwa, früherer Botschafter Japans in China und heute Vorstandsvorsitzender des Industriekonglomerats Itochu, brachte beim CSR-Symposium noch einmal die Arbeitskultur und das Managementdenken der Japaner in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Ethisches Handeln ist seiner Meinung nach das Wichtigste für eine japanische Firma. Diese bezieht sich zu allererst auf das wichtigste Gut, das sie hat: ihre Mitarbeiter. Ohne Mitarbeiter, so Uichiro Niwa, ist eine Firma nichts. Sie kann nichts machen, nichts produzieren, nichts erwirtschaften. Mitarbeiter sind daher das wertvollste Kapital, deren Vertrauen und Leistungsfähigkeit es zu erhalten gilt. Unternehmerische Verantwortung ist für ihn daher, ganz utilitaristisch gedacht, die Mitarbeiter an den besten Stellen einzusetzen. Und es gehe darum, Talent und Charakter der Mitarbeiter zu schulen und zu reifen. Das ist eine pädagogische Aufgabe.

Ethische Verantwortung ist für Uichiro Niwa also zunächst eine moralische Dimension, bei der die Firma die Verantwortung für die Mitarbeiter übernimmt und die Mitarbeiter wiederum durch Loyalität zurückzahlen. Dass dies auch in anderen Häusern noch heute üblich ist, bestätigt Satoshi Takeyasu von Panasonic. Dort ist er verantwortlich für die Themenfelder Marke, Werbung und Corporate Citizenship: Auch bei Panasonic werde morgens für alle Mitarbeiter verpflichtend das Unternehmensleitbild gemeinsam vorgetragen. Das schaffe das Bewusstsein für wechselseitige Loyalität.

Karōshi oder: Schuften bis zum Umfallen

Allerdings hat die Medaille auch eine andere Seite: Die japanische Tradition, nach der die Mitarbeiter nicht vor ihren Vorgesetzten nach Hause gehen dürfen, führt zu einem regelrechten Überstunden-Kult. Eine aktuelle Studie der japanischen Regierung ergab, dass 20 Prozent der Firmen ihre Mitarbeiter mehr als 80 Überstunden im Monat machen lassen. Mit teilweise tödlichen Folgen. Bekanntestes Beispiel ist der Tod eines 27-jährigen philippinischen Trainees, der 2014 an Erschöpfung starb, nachdem er im Schnitt 122 Überstunden im Monat hatte. Kein Einzelfall: In Japan hat der Tod durch Überarbeitung eine eigene Bezeichnung und wird „Karōshi“ genannt. Die dauerhafte Erschöpfung führt zu Herz- und Kreislaufproblemen. Kritiker werfen der japanischen Regierung Komplizenschaft an solchen Vorfällen vor. So sei es üblich, den chronischen Fachkräftemangel in Japan durch ausländische Trainees zu füllen. Deshalb dauert die Trainee-Zeit in der Regel drei bis fünf Jahre. Eine Übernahme, geschweige denn eine dauerhafte Immigration dieser Menschen nach Japan ist dagegen nicht vorgesehen. Auch haben Trainees während der Zeit keine Möglichkeiten, den Arbeitgeber zu wechseln. Nur ein Abbruch und eine Rückkehr ins Heimatland sind möglich. Aber für viele der Trainees, die den Lohn zur Unterstützung ihrer Familien nach Hause schicken, ist gerade das natürlich keine Option.

Für noch mehr Aufruhr sorgte im letzten Jahr der Selbstmord der 24-jährigen Japanerin Matsuri Takahashi, die für die Werbeagentur Dentsu arbeitete. Auch sie hatte bis zur Überforderung Überstunden angehäuft und wusste sich nur durch den Freitod zu helfen. Da es diesmal eine Japanerin traf, war die öffentliche Diskussion laut Medien heftiger. Tokios neuer Gouverneur Yuriko Koke ordnete daraufhin jetzt an, dass alle städtischen Bediensteten künftig nach 20 Uhr nach Hause gehen müssen.

Eine andere „Baustelle“ ist das Thema Urlaub: Eine Studie ergab, dass Japaner weniger als die Hälfte ihres jährlichen Urlaubs auch nehmen. Die Zentralregierung will die Angestellten daher künftig zu mindestens fünf Tagen Pflichturlaub im Jahr zwingen. Naohiro Yashiro, Professor an der Showa Women’s University in Tokio, ist überzeugt: „Wir können die Arbeitskultur in Japan ändern. Wenn wir klare Regeln setzen, ist es nicht unmöglich, dass die Japaner auf die gleiche Art und Weise arbeiten wie die Europäer.“ Bis dahin ist aber noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Das zeigt das Beispiel Dentsu: Welche Lehren zog man nämlich bei der Werbeagentur daraus? Die erlaubten Überstunden im Monat werden künftig von 70 auf 65 Stunden gesenkt.

Quelle: UmweltDialog
 

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