Sicherheitsrisiko Trump?
Was ist der optimale Standort für Unternehmen? Der, der Vorteile verschafft. Über Jahrzehnte war so ein Standort Mexiko: Günstige Produktionskosten vor Ort und der große Absatzmarkt USA vor der Tür. Doch dann kam Trump. Seitdem ist in Mexiko nichts mehr wie früher. Und jetzt? Wir sprachen darüber mit Johannes Hauser, Geschäftsführer der deutsch-mexikanischen Industrie- und Handelskammer.
17.08.2017
„Armes Mexiko. So fern von Gott, so nah an den USA.“ Der Satz des mexikanischen Präsidenten Porfirio Díaz ist über 100 Jahre alt. Aber er ist aktueller denn je. Das Verhältnis zu den USA ist seit dem Amtsantritt von Trump politisch gestört, aber ist es auch schon ökonomisch gestört?
Johannes Hauser: Bisher nicht, denn an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hat sich ja nichts geändert. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA funktioniert uneingeschränkt.
Aber natürlich herrscht Unsicherheit, nachdem Donald Trump NAFTA wiederholt als ein schlechtes Abkommen bezeichnet hat, das er neu verhandeln oder gar aufkündigen will. Eine Neuverhandlung böte den drei beteiligten Ländern Mexiko, USA und Kanada die Möglichkeit, aktuelle Entwicklungen etwa im Bereich der Dienstleistungen in den Vertragstext einzubinden. Das Abkommen besteht seit 1994, natürlich hat sich seitdem manches verändert, was bei Neuverhandlungen thematisiert würde. Das wäre kein ungewöhnlicher Vorgang. So tagen derzeit regelmäßig Expertengruppen in Mexiko-Stadt und Brüssel, um das Abkommen zwischen Mexiko und der EU zu aktualisieren.
Sollte es keine Einigung geben und die USA kündigen das Abkommen auf, würden zunächst einmal die Zollsätze der Welthandelsorganisation WTO greifen. Die beliefen sich dann von Mexiko in die USA auf etwa zwei Prozent, wären also keine grundlegende Einschränkung für den Handel. Sollte Trump indes die WTO verlassen und die von ihm angekündigten Strafzölle von 30 Prozent etwa auf die Einfuhr von Autos verhängen, hätte das verheerende Folgen. Nicht nur für den Handel zwischen den beiden Ländern, sondern für die Weltwirtschaft.
Mexiko hat jahrelang von der Idee des "Nearshoring" profitiert. Dabei siedelten Unternehmen ihre Produktionsstätten in Grenznähe zu den USA an, um ihre Güter dann über die Grenze zu schaffen. Wenn Mexiko diesen Business Case nicht mehr hat, was bleibt dann?
Hauser: Diese Art der Produktion, die in Mexiko als Maquila bezeichnet wird, besteht tatsächlich noch. Fernsehgeräte, Drucker, Monitore, Smartphones oder Waschmaschinen sind typische Produkte, die in Mexiko nach dem Prinzip der verlängerten Werkbank gefertigt werden.
Das Modell schafft zwar Arbeitsplätze, geht aber nicht in die Tiefe. Mexikos Regierungsvertreter beklagen immer wieder, dass die Wertschöpfung bei der Maquila nur zu einem sehr geringen Teil in Mexiko stattfindet.
Deswegen setzt man strategisch auf Branchen, in denen die Produktionsprozesse komplexer sind und in die Tiefe gehen, was etwa in der Luft- und Raumfahrtindustrie oder dem Automobilbau der Fall ist. Gerade bei den Automobilzulieferern hat sich ein hochkomplexer grenzüberschreitender Produktionsverbund entwickelt, der weltweit wohl einmalig ist. Hier liegen jedem von Mexiko exportierten Dollar US-Vorleistungen in Höhe von 40 Cent zugrunde. Studien zufolge hängen sechs Millionen Arbeitsplätze in den USA vom Handel mit Mexiko ab. Es ist zu hoffen, dass diese Tatsachen in der US-Regierung rasch für einen Lernprozess und ein Umdenken sorgen.
In Mexiko hat sich in den vergangenen Monaten die Einsicht durchgesetzt, dass die Abhängigkeit von den USA zu groß ist. Immerhin gehen derzeit mehr als 80 Prozent der mexikanischen Exporte zum Nachbarn im Norden. Asien, Südamerika und Europa sind jetzt stärker im Fokus der Mexikaner. Immerhin unterhält das Land zwölf Freihandelsabkommen mit 46 Ländern, die mit mehr Leben gefüllt werden können.
Die deutsch-mexikanischen Handelsbeziehungen entwickeln sich übrigens dynamisch, Mexiko ist das wichtigste Zielland deutscher Exporte nach Lateinamerika. Die mexikanischen Ausfuhren nach Deutschland legten 2015 um gut 20 Prozent und im vergangenen Jahr um 15 Prozent zu.
Sollte ein Unternehmen trotz Trump in Mexiko investieren?
Hauser: Das wird jedes Unternehmen für sich entscheiden. Es ist völlig normal, dass die Firmen, die in Mexiko produzieren und von hier aus exportieren wollen, ihre Investitionspläne jetzt erst einmal kleiner fahren oder zurückstellen, bis die Politik für eine klare Perspektive sorgt. Unternehmen hingegen, die den mexikanischen Binnenmarkt mit über 120 Millionen Konsumenten im Fokus haben, halten nach unserer Beobachtung ohne Abstriche an ihren Plänen fest.
Ein vermeintlich sicherer Standort wie Mexiko kann durch eine überraschende Wahl urplötzlich zum Risiko werden. Wie kann man sich aus Ihrer Sicht dagegen rüsten?
Hauser: Je breiter man aufgestellt ist, desto unabhängiger ist man natürlich von überraschenden Entwicklungen auf einem Markt. Deutsche Unternehmen sind dafür bekannt, nicht alle Eier in einen Korb zu legen, sondern auf eine gute Balance zu achten.
Für mexikanische Unternehmen gilt das nicht. Sie haben sich auf den US-Markt konzentriert, was nicht verwunderlich ist, wenn man den größten Einzelmarkt der Welt direkt vor der Tür hat. Sie müssen jetzt schnell lernen, ihre Aktivitäten zu diversifizieren. Die deutsch-mexikanische Industrie- und Handelskammer steht ihnen dabei beratend zur Seite. Denn viele Mexikaner wissen gar nicht, dass deutsche Konsumenten den Produkten aus anderen Ländern gegenüber sehr aufgeschlossen sind. Zudem genießt Mexiko ein gutes Image in Deutschland, das Produzenten etwa von Lebensmitteln oder Wellnessprodukten nutzen können. Und schließlich bieten die zahlreichen internationalen Leitmessen in Deutschland den mexikanischen Unternehmen eine hervorragende Möglichkeit, ihre Produkte einem Fachpublikum aus der ganzen Welt vorzustellen.
Welche Rolle spielt Mexiko als Teil der Lieferkette für die deutsche Wirtschaft?
Hauser: Motoren, Elektronik und Chemieprodukte gehören zu den Komponenten, die in nennenswerter Zahl von Mexiko nach Deutschland exportiert werden. Aber generell ist Mexikos Bedeutung für die Lieferketten in Deutschland eher gering. Hier im Land (in Mexiko?) dagegen werden die Logistik- und Zulieferketten immer komplexer, damit ein möglichst großer Teil der Komponenten lokal gefertigt wird und die Herkunftsregeln für die verschiedenen Freihandelsabkommen erfüllt werden.
Allein seit 2000 stieg die Zahl der deutschen Unternehmen in Mexiko um 800 auf heute 1900. Das unterstreicht die große Bedeutung des Standorts.
Man denkt bei Wirtschaft und Mexiko immer sofort an Volkswagen und die Automobilindustrie. Über welche anderen Branchen reden wir?
Hauser: Die Automobilindustrie ist in der Tat der Motor der deutschen Präsenz. Volkswagen, Audi und demnächst Mercedes und BMW fertigen im Land. Zulieferbetriebe wie Bosch, Continental und ThyssenKrupp gehören zu den größten Arbeitgebern in Mexiko.
Aber auch die Chemie- und Pharmabranche ist vertreten, etwa durch BASF, Bayer, Boehringer Ingelheim und Altana Pharma, um nur einige Beispiele zu nennen. Siemens ist seit weit über 100 Jahren im Land, viele große deutsche Logistikanbieter sind in Mexiko aktiv.
Standortrisiken sind nicht nur politischer Natur, sondern auch Sicherheitsfragen. Hier macht Mexiko mit den Gewalteskapaden, Morden und Entführungen durch die Drogenkartelle Schlagzeilen. Wie sehr schreckt das Investoren ab?
Hauser: Wie überall in Lateinamerika ist die Kriminalität auch in Mexiko ein Thema. Mir ist aber kein deutsches Unternehmen bekannt, das wegen der Kriminalität Mexiko verlassen hat.
Wir befragen in einer jährlichen Konjunkturumfrage unsere Mitgliedsunternehmen zu dem Thema. Es gibt von Jahr zu Jahr gewisse Schwankungen, aber ein sehr relevantes Thema ist es nur für einen geringen Teil der Mitglieder, bei der jüngsten Umfrage im Dezember 2016 waren es sechs Prozent.
Wie wichtig sind CSR-Themen für mexikanische Firmen selbst? Machen die das aus eigenem Antrieb oder nur auf Druck der Lieferketten?
Hauser: Die Hire-und-Fire-Mentalität entspricht auch in Mexiko nicht der deutschen Unternehmenskultur. Das macht die Firmen bei Arbeitnehmern traditionell beliebt. Soziale Programme etwa zur Prävention von Krankheiten, Fortbildungsangebote und die Einbeziehung der Familienangehörigen von Mitarbeitern sind weitere Pluspunkte. Dafür braucht es keinen Druck, solche Initiativen ergreifen die Unternehmen aus eigenem Antrieb. Natürlich mit der Absicht, die Mitarbeiter an sich zu binden – denn was ist besser für eine Firma als erfahrene Arbeitskräfte?