Politik

attac-Mitbegründer Giegold berichtet vom Weltsozialforum in Dakar

Wie schon das Weltsozialforum 2009 im Brasilianischen Belém fand das Forum in Dakar unter dem starken Eindruck der tiefen Krise des neoliberalen Globalisierungsprojekts statt. In einigen Weltregionen läuft die Wirtschaft schon länger wieder gut, in anderen hat sie sich an der Oberfläche erholt. Das kann jedoch nicht über die tiefen sozialen, ökonomischen und ökologischen Probleme hinwegtäuschen. Aus Dakar berichtet der Grüne Europaabgeordnete Sven Giegold, einer der Mitbegründer der Globalisierungskritischen Organisation attac.

16.02.2011

Sven Giegold, Bild: Flickr/Grüne NRW
Sven Giegold, Bild: Flickr/Grüne NRW
Auf dem Forum trafen sich diejenigen aus den Bewegungen und Zivilgesellschaft, die einen tiefen Bruch mit der neoliberalen Globalisierung wünschen, entweder in Form einer sozialen und ökologischen Regulierungspolitik, wie etwa in einem „Grünen New Deal", oder durch einen grundsätzlichen Bruch mit dem Kapitalismus. Diese Spannweite politischer Alternativen charakterisierte dieses WSF wie auch die altermondialistische Bewegung seit ihrer Gründung.

Doch während in Belém die Diskussion um die Zivilisationskrise und grundlegende Alternativen zur Globalisierung des Kapitalismus wie die Idee des „buen vivir" (guten Lebens) die Debatten beherrschten, war dies in Dakar anders. Die friedlichen Revolutionen in Ägypten und Tunesien sowie der besondere afrikanische Kontext mit seinen eigenen Themen dominierten auch das WSF. Schon auf dem beeindruckenden Eröffnungsmarsch wurde deutlich, dass dies kein Forum der großen übergreifenden Forderungen und Parolen würde. Dem Organisationskomitee war es gelungen, in großer Breite die sozialen Bewegungen und Basisinitiativen Westafrikas zu mobilisieren.

Dazu trugen auch die über Land reisenden Karawanen bei, die sternförmig aus allen Nachbarländern in den Senegal zogen und damit eine kostengünstige Anreise ermöglichten und gleichzeitig auf das WSF aufmerksam machten. Sie kamen jedoch nicht mit roten, grünen oder anderweitigen Fahnen, sondern mit ihren eigenen Anliegen: Landraub („land grabbing") zu kritisieren, der durch den immer schärferen Druck auf landwirtschaftlich nutzbares Land  wächst.

Der Schutz lokalen Saatguts und lokaler Produktion vor Kontrolle der Multis und Agrarsubventionen wurden eingefordert, etwa die Überfischung („sea grabbing") durch die industriellen Fischfangflotten auf Kosten der familiären Fischereibetriebe. Besonders sichtbar waren überall auf dem Forum die starken Frauenbewegungen in Afrika, sowohl in Bezug auf Landrechte, die Fischerei und die Beteiligung von Frauen an Konfliktlösung in Afrika. Schließlich war Thema die "Festung" Europa mit ihrem menschenverachtenden „Grenzschutzregime". Immer wieder wurden die TeilnehmerInnen aus Europa gefragt, auch von Studierenden aus dem Senegal: Wie kann es sein, dass Ihr ohne Visum hierherkommen könnt und wir nicht einmal die Chance auf ein Visum haben? Immer wieder wurde die Forderung nach globaler Bewegungsfreiheit erhoben, als Teil globaler Bürgerrechte. Schon vor dem Forum verabschiedete ein eigenes Forum zu Migration eine „Charta der Migranten".

Kurzum: Die neuen und alten Formen des Kolonialismus waren die bestimmenden Themen des Weltsozialforums. Anders als beim WSF in Nairobi 2007 blieb diesmal die Beschimpfung oder überhebliche westliche Kritik an Afrikanischen Basisbewegungen aus. Dazu trug auch bei, dass religiös motivierte Gruppen - ob christlich oder muslimisch - wenig sichtbar waren und damit die religiöse Intoleranz mancher Linker weniger provoziert wurde.  Erfreulich aktiv waren die katholischen und evangelischen Hilfewerke, die auch vielen ihrer Partnerorganisationen im Süden die Teilnahme am Weltsozialforum ermöglichten. Der Evangelische Entwicklungsdienst stellte auf dem Forum eine vielbeachtete Studie zu EU-Westafrikanischen Fischereikooperationen vor, die massiv das Recht auf Nahrung der Fischer und ihrer Familien an den Küsten verletzen. Anders als bei den Foren in Lateinamerika und 2003 in Mumbai waren dagegen linke Parteien und Gewerkschaften vergleichsweise wenig sichtbar. Aus Deutschland war aus den Gewerkschaften nur die GEW dabei. Die großen NGOs waren zahlreich vertreten, dominierten jedoch nicht das Forum. Auch regional entsprach die Beteiligung der Verankerung der altermondialistischen Bewegung auf den verschiedenen Kontinenten. Während EuropäerInnen und LateinamerikanerInnen neben den zahlenmäßig dominierenden AfrikanerInnen sehr sichtbar waren, gab es aus Asien außerhalb von Indien nur wenig Beteiligung. Auch die NGOs aus Nordamerika waren nicht so zahlreich vertreten, wie es ihrer Stärke eigentlich entspricht. Anders als in Lateinamerika gibt es keine Regierung auf dem afrikanischen Kontinent, die sich auf die altermondialistische Bewegung bezieht. Somit wurden die Revolutionen in Tunesien und Ägypten zum machtpolitischen Bezugspunkt des Forums. Gerade im Maghreb hatte ein Dutzend Sozialforen stattgefunden und dazu beigetragen, den Boden für den Wandel vorzubereiten. Allerdings wäre es eine Übertreibung, die beiden Absetzungen undemokratischer Regime als Erfolge der altermondialistischen Bewegungen zu sehen. In jedem Falle wollen etliche Organisationen aus dem Weltsozialforumsprozess am 20. März nach Tunesien reisen. Auch das europäische Attac-Netzwerk bereitet mit Attac Tunesien eine Delegation vor.

Bewährt hat sich wiederum die neue Methodik des WSF: Nach einem Tag von Veranstaltungen zu afrikanischen Themen gab es zwei Tage mit selbstorganisierten Veranstaltungen der teilnehmenden Organisationen. Große, zentral organisierte Veranstaltungen gab es außer der Eröffnung und dem Abschluss nicht. Wie bei vorigen WSFs fanden vielfach zu den gleichen Themen verschiedene Veranstaltungen statt, weil sich die OrganisatorInnen schichtweg nicht kannten. Am Schluss des Forums folgten dann eineinhalb Tage, die Aktionsversammlungen vorbehalten waren. Zu jedem relevanten Thema fand hier jeweils eine Versammlung statt - insgesamt 38. Sie waren praktisch durchweg ein großer Erfolg.

Oft basierten die beschlossenen gemeinsamen Aktionen auf den Vorbereitungsarbeiten von globalen Netzwerken, die schon vor einigen Jahren auf vorigen WSF gegründet wurden. Diese Netzwerke - oft mit kleinen Sekretariaten, Mailinglisten, regelmäßigen Telefonkonferenzen - sind eines der größten Erfolge der Weltsozialforen und bei der Kommentierung am meisten übersehenen. Das Weltsozialforum ist ein globaler Open Space mit Aktionsorientierung.

Es gab keine systematische Dokumentation der Ergebnisse der 38 Aktionsversammlungen. Hier sind daher nur einige viel Ergebnisse von viel beachteten Versammlung erwähnt. Sie binden politisch nur die TeilnehmerInnen, nicht jedoch das Weltsozialforum als Ganzes. Bei einer mit 300 TeilnehmerInnen sehr gut besuchten Versammlung zu „land grabbing" wurde eine ganze Reihe von Aktivitäten vereinbart und dazu eine Erklärung zum Thema verabschiedet. Dabei wurde klar, dass der Kampf um traditionelle Landnutzungsrechte und damit das Recht auf Nahrung jeweils vor Ort gewonnen werden muss. Zwar sind die Konsumwünsche der global gesehen Reichen und auch multinationale Konzerne bzw. mächtige Staaten ursächlich für das „Land grabbing" im Süden, ein entscheidender Schlüssel liegt jedoch bei den lokalen Behörden und Nationalstaaten im Süden. Sie müssen die Rechte der Kleinbauern verteidigen, statt der Exportlandwirtschaft in oft korrupter Art und Weise zu dienen. Ganz Ähnliches wurde auch bei einer am Rande des Weltsozialforums durchgeführten großen Konferenz zu „land and sea grabbing" unserer Grünen Fraktion im Europaparlament mit betroffenen Kleinbauern und Fischern deutlich. Natürlich müssen wir gerade die Bedeutung des Themas auf dem Weltsozialforum nutzen, um Druck gegen illegitime Praktiken westlicher Konzerne und auch die Handelspolitik der EU zu machen, die zum Schaden kleiner Produzenten im Süden ist. Gleichzeitig müssen wir fairen Handel stärken und die Bewegungen im Süden unterstützen, die Druck auf ihre Regierungen machen.

Darüber hinaus orientieren viele Bewegungen auf die kommende Weltklimakonferenz vom 28.11.-9.12.2011 im südafrikanischen Durban (COP- 17) und stärker noch auf den Rio+20-Erdgipfel in Brasilien vom 14.-16. Mai 2011. In Rio ist ein „People's summit" als Parallelveranstaltung der Zivilgesellschaft geplant. Dass diese beiden für Klimaschutz und Biodiversität entscheidenden Konferenzen in stark wachsenden Schwellländern stattfinden, ist politisch spannend. Die beiden Regierungen sind aus sozialen Bewegungen hervorgegangen. Gleichzeitig haben sie sich gerade im ökologischen Bereich alles andere als mit Ruhm bekleckert. Wie ökologische und soziale Krise in einer gemeinsamen ökonomischen Strategie angegangen werden können, wird zum zentralen Thema werden. Aus diesem Kalender ergibt sich ein Reigen von großen Mobilisierungen für die altermondialistische Bewegung: Deauville, Cannes, Durban, Rio.

Leider litt das Forum sehr unter organisatorischen Problemen. Kurz vor Forumsbeginn hatte der Uni-Direktor gewechselt. Der neue fühlte sich an vorige Absprachen nicht mehr gebunden. Das Weltsozialforum und der reguläre Uni-Betrieb fanden daher parallel statt. Die Doppelbelegung der Räume war der Normalfall. Es dauerte, bis Zelte aufgestellt waren und oft klappte die Ankündigung der neuen Räume nicht richtig. Viele, lange vorbereitete Veranstaltungen fielen daher aus.

Kritik gab es im Rat allerdings zurecht an der Tatsache, dass ein Staatspräsident - Evo Morales aus Bolivien - das weltweite Forum der Zivilgesellschaft eröffnete, ohne dass dies im Rat abgesprochen war. Schließlich gab es gerade aus Indien und Brasilien kritische Anfragen an den europäischen Sozialforumsprozess. Es könne nicht sein, dass er in Europa so schwach verankert ist. Tatsächlich steckt der Prozess des Europäischen Sozialforums seit Jahren in der Krise. Denn anderes als beim Weltsozialforum ist es nicht gelungen, die großen NGOs, Gewerkschaften mit den radikaleren sozialen Bewegungen zu vernetzen. Vielmehr haben sich fast alle Großorganisationen zurückgezogen und der Prozess ist in der Hand einer kleinen, schlecht legitimierten Vorbereitungsgruppe. Dass diese Schwäche nun aus dem Süden kritisiert wird, ist ein gutes Zeichen.
Quelle: UD / pm
 
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