Politik

Die Welt im Jahr 2052

Vor vier Jahrzehnten wurde der Band „Die Grenzen des Wachstums” ein Bestseller und ein Meilenstein in der Nachhaltigkeitsdebatte. Die Autoren rund um Dennis Meadows gingen damals der entscheidenden Frage nach, wie die Menschheit sich an die gegebenen physikalischen Grenzen des Planeten Erde anpassen soll. Doch wo stehen wir heute? Und wie sieht unsere Zukunft aus heutiger Sicht aus? Jorgen Randers, einer der Co-Autoren des Meadows-Reports, hat dazu nun ein Szenario für die nächsten 40 Jahre erstellt; er stützt sich dabei auf globale Prognosen führender Wissenschaftler, Ökonomen und Zukunftsforscher. „2052” lautet der Name des aktuellen Reports und skizziert eine Zukunft, die ganz anders sein wird, als wir uns dies heute vorstellen können. Trotz der überwiegend düsteren Prognosen glaubt Randers nicht an einen globalen Kollaps, denn „der Anpassungsprozess der Menschheit an die Grenzen dieses Planeten hat begonnen”. Aber der Report gibt auch keine Entwarnung, denn die Zukunft wartet mit gewaltigen Herausforderungen auf, wird geprägt sein von sozialen Unruhen und zahlreichen Umbrüchen. Wir sprachen mit Jorgen Randers während seines Aufenthalts in Berlin.

07.08.2013

Jørgen Randers (* 1945 in Norwegen) ist ein norwegischer Hochschullehrer, Autor und Zukunftsforscher.
Jørgen Randers (* 1945 in Norwegen) ist ein norwegischer Hochschullehrer, Autor und Zukunftsforscher.

PERSLÖNLICHE MOTIVATION
Ich habe 40 Jahre lang für mehr Nachhaltigkeit gearbeitet und gekämpft. Und um ehrlich zu sein - es hat nicht sehr gut funktioniert. Die Welt ist weniger nachhaltig, als sie es vor 40 Jahren war. Als ich begann, das Buch zu schreiben, war ich daran interessiert zu sehen, wie das Leben in den mir verbleibenden Jahren sein wird. Meine Motivation war, dass ich mir mein ganzes Leben über die Zukunft Sorgen gemacht habe, und heute frage ich mich: Muss ich mir noch mehr Sorgen angesichts der Zukunft machen? Das Schreiben des Buches hat sich als psychologisch sehr hilfreich erwiesen, weil es mich gelehrt hat, dass die größten emotionalen Verluste, die ich während meiner Lebenszeit erleben musste, bereits eingetreten sind. Wir haben bereits das Meiste der Wildnis verloren. Die Urwälder und Korallenriffe sind weitgehend vernichtet oder nicht mehr rettbar. Die Einsamkeit, die ich persönlich schätze, fällt schwerer in einer mehr und mehr überfüllten Welt. Obwohl all dieses traurige Nachricht sind, ist es interessanterweise irgendwie auch beruhigend, weil ich nicht glaube, dass wir in den nächsten 40 Jahren jetzt noch eine Katastrophe erleben werden.

KLIMAWANDEL
Wir werden künftig immer öfter eine zunehmend erratische Welt mit beängstigenden Klimaereignissen erleben. Wir werden eine Gesellschaft antreffen, die Geld für die Reparatur der Schäden aufwendet, statt den gleichen Betrag zur Vermeidung künftiger Probleme aufzuwenden. Die Vereinigten Staaten, zum Beispiel, sind nicht bereit, Geld auszugeben, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren, aber sie werden Geld für die Reparatur von Hurrikanschäden aufbringen.

WIRTSCHAFT
Es wird weltweit ein deutlich langsameres Wirtschaftswachstum geben, als die meisten Leute denken. Auf der Sollseite steht, dass wir mehr Armut sehen werden. Auf der Habenseite steht ein geringerer Einsatz von Ressourcen. Es wird also mehr Armut im Jahr 2052 geben und die meisten Menschen in den reichen Ländern werden nicht reicher sein als heute. Die gute Seite ist, dass der ökologische Fußabdruck der Menschheit kleiner ausfallen wird als heute. Da das Niveau der Ressourcennutzung niedriger ausfallen wird, wird auch der Schadstoffausstoß geringer sein.

TREND STUDIES
Es gibt einen großen Unterschied zwischen meinem Buch und den meisten anderen Zukunftsstudien. Die anderen sind in der Regel Szenarioanalysen, die verschiedene mögliche Zukünfte beschreiben. Ihr Argument ist, dass ein bestimmtes Handeln heute eine bestimmbare Zukunft zur Folge hat. Die „Roadmap 2050“ des World Business Council for Sustainable Development wiederum gehört zu einer anderen Kategorie: Backcasting. Sie definieren eine attraktive Lage im Jahr 2050 und legen dann fest, was und wie viel heute dafür getan werden muss. Im Gegensatz dazu ist mein Buch eine Prognose, denn ich sage: „Das ist nicht eine Zukunft, sondern das ist die Zukunft." Ich konzentriere mich dazu auf sehr langfristige Trends wie zum Beispiel Bevölkerungsentwicklung und Infrastrukturmaßnahmen. Diese ändern sich nicht so schnell vor einem 40-Jahres-Horizont. Und es ist das gleiche mit dem Mangel an verantwortlicher Regierungsführung oder dem persönlichen Wunsch des Menschen, sich zu bereichern.


NACHHALTIGKEIT
Nicht nachhaltig zu sein ist nicht zukunftsfähig. Das bedeutet, dass, wenn wir unsere nicht-nachhaltige Lebensweise fortführen, wie wir das gegenwärtig machen, dann können wir nicht erwarten, dies für immer zu tun. Wir werden gestoppt werden. Zum Beispiel emittieren wir mehr Treibhausgase in die Atmosphäre, als durch die Wälder und Ozeane absorbiert wird. Wenn wir dies fortsetzen, wird die durchschnittliche Temperatur steigen und schließlich das Leben unglaublich kompliziert machen. Daher wird noch in diesem Jahrhundert eine Nachhaltigkeits-Revolution, so nenne ich das, stattfinden: Gegenwärtiges, unhaltbares Verhalten wird auf die eine oder andere Weise gestoppt werden. Im Idealfall sollte es mit geplanten Maßnahmen gestoppt werden. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich die Natur wehrt und uns stoppt. Ich glaube, dass der entscheidende Druck von Seiten des Klimawandels kommen wird. Wir werden eine schwierige Zeit durchleben, bevor wir in eine nachhaltige Situation hinein gezwungen werden.

KONSUM-DENKEN
Ich denke, dass es hilfreich ist, die Verallgemeinerung zu machen, dass die Menschen an sich überraschend materialistisch sind. Die Leute wollen immer mehr besitzen für eine bessere Ernährung, ein besseres Zuhause oder einen besseren Urlaub etc. Das ist eine empirische Tatsache. Obwohl die Welt an sich nicht so sein müsste, ist diese Triebfeder sehr stark. Weise Politik sollte auf dieser Annahme basieren. Wenn jedoch der Konsum-Anstieg und steigende Einkommen zu Problemen führen, dann müssen wir Wege um diese Probleme herum suchen. Mein Vorschlag für die reiche Welt ist, das bestehende Wohlstandskonzept zu überdenken. Anstatt zu fragen, wie reich sind Sie, könnte man anfangen zu fragen: Wie fühlen Sie sich? Wir sollten versuchen, das Einkommen als ein Erfolgskriterium zu ersetzen durch einen persönlichen, subjektiven Aspekt, wie Zufriedenheit mit dem Leben. Das sollte das Ziel für die Politik sein: Dass die Menschen sich zufriedener fühlen.

WELTBEVÖLKERUNG
Die Dinge beginnen sich zu ändern. Vor vierzig Jahren war das Bevölkerungswachstum ein echtes Problem. Man ahnte damals noch nicht, welche Auswirkungen Urbanisierung und Bildung von Frauen haben würden. Aber in mehr und mehr Ländern haben heutzutage städtische und gebildete Frauen zunehmend einen Karrierewunsch statt Kinderwunsch. Dies ist ein wesentlicher Grund für den raschen Rückgang der Geburtenraten, und es ist freiwillig. Niemand hat die Frauen der reichen Welt gezwungen, weniger Kinder zu bekommen. Das war und ist ihr eigener Wunsch.

Weltweit betrachtet ist eine andere Sache passiert: Wir erleben eine sehr rasche Urbanisierung. Die Menschen mögen arm sein, aber sie sind nicht dumm. Während es auf dem Land unter Umständen sinnvoll war, eine Menge Kinder zu haben, so lernen sie schnell, das große Familien in einer überfüllten Stadt Probleme verursachen. Die Geburtenrate sinkt folglich dramatisch, auch ohne Aufklärung und Verhütung. Dies ist ein zentraler Punkt in meinem Buch: Wir werden einen Höhepunkt in der Weltbevölkerung im Jahr 2040 zu erwarten haben, der dann bei 8 Milliarden Menschen liegt und danach wird die Zahl sinken.


MEGACITIES
Eine Megastadt der Zukunft ist etwas ganz anderes als das, was wir von früher kennen. Und eine arme Megacity wird sehr schwer zu verwalten sein, weil sie nicht über eine wirtschaftliche Basis, Infrastruktur oder ein Steuersystem verfügt. Trotzdem werden wir einen klaren Trend hin zur Urbanisierung beobachten. Erstens, weil die Zentralisierung hilft, die Produktivität zu verbessern. Der Traum, dass die Menschen auf dem Land wohnen bleiben, steht im Widerspruch zum Wirtschaftswachstum. Zweitens entspricht das Modell der großen Städte den Lebensentwürfen vieler Paare, die beide  arbeiten und sich entwickeln wollen. Drittens ist es viel einfacher und billiger, sich gegen die Auswirkungen des Klimawandels in diesen Städten zu verteidigen, zum Beispiel dadurch, dass die Stadt sturmsicher gemacht wird oder Gebäude durch Deiche geschützt werden.

Ein besonderer Trend wird etwas sein, was ich als "Eco-Modern City" bezeichne. Was ist das? Das sind Städte, die sich durch sinkende Geburtenraten und eine steigende Zahl von alten Menschen kennzeichnen. Innerhalb solcher Eco-Modern Cities werden Bevölkerung und Einkommen stabil sein, das BIP wird nicht wachsen, und der Alltag ist gekennzeichnet durch Recycling, Wiederverwendung und sogenanntem „Urban Mining“. Der digitale Aspekt wird entscheidend sein: Es wird eine virtuelle Realität, wo ihr Konsumverhalten, ihre Kommunikation und ihre sozialen Interaktionen hauptsächlich elektronisch und virtuell stattfinden.

ROHSTOFFE
Ich denke, Ressourcen werden nicht knapp werden. Das Wirtschaftswachstum wird viel niedriger sein, als wir denken, ebenso wie die weltweite Nachfrage. Darüber hinaus wird  es sehr schnell zu Substituten kommen. Preisspitzen und Preisverfall, wie wir dies immer wieder erleben, sind nur Unvollkommenheiten des Marktes und dauern ein paar Jahre, bevor einige Marktteilnehmer handeln. Das beste Beispiel ist Öl: Im Jahr 1970 kam billiges Öl aus Texas, aber die Fördermengen erreichten bereits in den 1980er Jahren ihren Höhepunkt. Danach haben wir offshore nach Öl gebohrt, aber auch das überschritt vor etwa 15 Jahren seinen Höhepunkt. Dann gingen wir in die Tiefsee, und zuletzt haben wir begonnen, in Ölsand zu investieren. Die Entwicklung zeigt also von sehr billiger Exploration zu immer teurerer. Jetzt kann man sich fragen: Wird diese Verteuerung von Öl ewig gehen? Und die Antwort lautet: Nein, es wird sich nur bis zu dem Punkt entwickeln, an dem Ersatzstoffe erschwinglich werden. Im Falle von Öl ist dies die „Coal to liquid"-Technologie und die Kosten hierfür belaufen sich auf ungefähr $ 70 pro Barrel. Deshalb wird der Ölpreis auf Dauer und für Jahrzehnte die 70 Dollar-Marke nicht überschreiten.

Und das gleiche wird im Lebensmittel-Bereich passieren, über den sich viele Menschen derzeit große Sorgen machen. Wir haben keinen Mangel an landwirtschaftlichen Kapazitäten in der Welt - in Brasilien, der Ukraine und Russland allein gibt es riesige Gebiete, in denen landwirtschaftlicher Anbau möglich wäre. Es ist richtig, dass der Anbau in diesen Regionen etwas teurer als in aktuellen Regionen wie den Vereinigten Staaten sein wird. Wir reden da am Ende von einem Preisanstieg von vielleicht 30 Prozent.

MULTILATERALISMUS
In einer idealen Welt ist Multilateralismus von zentraler Bedeutung. Die Europäische Union zum Beispiel ist eine großartige Idee, die versucht, die dezentralisierenden Kräfte von einst auf eine vernünftige Art und Weise zu bündeln. Werden wir uns global in diese Richtung bewegen? Vielleicht, aber selbst dann nur sehr, sehr langsam. Ich glaube, dass zur Zeit Polylateralismus der weitaus wahrscheinlichere Ansatz ist. Die Klimaverhandlungen sind ein sehr gutes Beispiel: Es ist schier unmöglich, dass sich weltweit 192 Ländern auf eine gemeinsame Linie einigen. Aber die EU, die USA und China zusammen emittieren mehr als 50 Prozent aller CO2-Emissionen, und sie könnten im Grunde die Politik festlegen. Sie können leicht den Rest der Welt zwingen, ihrem Beispiel zu folgen. Aber leider sind die Vereinigten Staaten nicht in der Lage, eine solche Entscheidung zu treffen - aufgrund ihrer internen Regierungsstrukturen - und so würde ich die USA vergessen. Das bedeutet, dass die EU und China beginnen sollten, ein bilaterales Abkommen mit einer CO2-Steuer an ihren Grenzen zu verhandeln. Im nächsten Schritt könnten sie etwa nur mit den Ländern Handel treiben wollen, welche sich ihrer Politik anschließen. Ich verspreche: Die anderen werden sich sehr schnell anschließen.

GLOBAL COMPACT
Der Global Compact ist ein wunderbares Beispiel für freiwillige Maßnahmen, um in der Welt Fortschritte zu machen. Der Global Compact ist ein Vorbild überall dort, wo wir nicht in der Lage sind, verbindliche internationale Institutionen zu bilden, um die großen Fragen der Menschheit zu behandeln. Das Beste, was der Global Compact aus meiner Sicht erreicht hat, ist, dass er alle ethischen Diskussionen über die geeigneten strategischen Ziele beendet hat. Der Global Compact ist eine ordentliche Plattform, er bietet eine zivilisierte Antwort auf die meisten ethischen Fragen, denen Unternehmen begegnen. Wir brauchen das nicht weiter zu diskutieren. Jetzt stellt sich die Frage der Umsetzung.

Aber wenn es um die Rettung der Welt geht, dann glaube ich nicht, dass freiwillige Maßnahmen ausreichen. Regulierungen sind notwendig, um sicherzustellen, dass wir die notwendigen Dinge tun, auch wenn sie weniger rentabel sind. Wir brauchen also einen Paradigmenwechsel von dem, was am Profitabelsten ist zu dem, was gesellschaftlich betrachtet am Notwendigsten ist.

Persönlicher Wunsch
Mein einziger Wunsch für die globale Gesellschaft ist, dass wir endlich Erfolg haben mit der Schaffung einer supranationalen Institution, die die Autorität hat zu entscheiden, wie viel Treibhausgase jedes Land ausstoßen darf. Diese Institution muss dann auch die Macht haben, diese Regelung durchzusetzen. Demokratische Regierungen sollten sich auf eine globale Zentralbank für Klimagasemissionen verständigen, so wie sich die meisten zivilisierten Gesellschaften ja auch auf eine Zentralbank verständigt haben, die die Geldmenge bestimmt. Das würde eine Art von internationaler Besteuerung nach sich ziehen, wie beispielsweise die Tobin-Steuer. Das Geld würde dazu dienen, Häuser zu isolieren, den Ausbau emissionsarmer Fahrzeuge zu fördern oder um Wind- und Solarparks zu bauen. Kurz gesagt, um die Welt klimafreundlicher zu machen, auch wenn dies ein wenig mehr kostet als gar nichts tun.


Der Artikel erschien im Original in

Global Compact Deutschland 2012
Jahrbuch des deutschen Netzwerkes mit Beiträgen u.a. von Ban Ki-moon (Grußnote), Georg Suso Sutter, Georg Kell, Christina Raab und Jorgen Randers sowie 31 deutschen Global Compact-Mitgliedsunternehmen. Hrsg.: Elmer Lenzen. Münster 2013: Mediengruppe macondo, 136 Seiten, durchgehend farbig, broschiert, FSC-zertifizierter und klimaneutraler Druck, limitierte Auflage.
ISBN-13: 978-3-9813540-4-1
EP 30,00 €

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Quelle: UD
 
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