Private Equity: ESG muss strategisch gedacht werden
Investieren heißt, auf die Zukunft zu setzen. Auf Unternehmen, die auch in den kommenden Jahren oder gar Jahrzehnten erfolgreich am Markt agieren werden. Gerade Private-Equity-Investoren müssen durch ihren vergleichsweise langen Anlagehorizont ein gutes Verständnis für die Zukunftsfähigkeit von Geschäftsmodellen entwickeln – und haben dies über Jahrzehnte auch mit großem Erfolg getan.
28.10.2021
Von Matthias Bönning
Nachhaltigkeitsherausforderungen führen zu gewaltiger Transformation der Wirtschaft
Unternehmen stehen heute jedoch vor ganz anderen Herausforderungen als in den vergangenen Dekaden: Der Klimawandel dürfte hier erst der Anfang sein. Es ist absehbar, dass Themen wie der Zugang zu Trinkwasser, der Erhalt der Artenvielfalt, die Verfügbarkeit von landwirtschaftlich nutzbarem Boden sowie der effiziente Umgang mit sonstigen natürlichen – und zunehmend knappen – Ressourcen (Metalle, Holz, Fischbestände etc.) schon bald ganz nach oben auf die gesellschaftliche und politische Agenda vorrücken: Alles Themen, die für viele Branchen existentielle Bedeutung haben. Dazu kommen soziale Fragen, die immer stärker in den Fokus geraten, etwa die Einhaltung grundlegender Arbeitsrechte in der Lieferkette oder die Menschenrechtslage in Ländern, in denen Unternehmen Produktionsstandorte oder Absatzmärkte haben. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Die strategische Berücksichtigung des Themas Nachhaltigkeit beziehungsweise ESG (Environment, Social and Governance) ist damit von zentraler Bedeutung für den zukünftigen Erfolg von Private-Equity-Gesellschaften und liegt in ihrem ureigensten Interesse – sowohl im Investmentprozess als auch im Active Ownership. Marktszenarien können heute nicht mehr ohne den Einfluss von Nachhaltigkeitsfaktoren gedacht werden. Es gilt einerseits, die damit verbundenen Risiken für Unternehmen zu identifizieren, zu bewerten und angemessen zu managen. Andererseits – und das ist eine vielfach noch vernachlässigte Dimension – eröffnen sich durch sich ändernde Rahmenbedingungen enorme neue Marktpotentiale. Denn für die bereits stattfindende und sich in den nächsten Jahren noch verstärkende wirtschaftliche Transformation benötigen wir in nie dagewesenem Ausmaß neue Produktund Prozesslösungen, die beachtliche ökonomische Chancen bieten. Gleichzeitig werden bestimmte Geschäftsmodelle zum Auslaufmodell und können schon innerhalb weniger Jahre wirtschaftlich massiv unter Druck geraten.
Diese Entwicklung könnte schneller gehen als gedacht, wie man am Beispiel des Klimawandels beobachten kann: Die über viele Jahre zu zögerlichen Maßnahmen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs haben uns an einen Punkt geführt, an dem immer schärfere und disruptivere Eingriffe durch die Politik nötig sind, um die schlimmsten Folgen der Erderwärmung zu verhindern. Und diese Eingriffe werden kommen. Die Rahmenbedingungen werden sich innerhalb kurzer Zeit so ändern, dass CO2-arme Wirtschaftsweisen deutliche Kostenvorteile aufweisen und damit ökonomisch klar überlegen sind. In Branchen wie der Energieerzeugung und dem Automobilsektor (inklusive der beachtlichen vorgelagerten Wertschöpfungskette) ist derzeit zu verfolgen, wie durch derart veränderte Rahmenbedingungen ein Wandel ausgelöst wurde, der noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir vergleichbare Transformationen in anderen Bereichen sehen.
ESG als neuer Werttreiber – und klare Anforderung von Investoren und Regulatorik
Private-Equity-Gesellschaften sind nur dann wirtschaftlich erfolgreich, wenn sich ihre Beteiligungen in der Haltephase positiv entwickeln und sie im Rahmen eines etwaigen Exits mit Gewinn verkauft werden können. Aus ESG-Perspektive heißt das, dass Eigentümer und Portfoliounternehmen gemeinsam dafür Sorge tragen müssen, Geschäftsmodelle frühzeitig an die Rahmenbedingungen, die in zehn und mehr Jahren herrschen, anzupassen. Unabhängig von dem ökonomischen Eigeninteresse der Private-Equity-Gesellschaften, Nachhaltigkeitsthemen bei ihren Investments strategisch mitzudenken, entsteht zurzeit aber auch zunehmender Handlungsdruck von Seiten externer Anspruchsgruppen. Die Berücksichtigung von ESG-Kriterien in Anlageentscheidungen institutioneller Investoren wird immer mehr zum Standard, ebenso die Verankerung in der Kreditvergabe von Banken. Private-Equity-Firmen werden sich demnach immer schwerer tun, Finanzierungen von Investoren und Kreditgebern zu erhalten, wenn sie keine ESG-Standards vorweisen können. Oder positiv ausgedrückt: Private-Equity-Gesellschaften, die bereits jetzt in Sachen ESG gut aufgestellt sind, haben einen Wettbewerbsvorteil beim Einwerben von Finanzmitteln.
Befeuert wird diese Entwicklung durch eine weitreichende Regulierungsoffensive auf EU-Ebene – aufgrund seiner Lenkungsfunktion wird der Kapitalmarkt als einer der ersten adressiert. Das erklärte Ziel ist, Finanzströme im großen Stil umzuleiten, um sie mit den EU-Nachhaltigkeitszielen in Einklang zu bringen und dorthin zu lenken, wo sie einen positiven Beitrag zur Erreichung dieser Ziele leisten können. Letztere beziehen sich beispielsweise auf die Themen Klima, Wasser, Kreislaufwirtschaft, Schadstoffe und Biodiversität. Zu diesem Zweck verpflichtet die EU seit März dieses Jahres alle Finanzmarktteilnehmer (inklusive Alternative Investment Fund Managers, AIFM) offenzulegen, ob und inwiefern sie Nachhaltigkeitsrisiken und sogenannte „nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen“ in den Investmentprozessen und Anlageprodukten einbeziehen. Dies schreibt die vielbeachtete Offenlegungsverordnung beziehungsweise Sustainable Finance Disclosure Regulation vor. Weitere Transparenzverschärfungen werden in den nächsten Monaten und Jahren folgen.
Es geht um Strategie, nicht nur um Compliance
Es wird deutlich, dass es klare Vorteile sowie handfeste Notwendigkeiten gibt, ESG-Aspekte systematisch in alle Geschäftsaktivitäten im Bereich Private Equity zu integrieren. Teilweise wird dies in der Praxis schon umgesetzt. Häufig wird das Thema jedoch nach wie vor als Randaspekt beziehungsweise lediglich unter Compliance-Gesichtspunkten betrachtet. Eine reine Compliance-Perspektive wird der Tragweite der anstehenden Veränderungsprozesse in der Wirtschaft allerdings nicht gerecht. Es braucht eine deutlich intensivere und strategischere Auseinandersetzung mit dem Thema, um das eigene Geschäftsmodell zukunftsfest zu machen und ESG als Werttreiber zu verankern. Um attraktiv für Investoren und Kreditgeber zu bleiben. Um die zunehmende regulatorische Dynamik im Griff zu haben. Und nicht zuletzt, um einen wertvollen Beitrag zum Umbau hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft zu leisten.
Über den Autor:
Matthias Bönning, ehemaliger Research-Vorstand der oekom research AG und Global Head of ESG Ratings bei Institutional Shareholder Services Inc., ist Geschäftsführer von fors.earth capital. Zusammen mit Frank Sprenger, Geschäftsführer von fors.earth, berät er Private-Equity-Gesellschaften, Family Offices, Asset Manager, die in unternehmerische Beteiligungen investieren, wie auch die Portfoliounternehmen in allen Fragen der Nachhaltigkeitsstrategie und deren Umsetzung sowie während des gesamten Investmentprozesses.